Host-Info
Helge Torgersen
Institut für Technikfolgen - Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Leben .  Wissen und Bildung 
 
Öffentlichkeit über Gentechnik nicht uninfomiert  
  Die Öffentlichkeit ist mitnichten uninformiert über Gentechnik in der Landwirtschaft -- im Gegensatz zu häufigen Annahmen von Behörden, Wissenschaftlern, der Industrie und auch gentechnik-kritischen NGOs.  
Die Mär von der irrationalen Öffentlichkeit
Die Öffentlichkeit versteht Risiko- und andere Aspekte durchaus, und Laiensachverstand reicht, um richtige Fragen zu den wissenschaftlichen Grundlagen der Risikoabschätzung zu stellen. Die "Leute auf der Straße" sind sich klar darüber, dass alle Risiken unmöglich vorhersehbar sind. Sie sind durchaus bereit, einige zu akzeptieren, wenn nur die Beteiligten einräumen, dass es Unsicherheiten gibt.

Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale, von der Europäischen Kommission geförderte Studie (PABE) zur öffentlichen Wahrnehmung von landwirtschaftlicher Biotechnologie, die kürzlich veröffentlicht wurde und über die das renommierte Fachjournal "Nature Biotechnology" berichtete (vol. 19 no.1, Januar 2001, S. 15).
Die richtigen Fragen gestellt
Zwischen 1998 und 2000 wurden Fokusgruppen-Interviews in fünf europäischen Ländern durchgeführt. Die Teilnehmer wollten vor allem wissen, wozu gentechnisch veränderte Organismen benötigt werden, wer den Nutzen hat, unter welchen Umständen der Nutzen eintritt, wer darüber entscheidet, welche Organismen entwickelt werden und wer im Fall eines unvorhergesehenen Schadens haftet.
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Fokusgruppen
Eine Fokusgruppe ist eine Gruppe von Laien, die mit einem Sachverhalt und bestimmten Fragen und Aussagen dazu konfrontiert werden und dann mit einem Moderator frei darüber diskutieren. Im diesem Fall wurden den Gruppen typische Aussagen der wesentlichen Beteiligten -z.B. von Vertretern aus Industrie, Wissenschaft, Behörden und NGOs - vorgelegt. Der Verlauf dieser Diskussion wird aufgezeichnet und hinterher genau analysiert. Fokusgruppen hatten eine wesentliche Rolle z.B. in Tony Blairs Wahlkampf, um die öffentliche Meinung zu bestimmten Themen zu erkunden. Sie ergeben oft ein überraschend anderes Bild als repräsentative Umfragen.
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Landwirtschaft und Medizin nicht unterschiedlich beurteilt
Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht sei die Öffentlichkeit nicht "für" oder "gegen" gentechnisch veränderte Organismen und Gentechnik würde auch nicht als unnatürlich empfunden. Es gäbe weder einen Gegensatz zwischen objektiver Risikoabschätzung und subjektiver öffentlicher Meinung noch eine unterschiedliche Akzeptanz von medizinischen und landwirtschaftlichen Anwendungen.

Nationale Unterschiede ließen sich kaum feststellen. Diese Ergebnisse stehen in Gegensatz zu einer im letzten Jahr veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage, die wesentliche Unterschiede in der Akzeptanz festgestellt hatte (Nature Biotechnology vol.18, S. 935, 2000).
Reaktion auf Bevormundung
Den Forschern der neuen Studie zufolge sind die Annahmen von Wissenschaftlern, Industrie und Behörden über die Reaktionen in der Öffentlichkeit falsch. Diese seien kein Ergebnis eines irrationalen Zugangs zum Thema Gentechnik, sondern eine Reaktion auf die Art und Weise, wie die Öffentlichkeit von solchen Eliten behandelt werde.

"Die öffentliche Meinung über gentechnisch veränderte Organismen wird bestimmt vom Verhalten der öffentlichen und privaten Institutionen, das in ganz Europa gleich war", sagte die Soziologin Claire Marris von der Universität Versailles. Das erkläre auch die geringen regionalen Unterschiede.
NGOs nicht anders
Auch NGOs fallen in dieses Verhaltensmuster. Marris zufolge meinen NGOs oft, sie müssten die Öffentlichkeit über Risiken aufklären und die Lösung läge in besserer Kennzeichnung und Information. Die Öffentlichkeit sehe NGOs zwar als notwendiges Gegengewicht zur Industrie, sei sich aber deren Parteilichkeit bewusst.
Mehr Beteiligung der Öffentlichkeit
Insgesamt kommt die Studie zum Schluss, dass die Öffentlichkeit verstärkt in den Innovationsprozess eingebunden werden sollte, und zwar bereits bei der Risikoabschätzung und nicht erst, wenn es darum geht, ein bestimmtes Produkt anzunehmen oder abzulehnen. "Wir müssen neue Verfahren entwickeln (...), um die Leute in die Bestimmung von Forschungsprioritäten und die Gestaltung der Risikoabschätzungen einzubinden", sagte Marris.

(HT)
->   Nature Biotechnology
->   PABE
->   Eurobarometer
 
 
 
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