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Karin Steiner
Forschungsinstitut abif (Analyse Beratung und interdisziplinäre Forschung)
 
ORF ON Science :  Karin Steiner :  Wissen und Bildung 
 
Neue Schulen braucht das Land
Eine Bestandsaufnahme zum Schulanfang
 
  Sie sind gleich jung und haben doch wenig miteinander gemein: In Wien beginnen die Sprösslinge gut betuchter Familien ihre Karriere in Kindergärten mit speziellen Förderprogrammen. Den Kindern von MigrantInnen bleibt meist nur der Spielplatz. Während die einen schon Englisch lernen, hapert es bei den anderen noch am Deutsch.  
Von Beginn an chancenlos
Und so geht es weiter: Die einen werden in einer ausgesuchten Volksschule auf die gehobenen Anforderungen einer Elite-AHS vorbereitet. Die anderen bringen häufig gar nicht die geforderten Fähigkeiten mit, ganz zu schweigen von den fehlenden finanziellen Möglichkeiten ihrer Eltern.

Die Lehrer von heute schauen auf die Noten in Mathematik und Deutsch. In diesen Hauptfächern sind Jugendliche, deren Eltern aus der Türkei oder Ex-Jugoslawien kommen, gegenüber ihrer österreichstämmigen Konkurrenz deutlich benachteiligt.

So dürfen sich MigrantInnen schon glücklich schätzen, wenn ihre Kinder es überhaupt in die AHS schaffen: Für 54 Prozent der Hauptschüler in Wien ist Deutsch nicht die Muttersprache, an den Sonderschulen sind es 41 Prozent.
Stigma Hauptschule
Der Besuch einer öffentlichen Hauptschule in Wien steht häufig für Armut, beengte Wohnverhältnisse, Migrationshintergrund und ein Umfeld, das Bildung wenig unterstützt. Gerade einmal sieben Prozent der Kinder, die die Hauptschule besuchen und deren Eltern nur einen Pflichtschulabschluss haben (was sehr häufig vorkommt), schaffen es im Alter von 14 Jahren überhaupt, in eine maturaführende Schulform zu wechseln.

Die öffentlichen Hauptschulen in Wien existieren heute nur mehr als Ghettoschulen, ihr Besuch gilt als Stigma im Lebenslauf. Sie wurden zum Auffangbecken für all jene, die nicht in die AHS aufgenommen wurden. Denn diese orientieren sich an den höheren Leistungsansprüchen der angehenden MaturantInnen, und die Eltern vieler Hauptschüler können sich einen privaten Schulbesuch (z.B. einer integrierten Mittelschule) nicht leisten.
Maximalziel Pflichtschulabschluss
Während ein 16-jähriger privilegierter Jugendlicher einen Spezialkurs in Rhetorik und sozialer Kompetenz belegt, hofft ein 16-jähriger Migrant, dass das AMS für Jugendliche ihm eine Lehrstelle vermittelt. Das Maximalziel vieler MigrantInnenkinder besteht darin, die Schule irgendwie runter zu biegen, um möglichst bald Geld zu verdienen.

Nach der Hauptschule vertrödeln die Jugendlichen dann häufig noch ein Jahr in der polytechnischen Schule, um schließlich dem Lehrlingsarbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen.
Jung, dynamisch, arbeitslos
Nur die Hälfte schafft es eine Berufsausbildung abzuschließen. So hat die Hälfte der 20- bis 24-Jährigen ohne österreichische Staatsbürgerschaft lediglich einen Pflichtschulabschluss. Bei den jungen Erwachsenen mit österreichischer Staatsbürgerschaft sind es hingegen nur 13 Prozent.

Auch bei den Jugendlichen, die am regulären Arbeitsmarkt keine Lehrstelle finden, überwiegen MigrantInnen deutlich. So haben zwei Drittel der Jugendlichen, die einen sogenannten JASG-Lehrgang (Jugendausbildungssicherungsgesetz) besuchen, einen Migrationshindergrund, unter den regulären Lehrlingen, die in einem Betrieb beschäftigt sind, sind es hingegen nur die Hälfte. Und mit einem JASG-Abschluss sind sie später am regulären Arbeitsmarkt klar benachteiligt.
->   Studie über benachteiligte Jugendliche
Lösungen für eine neue Bildungspolitik
Jugendliche aus MigrantInnenfamilien brauchen ähnlich wie Afroamerikaner und Hispanics in den USA "Affirmative Action". Die benachteiligten ethnischen Minderheiten wurden mit einem schlechteren Notendurchschnitt an Unis aufgenommen und bekamen auch Stipendien. Anders lässt sich das stark selektive und sozial undurchlässige österreichische Bildungssystem nicht reformieren.

Im Wahlkampf sind die Bildungshürden der jungen MigrantInnen kein Thema, die Parteien blenden das Problem bequemerweise aus - außer der FPÖ, die die Diskriminierung freilich noch verschärfen will.
Gezielte Förderung
Die Bildungspolitik könnte dann etwas ausrichten, wenn MigrantInnenkinder schon mit einem gratis Kindergartenbesuch gezielt gefördert würden. Volksschulen mit einem hohen MigrantInnenanteil müsste eine zweite Lehrkraft zur Verfügung gestellt werden. Neben dem Ausgleich von sprachlichen Defiziten und der Stärkung der Kulturtechniken (Lesen, Schreiben, Rechnen, EDV) wären auch Begabungsförderung und Kompetenztraining (Kommunikation, Selbstbewusstsein) wichtig.

Nur so kann man MigrantInnen das ermöglichen, was auch anderen Kindern zuteil wird: ein höherer Bildungserwerb und damit die Chance, den Beruf zu erlernen, der den eigenen Interessen und Begabungen entspricht. Das muss in unser aller Interesse sein. Denn unsere Gesellschaft ist mehr denn je auf gut ausgebildete Menschen angewiesen und kann es sich nicht leisten kann, so viel Potenzial unausgeschöpft zu lassen.

[8.9.08]
->   Vorbilder zur Förderung benachteiligte Jugendlicher
->   Alle Beiträge von Karin Steiner in science.ORF.at
 
 
 
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