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Helge Torgersen
Institut für Technikfolgen - Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Wissen und Bildung 
 
Plädoyer für "Open Access" in der Wissenschaft
von Michael Nentwich
 
  Die Wissenschaften sind in hohem Maße auf den ungehinderten Zugriff zu Informationen aller Art angewiesen, um darauf aufbauend weiterarbeiten zu können. Die zu Recht seit den 1990er Jahren beklagte so genannte Zeitschriftenkrise führt dazu, dass viele WissenschaftlerInnen heute nicht einmal Zugriff auf die Fachartikel ihrer KollegInnen haben. "Open Access"-Intiatitiven stellen einen attraktiven Lösungsweg dar, wie auch der Kognitionswissenschaftler Stevan Harnard bei seinem Vortrag am Mittwoch in Wien ausführt.  
Massive Preissteigerungen bei Wissenschaftsjournalen
Der Großteil der wissenschaftlichen Zeitschriften wird weltweit von großen, kommerziellen (und daher gewinnorientierten) Verlagen wie Elsevier oder Springer herausgegeben. Die Abonnementpreise für die Zeitschriften steigen seit Jahren stetig und stark an: beispielsweise in Deutschland zwischen 1991 und 1997 in den Humanwissenschaften um 27 Prozent und um gar 77 Prozent in den Naturwissenschaften. Zentrale Zeitschriften kosten heute pro Jahr weit über 1000 US-Dollar. Im gleichen Zeitraum stieg das Budget der Bibliotheken jedoch nur um nominell 1,3 Prozent.

Dieser Trend ist auch heute noch zu beobachten und führt konsequenterweise zur Abbestellung vieler Zeitschriften. Abgesehen von einigen sehr gut dotierten Forschungsinstitutionen, können daher selbst große Organisationen wie die Österreichische Akademie der Wissenschaften, geschweige denn kleinere außeruniversitäre Forschungseinheiten oder Institutionen in den Schwellenländern, nur einen Bruchteil der für die Forschungsarbeit notwendigen Literatur im Abonnement beziehen.
Mögliche Antworten
Es gibt eine Reihe möglicher Strategien, diese Krise zu bewältigen. Eher unwahrscheinlich ist die massive Aufstockung der Forschungsbudgets (oder gar eine staatliche, weltweite? Preisregulierung). Viele plädieren daher - und in der Tat gibt es da bereits eine Reihe erfolgreicher Beispiele - für die Abkoppelung des wissenschaftlichen Publikationssystems von den kommerziellen Verlagen.

So werden viele neue Zeitschriften gegründet, die ein anderes Geschäftsmodell verfolgen: etwa dass nicht die LeserInnen, sondern die AutorInnen (bzw. deren Institutionen oder Fördergeber) pro Artikel bezahlen; oder dass die Zeitschrift lediglich kostendeckend geführt wird, wobei insbesondere die Vorteile des Publizierens im Internet voll ausgenutzt werden.

Freilich ist es für den Erfolg solcher alternativer Zeitschriften essentiell, dass sie relativ rasch genügend Reputation aufbauen, damit die wissenschaftlichen AutorInnen überhaupt bereit sind, dort zu publizieren, statt in den etablierten (kommerziellen) Zeitschriften.
Digitale Kopien jedes Texts auf öffentlichem Server
Aufgrund der Unsicherheit der gerade beschriebenen Lösungsmöglichkeiten, plädieren viele für einen radikal anderen Weg: Das etablierte Zeitschriftensystem soll im Prinzip unangetastet bleiben, jedoch soll von jedem wissenschaftlichen Text zusätzlich eine digitale Kopie auf einem öffentlich zugänglichen Server gespeichert werden.

Dies dient Dokumentations- bzw. Archivierungszwecken und wahrt (bzw. stellt her) den freien, offenen Zugang zu allen Veröffentlichungen. Diese Selbstarchivierung soll unabhängig davon geschehen, was der Verlag mit dem Artikel macht.
Stevan Harnad: Radikaler Verfechter des "Open Access"
Stevan Harnad, Kognitionswissenschafter von der University of Southampton in Großbritannien (derzeit: Université du Québec in Montreal/Kanada), setzt genau auf dieses Pferd und argumentiert folgendermaßen:

Alle WissenschaftlerInnen, ohne Ausnahme, publizieren ihre wissenschaftliche Ergebnisse in (referierten) Zeitschriften, ohne dafür bezahlt zu werden (davon gibt es zwar in manchen Fällen und Fächern geringfügige Ausnahmen, aber die finanzielle Kompensation steht in der Tat wohl nie im Vordergrund - dafür wäre sie auch viel zu gering.) Was die Forschenden hingegen wollen, ist, dass ihre Arbeit für alle potentiellen LeserInnen weltweit zugänglich wird (und nicht nur für jene, deren Instititution es sich leisten kann, das entsprechende Journal zu kaufen).

Zweck der Übung: Die wissenschaftlichen Ergebnisse werden gelesen, angewandt und zitiert, und damit wird der wissenschaftliche Fortschritt vorangetrieben. Beabsichtigter Nebeneffekt: Die Reputation des/r zitierten Autors/in steigt.

Dies unterscheidet die AutorInnen wissenschaftlicher Artikel von jenen, die anderen "Content" produzieren (etwa Bücher, Software, Musik, Film - diese UrheberInnen wollen in der Regel ihre Produkte nicht einfach so hergeben, weil sie in aller Regel davon leben).

Die Lösung für die WissenschaftlerInnen ist es nun, das System des Bezahlzugangs zu Zeitschriften durch den freien Online-Zugang zu selbstarchivierten Kopien im eigenen institutionellen "Open Access"-Archiv zu ergänzen.

Bereits 92 Prozent der Zeitschriften haben den AutorInnen diesbezüglich grünes Licht gegeben. Es ist also in den meisten Fällen praktisch keine Frage mehr, ob dieses Vorgehen rechtlich möglich ist, und es muss auch keine Creative-Commons-Lizenz vereinbart werden - auch wenn das oftmals zusätzlich wünschenswert wäre.
->   ROMEO-Datenbank (Liste der Verlage, die grünes Licht gegeben haben)
Vortrag von Stevan Harnad
Stevan Harnad, Aktivist der ersten Stunde der "Open Access"-Bewegung und selbst Betreiber eines Offenen Archivs, macht auf seiner weltweiten, schon zirka zehn Jahre dauernden Überzeugungstournee heuer auch in Wien Station, um dafür zu argumentieren und zu werben, dass möglichst alle WissenschaftlerInnen, die Zeitschriftenkrise durch (erlaubte) Selbstarchivierung auf Open-Access-Servern lösen.

[15.6.05]
->   Details zum Event am 15.6.
->   CogPrints-Archiv von Stevan Harnad
 
 
 
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