Host-Info
Helge Torgersen
Institut für Technikfolgen - Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Stammzellenforschung - quo vadis ?  
  Ist die Forschung an Stammzellen wirklich "nur" ein ethisches Problem, wie man mit Embryonen umgeht? Der Fokus auf embryonale Stammzellen verdeckt andere Fragestellungen, zum Beispiel solche einer künftigen medizinischen Praxis. Dabei gibt es heute schon Vorläufer, anhand derer man lernen kann.  
Stammzellen - Top-Thema der Biomedizin
Die Forschung mit Stammzellen ist derzeit Inhalt zahlreicher grundlagenwissenschaftlicher, klinischer, bioethischer und gesundheitspolitischer Diskussionen. Die uneingeschränkte Euphorie ob der Möglichkeiten der Stammzellenmedizin wurde zwar erst jüngst durch Erkenntnisse zur erhöhten Krebsanfälligkeit gedämpft. Dennoch erwarten sich viele - darunter auch Biotechnologiefirmen - eine Revolution der Medizin.

Dabei entsteht oft der Eindruck, als ob es sich bei der klinischen Anwendung von Stammzellen um völliges Neuland handelte. Ein Grund dafür durfte sein, dass zumindest in der öffentlichen Diskussion fast immer die ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen im Zentrum stehen.
...
Adulte und embryonale Stammzellen
Während adulte Stammzellen bereits determiniert sind, d.h. dem entnommenen Gewebe oder Organ entsprechend vorbestimmt sind, sind können embryonale Stammzellen theoretisch in jede gewünschte Entwicklungsrichtung differenzieren. Von embryonalen Stammzellen wird erwartet oder erhofft, dass sie Organ- und Gewebetransplantationen überflüssig machen, da das gewünschte Material nachwachsen soll. Aber auch adulte Stammzellen können in gewünschte Richtungen differenziert werden, wenn auch die Möglichkeiten eingeschränkter sind. Inzwischen wurden Stammzellen in zahlreichen Geweben gefunden, auch im Nervengewebe.
...
Ist das Potenzial adulter Stammzellen ausgeschöpft ?
Eine frühzeitige Bewertung der Möglichkeiten, Grenzen und des Nutzens der Anwendungen insbesondere der ethisch nicht umstrittenen adulten Stammzellen wäre wichtig. Im Zuge des bioethischen Diskurses zur Nutzung embryonaler Stammzellen mehren sich die Wortmeldungen, dass "das Potenzial adulter Stammzellen nicht ausgeschöpft ist" (Elmar Doppelfeld beim Forum Alpbach) oder dass die Möglichkeiten adulter Stammzellen unterschätzt werden.

Erst kürzlich gelang es einem Wiener Kardiologen einem Herzinfarktpatienten eigene (autologe) Stammzellen zu verabreichen und damit die Herzleistung deutlich zu verbessern. Diese und weitere Anwendungen sind im Versuchsstadium. Gefragt wären Möglichkeiten, die Bedingungen und Folgen der Anwendung adulter Stammzellen frühzeitig und realistisch abzuschätzen.
Klinische Praxis heute: Knochenmarktransplantationen
Während das Potential adulter Stammzellen aus verschiedenen Geweben sicher noch nicht abzusehen ist, gibt es doch Beispiele verbreiteter klinischer Anwendungen, die Erfahrungen liefern, aus denen Rückschlüsse für künftige Auswirkungen, Lösungen und Probleme gezogen werden könnten.

Heute sind vor allem hämatopoetische Stammzellen, gewonnen aus dem Knochenmark, in der Hämato-Onkologie in Anwendung. Einige zu erwartende Entwicklungen lassen sich bereits anhand dieses Beispiels absehen: Einerseits wird der Bedarf stark steigen, andererseits werden die Anwendungsmöglichkeiten zuweilen überschätzt.
...
Steigender Bedarf und zuweilen Ernüchterung
Autologe Stammzellentransplantationen haben in den letzten Jahren enorm zugenommen. Das Europäische Knochmarktransplantationsregister/ EBMT weist eine Zunahme von 2000 (autologen) Transplantationen Mitte der 90er Jahre auf 12.000 im Jahre 2000 und eine Zunahme von 2000 allogener (fremde Stammzellenspende) auf 4000 auf. Nicht alle klinische Anwendungen befriedigen allerdings die Erwartungen. Wie z.B. Untersuchungen zur Hochdosis-Chemotherapie nach Brustkrebs zeigten, war die Therapie in dieser Indikation weniger erfolgreich, aber wesentlich teurer als Alternativen.
...
Eine öffentliche Diskussion zum tatsächlichen Nutzen ...
Während die öffentliche (und öffentlich wahrnehmbare) Diskussion sich nahezu ausschließlich auf den Diskurs zur Ethik der embryonalen Stammzellenforschung beschränkt, wird kaum über den tatsächlichen oder realistisch zu erwartenden medizinischen Nutzen geredet.

Dieser dürfte beträchtlich sein, aber wie das Beispiel der hämatopoetischen Stammzellentransplantationen beweist, werden nicht alle medizinischen Anwendungen sinnvoll sein. Auch die jüngsten Erkenntnisse zur erhöhten Krebsanfälligkeit von Stammzellen stimmen nachdenklich.
... und frühzeitige realistische Evaluierungen wären notwendig
Unbestritten ist dagegen, dass neue Möglichkeiten eröffnet werden, die es allerdings realistisch und unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen (und zwar nicht nur der rein medizinisch-wissenschaftlichen) abzuschätzen gilt.

Nicht zuletzt weil Stammzellentransplantationen bislang sehr kostenintensive Interventionen sind, wären frühe Anwendungsbeobachtungen und Evaluierungen unbedingt erforderlich.
...
NCCHTA-Report zu "bone marrow and peripheral blood stem cell transplantation for malignancy", 1998

ISEG-Bericht zu "Hochdosis-Chemotherapie mit autologer Stammzellentransplantation zur Therapie des metastasierenden Mammakarzinoms", 1999 mit Ergänzung 2000

(CW)
...
Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin
Hinweis der "science.orf.at"-Redaktion:

Am 11. und 12. Oktober findet im Wiener RadioKulturhaus das Internationale Symposion "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin?" statt. Veranstalter sind die Ö1 - Wissenschaftsredaktion und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien, in Kooperation mit der Ärztekammer und dem Zentrum für Medizinrecht.
->   Programm und Teilnehmer des Symposions
 
 
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick