Host-Info
Helge Torgersen
Institut für Technikfolgen - Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Wissen und Bildung 
 
Warum Wissenschaft schwer zu kommunizieren ist
Von Alexandra Seiringer, Verein dialog<>gentechnik, und Helge Torgersen, ITA
 
  Wissen Sie, was "Synthetische Biologie" ist? Nein? Kein Wunder. Über das neue wissenschaftliche Feld wird in Europa - im Gegensatz zu den USA - noch relativ wenig berichtet. Warum ist das so? Im Zuge des Projekts "COSY - Communicating Synthetic Biology" analysieren Forscher anhand dieser nahezu unbekannten Disziplin, was aus der Wissenschaft medial verwertet wird und was die Berichterstattung beim Publikum bewirkt.  
Künstliches Leben?
Synthetische Biologie ist ein ingenieurmäßiger Ansatz, der Leben als konstruierbar ansieht. Mit genormten genetischen Bauteilen, die - analog zu elektronischen Schaltkreisen - beliebig kombinierbar sind, sollte jeder mit dem nötigen Konstruktionswissen solche Organismen bauen können, ähnlich wie einst Computer-Freaks in kalifornischen Garagenwerkstätten die ersten PCs zusammengelötet haben. Organismen, die bis vor kurzem als utopisch galten, werden möglich. Vorerst geht es um Bakterien, aber wer weiß ...

"Synthetische Biologen benutzen künstliche Moleküle [...] mit dem Ziel, künstliches Leben oder austauschbare biologische Teile herzustellen, um sie in Geräte und Systeme einzubauen, die in einer Weise funktionieren, wie man sie in der Natur nicht findet." (M. Schmidt: Diffusion of synthetic biology: a challenge to biosafety.)
...
Synthetische Biologie
Ziele der Synthetischen Biologie sind unter anderem, ganze Stoffwechselwege zu verpflanzen, Minimalorganismen zu konstruieren, die mit verschiedenen Funktionen "beladen" werden können, sowie gänzlich neue Formen des Lebens zu schaffen. (M. Heineman, S. Panke: Synthetic biology - putting engineering into biology.)

Über die gesellschaftlichen Folgen soll frühzeitig diskutiert werden. SYNBIOSAFE ist ein von der Europäischen Kommission gefördertes Projekt, um den Dialog über Synthetische Biologie zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu fördern.
->   SYNBIOAFE
...
Kein mediengängiges Thema
In den Medien hört man wenig davon. Woran liegt das? Fragt man Journalisten, was eine Meldung aus der Wissenschaft berichtenswert macht, bekommt man zur Antwort: Aktualität. Also sind Themen der Synthetischen Biologie nicht besonders aktuell?

Aktualität zielt darauf, den Leser durch Kenntnisnahme einer Meldung in seinem Informationsstand zu beeinflussen. Neuigkeit, also dass etwas Ähnliches nicht schon berichtet wurde, ist Voraussetzung. Meist reicht es, wenn sich die Meldung auf eine aktuelle Veröffentlichung in einem Fachblatt oder die Pressemitteilung eines Instituts bezieht. Außerdem sollte sie originell sein - je ungewöhnlicher, unterhaltender, skandalöser, desto besser.
...
Projekt COSY
Was wird wie aus der Wissenschaft berichtet, und was bewirkt das beim Publikum? Ein ELSA-Projekt - Communicating Synthetic Biology (COSY) - des österreichischen Genomforschungsprogramms GEN-AU versucht, am Beispiel Synthetische Biologie Antworten zu finden.
->   COSY
...
Relevant fürs Zielpublikum?
Vor allem geht es aber um Relevanz: Die Meldung muss für das Zielpublikum interessant sein. Fachwissenschaftliche Bedeutung ist für Journalisten weniger wichtig als der Bezug zu anderen aktuellen Ereignissen.

Meldungen aus der Wissenschaft können meist nur dadurch punkten, dass sie Relevanz aus anderen Zusammenhängen "borgen", auch wenn das dem Ideal einer nüchternen Wissenschaftsberichterstattung widerspricht.
Bezug zur Alltagswelt
Ein kontextorientierter Wissenschaftsjournalismus, der eine breitere Öffentlichkeit erreichen will, muss ein neues, meist sperriges Thema so aufbereiten, dass ein Laienpublikum den Nutzen für sich erkennt. Ein Bezug zur Alltagswelt muss geschaffen werden, etwa durch konkrete Anwendungen.

Oder anderweitig Aktuelles bietet Bezugspunkte: Erkenntnisse der Plattentektonik finden eher Interesse, wenn es gerade ein Erdbeben gab. Bezüge zu aktuellen Skandalen aber können auch den Eindruck erzeugen, dass Medien gerne negativ berichten - was zumindest für den Wissenschaftsteil nicht einmal für die Gentechnik stimmt.
...
Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative
...
Im falschen Kontext
Das "Anschließen" an nichtwissenschaftliche Themen kann den Kontext auf lange Zeit bestimmen. Die Debatte um "gentechnische" Nahrungsmittel etwa bezog Energie aus parallel stattfindenden Lebensmittelskandalen, die mit Gentechnik nichts zu tun hatten. Eine wissenschaftlich-rationale Diskussion von Risiken ist wegen dieses Kontexts aber kaum möglich.

Umgekehrt weckten Berichte über die menschliche Genomsequenz Hoffnungen auf schnelle Therapien. Enttäuschte Erwartungen - etwa, dass "Krebs bald vermeidbar" sein würde - trugen zur Skepsis gegenüber solchen Versprechungen bei. Aus Gründen der Anschlussfähigkeit prägen sie aber weiterhin die Berichterstattung.
Metaphern riskant
Um wissenschaftliche Inhalte zu erklären, benutzen Journalisten Metaphern, die oft unterschwellige Botschaften transportieren. Komplizierte Sachverhalte lassen sich mit Bildern leichter kommunizieren, die einen bestimmten Zusammenhang nahe legen. Ein (intendierter?) Nebeneffekt ist, dass Relevanz emotionell verstärkt wird.

Sehr effizient ist Kontextualisierung durch die Bezugnahme auf eine Person. Ein Beispiel ist der amerikanische Genomforscher Craig Venter, der seine Anliegen sehr geschickt in die Medien trägt. Als Nebeneffekt werden wissenschaftliche Inhalte transportiert.
Ethik und Journalismus
Moral ist ohne besondere wissenschaftliche Vorkenntnisse zugänglich und kann ebenfalls den benötigten Kontext schaffen. Wissenschaftliche Erkenntnisse durch technische Manipulation von Lebewesen sind vor allem dann suspekt, wenn diese menschenähnlich sind.

Besonders wenn sich ein Bezug zu historischem Missbrauch herstellen lässt, wird es kritisch und damit interessant. Solange es um Bakterien geht, ist das moralisch kein Problem und wenig berichtenswert.
Eine Meldung wert?
Es gibt also eine Reihe von Kriterien, die den journalistischen Erfolg einer wissenschaftlichen Meldung bestimmen. Das Thema Synthetische Biologie erfüllt nur wenige:

Neuheit: Selbst unter Wissenschaftlern besteht Unklarheit, was an der Synthetischen Biologie im Vergleich zur Gentechnik neu ist. Möglicherweise ist sie nur eine Weiterentwicklung derselben ohne fundamental neue Resultate.

Relevanz: Es gibt kaum konkrete Anwendungen, damit fehlt die Alltagsrelevanz für das Publikum. Ein Malaria-Medikament oder Bakterien zur Erkennung von Landminen sind hierzulande kaum von Belang.
Wenig Konkretes
Skepsis: Wissenschaftliche Ergebnisse über relevantere Entwicklungen wie die Biotreibstofferzeugung sind noch zu wenig konkret - gegenüber Zukunftsperspektiven besteht Skepsis angesichts nicht eingehaltener Versprechungen.

Visualisierung: Bilder zur Veranschaulichung fehlen - wo es keine Anwendungen gibt, lassen sich keine darstellen.

Bezüge, die eine Kontextualisierung erlauben, sind schwach. Lediglich die Personalisierung durch Craig Venter hat Medienecho erzeugt, aber nur kurz. Sobald er andere Themen pushte, verschwand Synthetische Biologie wieder.
Neuigkeit allein reicht nicht
Wissenschaftliche Meldungen als solche sind für ein breites Publikum kaum interessant. Sie müssen einen gesellschaftlichen Kontext erhalten, um anschlussfähig zu sein. Wissenschaftliche Inhalte treten dabei oft hinter die gesellschaftlichen Bezüge.

Diese Kontextualisierung erhöht zwar die Aufmerksamkeit, bestimmt und verfestigt aber die Tendenz der Darstellung. Aktualität von wissenschaftlichen Inhalten wird also weniger durch die innerwissenschaftliche Bedeutung bestimmt als durch die gesellschaftlichen Bezüge, an die angeschlossen wird.
Mediales Thema - oder doch nicht?
Und wann wird Synthetische Biologie ein Thema? Über wissenschaftliche Erkenntnisse der Synthetischen Biologie wird wohl erst dann berichtet, wenn sie konkreter sind und mehr Bezüge zur Alltagswelt haben, egal ob positiv oder negativ.

Die Herstellung einer "eierlegenden Wollmilchsau" kann als Lösung eines konkreten Problems oder als Gegenstand moralischer Entrüstung dargestellt werden - sie wird sicher eine Meldung wert sein.

[19.9.08]
->   Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA):
->   dialog<>gentechnik:
->   GEN-AU
->   Mehr von Helge Torgersen auf science.orf.at
->   Alle Beiträge der Serie "Sprechen Sie Wissenschaft"
 
 
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick