Host-Info
Helge Torgersen
Institut für Technikfolgen - Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Umwelt und Klima 
 
Nachhaltigkeit - nur ein Schlagwort?  
  "Nachhaltige Entwicklung" bzw. "Nachhaltigkeit" wird in den nächsten Monaten ein Schlüsselthema für Diskussionen sein. Die Gefahr besteht, dass vom Begriff nur mehr eine Worthülse bleibt. Das muss nicht sein.  
Bewusster Umgang mit
Aktuelle Anlässe für die Wiederaufnahme der Diskussion um Nachhaltigkeit sind die bevorstehende Präsentation der EU-Nachhaltigkeitsstrategie beim Göteborg-Gipfel im Juni 2001 und der UN-Nachhaltigkeitsgipfel 2002 in Johannesburg. Es geht dabei um einen Konsens über tragfähige Konzepte für die Sicherung der Zukunft. Keine leichte Aufgabe, weil verschiedene Bedürfnisse zu unterschiedlichen Erwartungen an die Zukunft führen.
Kein Sammelbegriff für alles und jedes
Ein großes Missverständnis bezüglich Nachhaltigkeit ist, dass der Begriff alle diese Erwartungen unter einen Hut bringen kann oder muß. Wenn die Ursache für diese falsche Vorstellung nicht angegangen und keine Klarheit über den Charakter einer "nachhaltigen Entwicklung" erzielt wird, werden die nächsten 10 Jahren, so wie die letzten, kaum Erfolge für die Sicherung der Zukunft mit sich bringen.
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Die Rio-Definition
1992 haben die Regierungschefs in Rio de Janeiro folgende Formulierung für "Nachhaltige Entwicklung" akzeptiert: "Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß zukünftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können."
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Ein Begriff mit unterschiedlichen Interpretationen
Eine wissenschaftliche Untersuchung dieser Formulierung ist an sich problematisch, da Begriffe wie "Bedürfnisse der Gegenwart", "Bedürfnisse der zukünftigen Generationen" und "Bedürfnisbefriedigung" mit vielen Gegensätzen und Widersprüchen behaftet sind. Dabei sind nicht nur Grundbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Gesundheit gemeint, sondern auch solche, die mit der Selbstverwirklichung des einzelnen zu tun haben und abhängig vom Lebensstandard sind. Eine Analyse der Bedürfnisse ist daher mit der Analyse des "Lebensstandards" verbunden. Das ist wiederum ein Dachbegriff für unterschiedliche Auffassungen von Lebensqualität.
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Beispiele für verschiedene Auffassungen von Lebensqualität
"Man kann gut gestellt sein, ohne dass es einem gut geht.
Es kann einem gut gehen, ohne dass man in der Lage ist, das Leben zu führen, das man führen wollte.
Man kann das Leben führen, das man führen wollte, ohne glücklich zu sein, ohne viel Freiheit zu haben.
Man kann viel Freiheit haben, ohne viel zu leisten...."



Sen, A., 2000, Der Lebensstandard: Rotbuch Rationen
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Dachbegriff Nachhaltigkeit
"Nachhaltigkeit" ist tatsächlich ein Dachbegriff, der unterschiedliche Auffassungen zusammenfasst. Das ist dann nicht problematisch, solange nur einander ergänzende Elemente berücksichtigt werden. Diese können, wie passende Bausteine, ein Konzept aufbauen. Die Bürgerbeteiligung an Entscheidungen über ein größeres Bauvorhaben (Partizipation) kann zum Beispiel parallel zur Überprüfung der Umweltverträglichkeit von Baustoffen (Konsistenz) in einem Konzept zusammengefasst werden.
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Ergänzende Elemente für Nachhaltigkeit
Hübler (1998) definiert vier einander ergänzende Kategorien von Elementen für Nachhaltigkeit: Integration (Vernetzung, Konsistenz,), Dauerhaftigkeit (Vielfalt, Effizienz,), Verteilungsgerechtigkeit sowie Partizipation (Kooperation, Transparenz). Elemente daraus können gemeinsam als Bausteine in Konzepte für Nachhaltigkeit eingehen.


Hübler, K, 1998, Weiterentwicklung und Präzisierung des Leitbilds der nachhaltigen Entwicklung in der Regionalplanung und regionalen Entwicklungskonzepten. Unveröffentlicher Zwischenbericht des F+E-Vorhabens
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Konkurrierende Elemente
Konkurrierende Elemente passen nicht zusammen und können nur einzeln angewendet werden. Ansonsten besteht die Gefahr, schwammige, beliebige und nicht ernstzunehmende Konzepte zu entwickeln. Ein Beispiel, die Sen (2000) für konkurrierende Elemente bringt, ist Konkurrenz zwischen den Elementen "Nutzen" und "Lust". Bei der Planung einer Straße wird z.B. der Nutzen für den sicheren Transport in den Vordergrund gestellt, ohne den Spaß und die Lust mancher Motorradfahrer an Haarnadelkurven zu befriedigen.
Schwammige Konzepte
Um auf Nachhaltigkeit zurückzukommen: Ein schwammiges Konzept entsteht dann, wenn z.B. in einem Förderungsprogramm für massive Energiesparmaßnahmen inkompatible Bedingung gestellt werden. Wenn eine Bedingung für die Förderung ist, dass das wirtschaftliche Investitionsrisiko für eine umfassende Innovation niedrig ist, um den praktischen Erfolg der Maßnahme sicherzustellen, wird diese Investition auch ohne Förderung getätigt werden und es entsteht bloß ein Mitnahmeeffekt. Investitionen mit hohem Risiko hingegen werden "von selber" nicht stattfinden, sind aber auch von der Förderung ausdrücklich ausgeschlossen - riskante, aber möglicherweise hoch innovative Energieeinsparungen finden nicht statt.
Nachhaltigkeit verlangt Denkarbeit
Für ein konsistentes und tragfähiges Konzept muß also die Verträglichkeit ergänzender Elemente geprüft bzw. über die Priorität konkurrierender Elemente entschieden werden. Wissenschaftliche Sorgfalt und Genauigkeit sowie fundierte interdisziplinäre Analyse der Konzepte sind daher unentbehrlich für den Umgang mit der Nachhaltigkeit, um aus einem wichtigen Dachbegriff keine schwammigen Konzepte abzuleiten.

(MS)
->   Rio-Konferenz
->   UN Sustainable Development
->   EU-Nachhaltigkeitsstrategie, Göteborg Juni 2001
 
 
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Umwelt und Klima 
 

 
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