Host-Info
Helge Torgersen
Institut für Technikfolgen - Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit 
 
Jenseits des Hypes - AAAS Jahrestagung 2002  
  Ändert sich das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft in den USA? Die diesjährige Tagung der American Association for the Advancement of Science bot einige Anhaltspunkte.  
Jahrmarkt der Wissenschaft
Die Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS), ein gigantischer, fast einwöchiger Jahrmarkt der US-Wissenschaft, fand diesmal in Boston, MA statt. Sowohl im Selbstverständnis der Beteiligten wie in den Medien war das AAAS Annual Meeting schon immer ein Schaufenster nach außen.

Dementsprechend spielte das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft auch in vergangenen Annual Meetings eine wichtige Rolle in zahlreichen Vorträgen und Symposien, meist in Form von Berichten über großartige neue Erkenntnisse oder atemberaubende technische Fortschritte, die einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurden.
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2001 im Zeichen des Genoms
Die Jahrestagung 2001 etwa stand ganz im Zeichen der Entzifferung des menschlichen Genoms, und viele Besucher hatten sich mit ihren Nature- oder Science-Sonderheften, in denen darüber berichtet wurde, zu den Protagonisten der Genomforschung J.Craig Venter und Francis S. Collins aufgemacht, um Autogramme zu ergattern.
->   Science Magazine
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2002 im Zeichen der Differenzierung
Auf der gerade zu Ende gegangenen Jahrestagung 2002 war das Thema Wissenschaft und Gesellschaft ebenfalls von großer Bedeutung.

Allerdings ging es nicht nur darum, dem Publikum die Faszination wissenschaftlicher Durchbrüche vorzuführen, sondern auch um Ernüchterung und Differenzierung, um die Probleme, die entstehen, wenn Wissenschaft nutzbar gemacht wird und vor allem um die Rolle, die Wissenschaft jenseits von Jubelmeldungen in der Gesellschaft spielt.
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Umwelt- und Gesellschaftsthemen
Während nur eine von 14 Symposienreihen das Thema Innovation im Titel trug, waren vier unterschiedlichen Umweltthemen und fünf dem nicht immer reibungsfreien Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft gewidmet. Symposien beschäftigten sich zum Beispiel mit Fragen wie "What message is Science sending -and how?" oder "Can Science better serve society's needs and remain creative?"
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Ändert sich das Verhältnis Wissenschaft-Gesellschaft?
Im Gespräch mit Kollegen wurde dem staunenden Europäer bestätigt, dass sich in den USA tatsächlich langsam etwas zu verändern scheint im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft.

Was genau das ist, ist schwer zu sagen, aber einerseits ist eine gewisse Vorsicht beim Versprechen revolutinärer Neuerungen und damit verbundener Gewinnerwartungen zu bemerken.

Andererseits scheint ein Nachdenken darüber eingesetzt zu haben, was eigentlich der Nutzen neuer Erkenntnisse für die Gesellschaft ist, wenn es nach vorherrschendem US-Verständnis so etwas überhaupt gibt.
"Bubble Burst" und "Nine Eleven"
Die Gründe dafür sind Spekulation, aber man geht wohl nicht ganz fehl, wenn einem einerseits das Platzen der Technolgie-Börsenblase und andererseits "Nine-Eleven" einfallen.

Sicher ist, dass Wissenschaft sich in immer stärkerem Maße verkaufen muss, und zwar nicht nur um Geld aufzutreiben, sondern auch, um in der öffentlichen Meinung und in der Politik zu punkten.

Vorbei scheinen die Zeiten, in denen man bloß etwas als "wissenschaftliche Neuerung" zu bezeichnen brauchte und einem Unterstützung sicher war.
Nanotechnologie und Genom
Die Unterschiede zwischen der Präsentation faszinierender Perspektiven und daran geknüpfter Versprechungen und einer eher nachdenklichen und differenzierenden Darstellung neuer Erkenntnisse wurden auf der diesjährigen AAAS-Tagung im Vergleich zweier "Seminar" genannter Reihen von Vorträgen deutlich.

Das Nanotechnologie-Seminar war eher im Stil einer herkömmlichen Vermittlung des Faszinosums Wissenschaft gehalten. Den Tenor des ersten Tages des Genom-Seminars hingegen könnte man unter den Titel "It ain't necessarily so" fassen. Aus der Vielzahl interessanter Einsichten einige Beispiele.
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It ain't necessarily so
Ergebnisse der Genomforschung scheinen bisherige Vorstellungen von Evolution insbesondere bei Bakterien über den Haufen zu werfen - nur wenige Gene sind tatsächlich "konserviert" und die Stammbäume aus Sequenzvergleichen Fiktion (W.F. Dollittle/Dalhousie).

Man braucht neue Methoden wie Microarray-Techniken für Proetome (M. Snyder/Yale) und Konzeptionen, die mehrere genetische Elemente als funktionale Einheiten (analog elektronischer Bauelemente, C. Boone/Toronto) auffassen, um eine realistischere Vorstellung vom Verhältnis zwischen genomischer Information und tatsächlicher Funktion in der Zelle zu erhalten
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Beispiel "Fettsucht-Gen"
Warum oft "das Gen für" dies oder jenes in anderen als den Experimentalorganismen eben nicht "dafür" verantwortlich ist zeigte A. Arkin (Genomic Networks) u.a. am Beipiel des "obesity genes", um das es (nach einem Hype) wieder still geworden ist.

Dass die Zahl menschlicher Gene aus der reinen Sequenzinformation (ergibt ca. 30.000) kaum abzuschätzen ist, dass man dafür andere Methoden braucht und welche in Frage kommen, machte V.Velculescu (Johns Hopkins) klar, der die doppelte Anzahl findet.

J. Garber (Dana-Farber) zeigte die (bloß) relative Bedeutung der so genannten Brustkrebs-Gene auf, drei Viertel der Erkrankungen haben mit diesen Genen offenbar nichts zu tun.
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Differenzierung statt Hype
Nicht dass das alles brandneue Erkenntnisse sind. Aber verglichen mit anderen Veranstaltungen zum Thema Genomforschung war doch eine deutliche Differenzierung zu spüren, aus der sich zwar neue und spannende Herausforderungen ergeben, die aber mit dem "Hype" vom vorigen Jahr nicht vergleichbar sind.
Creationists und Genomics
Etwas befremdlich für einen europäischen Besucher war der offenbar attraktivste Seminar-Vortrag dieses Tages (gemessen an der Publikumszahl): E. Scott (Natl. Science Education) berichtete über Strategien der "Creationisten", Inkonsistenzen mit herkömmlichen Modellen, die sich aus Resultaten der Genomforschung ergeben, in Beweise für ihre Schöpfungstheorien umzumünzen.

Obwohl Duktus und Aussage dieser Präsentation mit den vorangegangenen kaum mithalten konnten, lauschte das US-Publikum andächtig ...
->   AAAS Annual Meeting 2002
->   AAAS
 
 
 
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