Host-Info
Helge Torgersen
Institut für Technikfolgen - Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Gesellschaft 
 
Telekommunikationsnetze als Kontrollinstrumente
Von Johann Cas, ITA
 
  Wie weit dürfen Befugnisse zur Überwachung gehen, ohne die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte zu verletzen? Eine vorläufige Bilanz drei Monate nach dem 11. September zeigt tiefgreifende Veränderungen, die unsere Gesellschaft noch weit in die Zukunft prägen könnten.  
Es ist nicht wirklich verwunderlich, dass in der vom Schock der Attentate vom 11. September geprägten Atmosphäre Fragen der Sicherheit die politischen Debatten beherrschten und fieberhaft nach Maßnahmen gesucht wurde, um solche Ereignisse in Zukunft möglichst verhindern zu können.

Sehr bald wurden auch Warnungen laut, dass gravierende Einschränkungen der Grundrechte auf uns zu kommen könnten und man dadurch Gefahr läuft, das Kind mit dem Bade auszuschütten, d.h. im Namen der Verteidigung der Grundwerte demokratischer Gesellschaften eben diese über Bord zu werfen.
Stärkere Überwachung der Telekommunikation
Erweiterte Befugnisse zur Überwachung des Telekommunikationsverkehrs standen von Beginn an im Zentrum der diskutierten Maßnahmen. Zugleich waren sie ein wichtiger Angelpunkt der Kritik: wie weit dürfen diese Befugnisse gehen, ohne die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte zu verletzen?

Eine vorläufige Bilanz nach noch nicht ganz drei Monaten zeigt tiefgreifende Veränderungen, die unsere Gesellschaft noch weit in die Zukunft prägen könnten.
Eine Chronologie
Die Idee für den größten Teil der beschlossenen Maßnahmen zur Überwachung des Telekommunikationsverkehrs wurde nicht erst nach dem 11. September geboren. Sie sind vielmehr das Ergebnis von laufenden Verhandlungsprozessen oder von Projekten, die schon lange in den Schubladen ruhten, weil sie nicht durchsetzbar schienen.

Dennoch kann man von einer völlig neuen Situation sprechen: Nicht nur die Geschwindigkeit, mit der Überwachungsmaßnahmen den Entscheidungsprozess durchlaufen und deren Realisierungschancen haben sich vervielfacht, auch die Art und Weise, mit der über Grundrechte hinweggesehen wird, war in demokratischen Gesellschaften bislang nicht üblich.
...
Beispiele aus der Liste von Initiativen seit dem 11. September (I)
Eine Gesetzesinitiative unter dem Titel Anti-terrorism, Crime and Security Bill wurde am 13. September in Großbritannien veröffentlicht. Sie enthält u. a. Regelungen über eine generelle längerfristige Speicherung von Telekommunikationsdaten.

Ebenfalls noch im September wurde in Frankreich ein Anti-Terror-Paket beschlossen, das u.a. die Speicherung von Vermittlungsdaten auf die Dauer von bis zu einem Jahr vorsieht.

In Deutschland wurde am 24. Oktober eine Telekommunikationsüberwachungsverordnung erlassen, welche die Schaffung der technischen Infrastruktur zur Überwachung von Telekommunikationseinrichtungen auf Knopfdruck vorschreibt und die Handyortung mit der Erstellung von Bewegungsprofilen zulässt. Auch hier wird erwägt, den britischen Bestrebungen zur Aufbewahrung von Verkehrsdaten zu folgen.

Am 26. Oktober wurde in den USA ein Patriot Act genanntes Anti-Terror-Paket verabschiedet. Unter anderem ermöglicht dieses Gesetz die Überwachung aller Kommunikationsformen wie Emails, Internet und Mobiltelefone.

Am 8. November wurde die Cybercrime-Konvention des Europarates verabschiedet und am 23. November von 26 Mitgliedstaaten sowie vier außereuropäischen Staaten ratifiziert. Dieses Abkommen enthält eine Reihe von Bestimmungen, die gegenwärtigen Datenschutzregelungen widersprechen und sie aushöhlen. Entgegen dem allgemeinen Verständnis beschränkt sich diese Konvention nicht auf die Computerkriminalität, die angeführten Verpflichtungen zur Überwachung und zum internationalen Datenaustausch betreffen auch nicht computerbezogene kriminelle Aktivitäten.
...
Was ändert sich dadurch?
Eine unmittelbare Konsequenz ist, dass bislang - nicht ohne Grund - Verbotenes zu einer Verpflichtung wird. Nach geltendem Recht ist die Speicherung von Verkehrsdaten grundsätzlich verboten, sofern dies nicht zur für die Erbringung des Dienstes technisch erforderlich ist oder für die Rechnungslegung dient. Sobald diese Gründe wegfallen, weil etwa die Einspruchsfrist gegen falsche Rechnungen abgelaufen ist, müssen diese Daten gelöscht oder anonymisiert werden.

In Zukunft kann die Speicherung dieser Daten auf Vorrat vorgeschrieben werden. Dadurch lässt sich nachträglich feststellen, wer mit wem telefoniert hat und, durch die Einbeziehung der Mobilkommunikation und des Internets, auch wo man sich wann aufgehalten hat und welche persönlichen Vorlieben und Interessen man beim Surfen im Internet verfolgt.
Zugriff auf Daten wird einfacher
Auch der Zugriff zu diesen Daten wird einfacher. Wo bislang eine richterliche Anordnung aufgrund eines konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Straftat erforderlich war, reicht zukünftig beispielsweise eine Anfrage aus einem der Unterzeichnerstaaten der Cybercrime-Konvention (siehe Kasten oben, Anm.).

Ob dieser dabei den eigenen nationalen Auflagen vergleichbare Normen oder die Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention einhält, bleibt unerheblich.

Zudem werden immer mehr Tatbestände als schwerwiegende Vergehen klassifiziert und mit strafrechtlichen Konsequenzen belegt, die entsprechende Überwachungsmaßnahmen erlauben.
...
Beispiele aus der Liste von Initiativen seit dem 11. September (II)
Am 27. November wurde in Brüssel ein EU-Forum on Cybercrime einberufen, das sich mit dem Thema Aufbewahrung von Verkehrsdaten befasste. Die Neufassung der EU-Datenschutzrichtlinie, die in der Ratssitzung vom 6. und 7. Dezember offiziell vorgelegt wurde, sieht eine Lockerung des Verbots der Speicherung von Verkehrsdaten vor, damit nationale Regelungen zur verpflichtenden Aufbewahrung dieser Daten möglich werden.

Einen vorläufigen Höhepunkt stellt die Neufassung der EU-Datenschutzdirektive dar, die am 6. Dezember in der Ratssitzung zum Thema Telekommunikation und Transportwesen offiziell vorgelegt wurde. Da viele der in den letzten Wochen beschlossenen Maßnahmen den Bestimmungen der alten Richtlinie widersprechen, wurde in der neuen Direktive entgegen den Absichten des EU-Parlaments Möglichkeiten geschaffen, diese durch nationale Gesetze außer Kraft zu setzen.

Und natürlich ist auch Österreich von diesen Entwicklungen betroffen, einerseits indem die Verpflichtungen der Cybercrime-Konvention erfüllt oder EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Andererseits dreht Österreich auch selbst an der Überwachungsschraube: So wurde am 30. November eine Überwachungsverordnung veröffentlicht, die unter anderem eine Verpflichtung der Netzbetreiber zur Installation von technischen Überwachungseinrichtungen beinhaltet, die dem neuen ETSI-Standard (European Telecommunications Standardisation Institute) entsprechen und somit in Zukunft auch die Überwachung des Internet-Verkehrs erlauben werden.
...
Netzte als Überwachungsinstrumenten
Die Telekommunikationsnetze werden zu Überwachungsinstrumenten umfunktioniert. Die Datenspuren, die durch jegliche Aktivität in Netzwerken erzeugen werden, bleiben erhalten, unter Umständen jahrelang.

Jeder Nutzer wird zum prinzipiell Verdächtigen, dessen Verhalten protokolliert und bei Bedarf nachträglich ausgewertet werden kann.
Wird die Welt dadurch sicherer?
Wird die Welt dadurch sicherer? Sicher nicht in der intendierten Art und Weise. Wird das Überwachungsnetz engmaschiger, so werden wohl mehr kleine Fische hängen bleiben, das Fangnetz verstopfen und dadurch für die großen Fische sichtbar und umgehbar machen.

Wahrscheinlich werden Copyright-Verletzungen durch Tauschbörsen erschwert oder Attacken auf Computersysteme leichter verfolgbar.

Terrorismus oder organisierte Kriminalität wird sich aber auf diese Weise nicht verhindern lassen, im Gegenteil, einiges spricht dafür, dass durch die Umgestaltung zu Überwachungsnetzen die Ermittlungsfunktion verloren geht.
Riesige Datenmengen - geringe Ermittlungs-Effizienz
Ein Teil des Telekommunikationsverkehrs wurde schon bislang überwacht. Und selbst in dieser Teilmenge waren nicht zu wenig, sondern zu viele Daten vorhanden, um brauchbare Spuren finden zu können, wie Analysen der Ermittlungen zu den Attentaten vom 11. September ergaben.

Eine Vervielfachung der gespeicherten Daten kann trotz leistungsfähigerer Technologien zur automatischen Durchforstung der Daten die Effizienz von Ermittlungsbehörden nur weiter verringern.
Spuren in der Datenflut
Die Bewältigung der schieren Menge an Daten ist aber nur eine Seite der Medaille: Zugleich wird die Zahl der potentiell brauchbaren Spuren innerhalb dieser Datenflut abnehmen. Niemand wird vor den Augen und Ohren eines offensichtlichen Polizisten Details eines geplanten Verbrechens ausbreiten.

Ebenso wenig wird ein halbwegs intelligenter Einbrecher sein eingeschaltetes Handy mit auf seine Einbruchstouren nehmen, sobald bekannt ist, dass Bewegungsprofile automatisch gespeichert werden.

Umso weniger werden verbrecherische Organisationen die Telekommunikationsinfrastruktur in einer Art nutzen, die verwertbare Hinweise auf ihr Tun zulassen könnte.

Die Erfolge, die in der Vergangenheit mit Überwachungsmaßnahmen erzielt werden konnten, beruhten gerade darauf, dass der Täterkreis nicht mit einer Überwachung gerechnet hat.
Weitergedacht ...
Durch die generelle Speicherung von Telekommunikationsdaten berauben sich Polizeibehörden selbst eines wichtigen Ermittlungsinstrumentes. Im Gegenzug wird die Kontrollfunktion von Telekommunikationsnetzen umso mehr verstärkt.

Darf man sich noch unbesorgt über politische Meinungen abseits des Mainstream informieren, soll man noch im Internet nach Rat bei psychischen Problemen oder körperlichen Leiden suchen, oder läuft man damit Gefahr, in den engen Maschen einer willkürlich festgelegten "Normalität" hängen zu bleiben?
Mehr Überwachung für mehr Sicherheit für mehr Überwachung ...
Folgt man der vermeintlichen Logik "Mehr Sicherheit durch mehr Überwachung", so werden die skizzierten Maßnahmen weitere nach sich ziehen. Das vorhersehbare Scheitern wird den Ruf nach Verschärfungen laut werden lassen.

Zuerst wird man versuchen, vorhandene Schlupflöcher bei den Telekommunikationsnetzen zu beseitigen. Logische Folge wäre, dass Wertkartenhandys verboten und Telefonzellen zumindest mit Videoüberwachungskameras ausgerüstet werden, der Internetzugang mit einer Ausweispflicht versehen wird und Internetcafes geschlossen werden.
Keine Verschlüsselung von Nachrichten mehr
Auch die Verschlüsselung von Nachrichten müsste dann verboten werden. Damit dieses Verbot auch durchsetzbar wird, muss konsequenterweise erlaubt sein, die Inhalte aller Nachrichten zu lesen, um widerrechtliche Verschlüsselungen aufzudecken.

Natürlich kann diese Entwicklung nicht bei der Telekommunikation Halt machen, es gibt ja noch ein Briefgeheimnis, das "missbraucht" werden könnte ...
Nicht nur die Privatsphäre ist bedroht
Und die Entwicklung macht auch nicht bei Einschränkungen der Privatsphäre halt. Viele der geplanten bzw. beschlossenen Überwachungsmaßnahmen sind eingebettet in Kataloge, die die Befugnisse des Staates über Gebühr auf Kosten der Freiheit des Einzelnen ausdehnen, gewohnte und bewährte Standards des Rechtschutzes außer Kraft setzen oder Vorschläge enthalten, die eher an längst vergangene Zeiten oder totalitäre Systeme erinnern als an demokratische Gesellschaften.

Wie lange kann sich eine demokratische Gesellschaft Gesetze leisten und die staatlichen Behörden mit Vollmachten ausstatten, die totalitären Methoden gleichen, ohne einer autoritären Mentalität anheim zu fallen und in den Totalitarismus zu verfallen?
Grundrechte in ihrer Gesamtheit erhalten
Vielleicht wird aber doch vorher bewusst, dass die Grundrechte nur in ihrer Gesamtheit erhalten werden können und es einer besonders sorgfältigen Balance bedarf, wenn man glaubt, Sicherheit gegen andere Grundrechte aufwiegen zu müssen.

Und vielleicht besinnt man sich wieder stärker des Ausspruchs von Benjamin Franklin (1706-90): "Those who desire to give up Freedom in order to gain Security, will not have, nor do they deserve, either one."
->   Institut für Technikfolgen-Abschätzung
->   Anti-terrorism, Crime and Security Bill in Großbritannien
->   Antiterror-Paket in Frankreich
->   Telekommunikationsüberwachungsverordnung in Deutschland
->   Cybercrime-Konvention des Europarates
->   USA Patriot Act
->   EU-Forum on Cybercrime
->   Vorschlag für eine neue EU-Datenschutzrichtlinie
->   Überwachungsverordnung in Österreich
 
 
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick