Host-Info
Heidemarie Uhl
Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Österreichische Akademie der Wissenschaften
 
ORF ON Science :  Heidemarie Uhl :  Gesellschaft 
 
Umstritten: Häuser der Geschichte  
  Häuser der Geschichte haben ihre eigene Logik. Nationale Geschichtsmuseen sind jene Orte, an denen die Geschichte eines Landes ausgestellt wird, an denen aus einer Vielzahl möglicher, auch widersprüchlicher und kontroversieller Geschichten eine als offizielle Sichtweise der Vergangenheit präsentiert wird. Dies erklärt auch den Streitwert des geplanten "Hauses der Geschichte der Republik Österreich".  
Das österreichische Projekt könnte allerdings einiges von der Debatte um die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin, "Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen aus zwei Jahrtausenden", lernen, die im Juni 2006 nach jahrzehntelangen Querelen ihre Pforten öffnete.
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Der Konflikt, der mit diesem Projekt von Beginn an verbunden war, kann nun auf "Zeitgeschichte-online" nachgelesen werden.

Die Beiträge des Themenschwerpunkts "Geschichtsbilder des Deutschen Historischen Museums. Die Dauerausstellung in der Diskussion" machen vor allem eines deutlich: dass mit der Eröffnung eines Nationalmuseums die Debatte um seine Geschichtsdarstellung keineswegs ihr Ende finden muss.
->   Geschichtsbilder des DHM. Die Dauerausstellung in der Diskussion
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Positive Sinnstiftung der Nation ein Anachronismus
Bild: EPA
Globus aus Hitlers Reichskanzlei, der von einem russischen Soldaten getroffen wurde (DHM)
Dem DHM wird auch in der Fachkritik attestiert, dass entgegen ursprünglicher Befürchtungen keine nationale Erfolgsgeschichte erzählt wird, sondern dass die negativen Bezugspunkte deutscher Geschichte - insbesondere die Phase 1933 bis 1945 - ausführlich beleuchtet werden.

Offenkundig machen historische Museen in Ländern, denen eine bruchlos-positive Geschichtserzählung nicht möglich ist - und dafür sind Deutschland und Österreich als "Nachfolgestaaten" des Dritten Reiches wohl paradigmatische Beispiele - die Transformation des nationalen Geschichtsmuseums besonders deutlich:

Geschichte entsprechend der Tradition des 19. Jahrhunderts in den Dienst einer positiven Sinnstiftung der Nation zu stellen, ist mittlerweile ein Anachronismus.
Geschichtsmuseum sollte Geschichte reflektieren ...
In den Museumsdebatten der letzten Jahre geht es aber auch darum, das historische Museum selbst neu zu definieren: nicht mehr als Ort nationaler Identitätsstiftung, sondern als Ort der Reflexion über Geschichte und ihre Darstellung - insbesondere auch jener des eigenen Hauses.

Diese Chance, so der Tenor von Kritikern wie dem Historiker Jürgen Kocka, Professor an der FU Berlin und Mitglied im Fachbeirat für die DHM-Dauerausstellung, wurde allerdings vergeben.
... und kein "chronologischer Bandwurm" sein
Ein "chronologischer Bandwurm" führe durch 2.000 Jahre deutsche Geschichte, die zwar anhand hervorragender Objekte dargestellt werde, aber so unreflektiert, als habe es die kulturwissenschaftliche Wende in den Geisteswissenschaften nicht gegeben.

Ein Museum am Beginn des 21. Jahrhunderts, nach dem cultural turn, müsste sich aber vor allem auch mit seiner Rolle bei der Genierung von nationalem Gedächtnis auseinandersetzen.
In Österreich erst ansatzweise bekannt
In die Debatte um das "Haus der Geschichte der Republik Österreich" haben diese Fragen allerdings erst ansatzweise Eingang gefunden.

Nach Kritik an der Betrauung einer Arbeitsgruppe um den Historiker Stefan Karner, Professor an der Universität Graz, und Günter Düriegl, dem ehemaligen Direktor der Museen der Stadt Wien, mit der Entwicklung einer Umsetzungsstrategie ("Road Map") im Frühjahr 2006 wurde zwar eine "Ständige Historiker-ExpertInnengruppe" eingerichtet, die an der inhaltlichen Konzeption mitwirken sollte, deren Konzeptpapier findet sich allerdings nur als Beilage.
2008-er Ausstellung: Belvedere plus Schallaburg?
Bild: APA
Mitarbeiter des Belvedere beim
Montieren eines Staatsvertragsbildes
zur Ausstellung 2005
In der Road Map selbst wird vorgeschlagen, dass die Ausstellung zur Geschichte der Republik Österreich für das Jubiläumsjahr 2008 - die 90. Wiederkehr der Republiksgründung - der Grundstein für das "Haus der Geschichte" sein soll, und dass diese Ausstellung aus einer Zusammenführung der beiden Staatsvertragsausstellungen des Jahres 2005 im Oberen Belvedere und auf der Schallaburg generiert werden soll.

Dazu hätte es allerdings der Mitwirkung einer Historiker-ExpertInnengruppe nicht bedurft - hatte an ihrer Mitarbeit überhaupt ernsthaftes Interesse bestanden?

Mitglieder der düpierten Historiker-ExpertInnengruppe reagierten mit einem Offenen Brief, der sich vor allem gegen das Junktim 2008-Ausstellung - Haus der Geschichte aussprach und eine breite öffentliche Diskussion des Projekts forderte.
Nun wird evaluiert
Mittlerweile wurde das "Haus der Geschichte" von der Republikausstellung entkoppelt, die Road Map wird einer internationalen Evaluation unterzogen.

Für ein österreichisches "Haus der Geschichte" könnte sich so die Chance eröffnen, aus den Debatten um das DHM zu lernen und ein Museumskonzept zu entwickeln, das Raum für neue Formen des Ausstellens von Geschichte eröffnet.

Der bisherige Verlauf des Projekts gibt allerdings kaum Anlass für Optimismus.

[30.7.07]
->   Institut für Zeitgeschichte, Uni Wien
Mehr zu dem Thema:
->   Historiker kritisieren Pläne für "Haus der Geschichte" (5.7.07)
->   Standort: Innenstadt, Arsenal oder Donauplatte? (5.7.07)
->   Alle Beiträge von Heidemarie Uhl in science.ORF.at
 
 
 
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