Host-Info
Helge Torgersen
Institut für Technikfolgen - Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Medizin und Gesundheit 
 
Medikamente: Marginaler Nutzen zu hohen Mehrkosten  
  Teurere Präparate müssen keineswegs wirksamer sein als die billigeren Medikamente, wie Vergleiche der Wirksamkeit und der Kosten verschiedener medizinischer Leistungen, so genannte Health Technology Assessments, mitunter zeigen.  
Beispiel CMV-Therapie nach Organtransplantationen
Manche Innovationen weisen keinen oder nur marginalen Nutzen zu enormen Mehrkosten auf. Ein Beispiel liefert der Vergleich zweier Wirkstoffgruppen für die Behandlung von Infektionen mit dem Cytomegalievirus (CMV), der häufigsten Infektion nach Organtransplantationen.
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CMV, ein weitverbreiteter Herpesvirus
60-90 Prozent der Erwachsenen tragen den CMV-Virus in sich. Während eine CMV-Infektion bei gesunden Menschen unproblematisch verläuft, kann sie bei immungeschwächten Menschen, z.B. nach einer Organtransplantation, schwerwiegende Folgen haben. Eine CMV-Infektion wird u.a. mit der Abstoßung und dem Nichtfunktionieren des transplantierten Organs in Zusammenhang gebracht.
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Unterschiedliche Wirkstoffgruppen
Während Übereinstimmung herrscht, dass eine CMV-Infektion frühzeitig behandelt werden muss, ist die Wahl der Wirkstoffgruppe - Virustatika oder Immunglobuline, bekannte Substanzen, die für diesen Zweck neu "entdeckt" wurden - Gegenstand eines langen klinisch-wissenschaftlichen Disputs. Neben der Wirksamkeit geht es auch um die Kosten, da Immunglobuline wesentlich teurer sind.
Unterschiede in der Verwendung - warum?
Die jeweilige Bevorzugung einer der beiden Wirkstoffgruppen variiert enorm unter den österreichischen Transplantationszentren - unabhängig vom Transplantationsaufkommen und von Unterschieden in den jeweiligen Risikogruppen.

In den letzten Jahren wurden mehr und mehr Immunglobuline verwendet. Ein vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) im Juli abgeschlossener Vergleich der Wirksamkeit und Kosten der beiden Wirkstoffgruppen anhand der verfügbaren Evidenz ergab allerdings keinen besonderen Grund für diese Bevorzugung von Immunglobulinen.
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Vergleich Virustatika - Immunglobuline
Sowohl Virustatika als auch Immunglobuline zeigen in den klinischen Studien gegenüber keiner Behandlung eine signifikante Abnahme der Zahl von CMV-Infektionen. Im Vergleich der beiden Präparate sind Virustatika etwas wirksamer, allerdings wirken sie auch toxischer. Derzeit gibt es aber keinerlei Evidenz für einen Vorteil von Immunglobulinen gegenüber Virustatika.
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Marginaler Nutzen, erhebliche Mehrkosten
Da bei vergleichbarer Wirksamkeit Immunglobuline wesentlich teurer sind, kommen alle publizierten Kosten-Nutzen-Analysen zu dem Schluss, dass die Verwendung von Virustatika kosteneffektiver ist. Der Nutzen von Immunglobulinen, die geringere Toxizität, ist aus klinischer wie ökonomischer Sicht marginal.
Therapieschema ist wichtig
Weniger marginal ist dagegen die Wahl des Therapieschemas. Neben dem Nutzen- und Kostenvergleich von Wirkstoffen befassen sich gesundheitsökonomische Überlegungen nämlich auch damit, wann behandelt werden soll.

Hier lassen sich tatsächlich erhebliche Mittel einsparen - ohne Verminderung der Qualität der Behandlung.
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Unterschiedliche Risiken - gleiche Behandlung?
Zum Beispiel haben nicht alle Patienten mit Organtransplantaten das gleiche Erkrankungsrisiko, dennoch erhalten in der Praxis meist alle eine Prophylaxe gegen CMV, unabhängig vom Risiko.

Da sich ein Teil der infizierten Patienten spontan erholt, wäre eine gezielte Prophylaxe (nur bei hohem Risiko) und Therapie (erst nach positiver Diagnose) von Vorteil, sowohl für die Patienten als auch aus ökonomischer Sicht.
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Neuartigkeit ist nicht automatisch Nutzen
Die Liste von Medikamenten, die aufgrund neuartiger Wirkungsweise oder Verwendung als "innovativ" gelten, erheblich teurer sind und herkömmliche Präparate verdrängen, ist lang.

Bei näherem Hinsehen ist der Nutzen für den einzelnen Patienten aber oft gering oder gar nicht vorhanden. Die Mehrkosten sind dagegen mitunter enorm und können dazu führen, dass an anderer Stelle eingespart werden muss - zuweilen dort, wo Patienten es durchaus spüren.
Innovation mit Maß und Ziel
Fazit: Die Verwendung neuartiger Präparate oder Therapien ist sicher notwendig, sinnvoll und zu begrüßen, darf aber nicht zum Selbstzweck werden. Eigentlich eine Binsenweisheit ...

(CW)
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