Host-Info
Helge Torgersen
Institut für Technikfolgen - Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Medizin und Gesundheit 
 
Werden innovative Medikamente am raschen Marktzugang behindert ?  
  Deutsche Studie ergab: Nur wenige Pharmazeutika sind wirklich neu, sie werden schnell zugelassen. Viele "me too"-Präparate blockieren aber die Kapazität der Behörde.  
Langsame Behörde oder Stau?
Da die Pharmaindustrie regelmäßig über die Behinderung innovativer Präparate durch allzu lange Zulassungszeiten klagt, stellte nun das deutsche Bundesamt für Arzneimittel/ BfArM die berechtigte Frage: Arbeitet die Behörde zu langsam oder verursacht die Industrie mit "me too Präparaten" einen Stau ? Die Antwort ergab: Von den jährlich etwa 2.500 Zulassungsanträgen für neue Medikamente in Deutschland betreffen nur 10-20 tatsächliche therapeutische Innovationen. Diese werden ausnahmslos ohne Verzögerung zugelassen.
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Vielfalt am Markt oder Positivliste
Mit dem Ziel der Abschaffung der "Positivliste", die das Angebot an Medikamenten auf die von den Versicherungen refundierten beschränkt, führt ein deutscher Pharmaverband die Kampagne "Leben braucht Vielfalt". Kern der Kampagne ist die Klage der Pharmaindustrie über die langen Zulassungszeiten bei Anträgen für neue Medikamente. Das deutsche Bundesamt für Arzneimittel/BfArM, zuständig für die Betreuung von 60.000 Pharmazeutika, zeigte nun in einer Analyse der tatsächliche Zulassungssituation das geringe innovative Potential der zahllosen zur Zulassung anstehenden Medikamente auf.
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Wenige wirkliche Innovationen
Beim BfArM liegen derzeit 5.200 Neuzulassungsanträge vor: "Die Industrie hat also Recht, wenn sie von einem Stau unerledigter Anträge spricht", so Prof. H.G. Schweim, Leiter des BfArM. "Doch das wahre Problem liegt im Detail." Nach langjähriger Beobachtung betreffen nur 10, max 20 der Neuanträge therapeutische Innovationen. Diese Präparate werden (fast) ausnahmslos in Kooperation mit der Europäischen Zulassungsbehörde EMEA, die keinen "delay" hat, auf dem Markt zugelassen.
Zulassungsstau durch me too-Präparate
Der Rest der Anträge beinhaltet wirkstoff-idente Medikamente, sogenannte me-too Präparate, die gar keine oder nur geringfügige Verbesserungen gegenüber den bereits am Markt befindlichen Präparaten aufweisen. Zulassungsanträge für Präparate ohne Mehrwert oder Nutzen für die Patienten machen also die hohe Belastung von Pharma-Zulassungsbehörden aus.
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Arzneimittelvielfalt
Die von der Pharmaindustrie eingeforderte Arzneimittelvielfalt ist offensichtlich enorm: dieser Tage wird das 422ste Azetylzystein-Produkt zugelassen. Weitere Zahlen zu wirkstoffidenten (zugelassenen) Arzneimitteln: 310 Ambroxol, 259 Nifedipin, 250 Diclofenac, 293 Tramadol. Eine staatliche Bedarfsprüfung sieht das Arzneimittelgesetz nicht vor.
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Vielfalt behindert Marktzugang
Außer Frage steht, dass Arzneimittelvielfalt ein zulässiger Ausdruck des freien Marktes ist. Auch aus Kostengründen wie zum Beispiel bei Generika oder Parallelimporten sind idente Produkte erwünscht. Die Frage, die dennnoch bleibt, ist: Muß der Staat (unbegrenzte) Personalkapazitäten zur Verfügung stellen, um nicht-innovative Präparate "in time" zu bearbeiten?

(CW)
->   arznei-telegramm 2001; Jg 32, Nr. 3, 33/34
 
 
 
ORF ON Science :  Helge Torgersen :  Medizin und Gesundheit 
 

 
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