Host-Info
Heidemarie Uhl
Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Österreichische Akademie der Wissenschaften
 
ORF ON Science :  Heidemarie Uhl :  Gesellschaft 
 
Europa im Museum: Auf der Suche nach Identität  
  Seit 1997 existiert der Plan, ein europäisches Geschichtsmuseum zu errichten. Nun gibt es eine Vorschau auf das Projekt im Internet zu sehen. Sie zeigt: Auf dem Weg zu einer europäischen Identität mit "Herz und Verstand" lauern einige Fallgruben.  
Unsere Geschichte - national? europäisch?
Nationalfeiertage zählen zu den selbstverständlichen Ritualen der politischen Kultur - ebenso wie Flagge und Hymne, Denkmäler und Geschichtsmuseen entstammen sie jenem Repertoire an Gedächtnisorten, aus denen sich seit dem 19. Jahrhundert die Konstruktion nationaler Identität speist. Durchaus ein Erfolgsmodell, wie etwa das Nationalbewusstsein der Österreicher zeigt.

Die kulturwissenschaftliche Nationsforschung geht zwar davon aus, dass nationale Identität nicht auf "natürlichen" Eigenschaften eines Volkes beruht, sondern das Ergebnis erfolgreicher nationaler Identitätspolitik ist. Der Wirkungsmacht dieser Vorstellungen tut das wenig Abbruch, wie alltägliche Formulierungen zeigen: "Wir" haben Schirennen gewonnen oder Fußballspiele verloren.
"Einen Binnenmarkt kann man nicht lieben"
Dem erfolgreichen Identitätsmanagement auf nationaler Ebene steht ein Defizit auf EU-Ebene gegenüber. Seit Mitte der 90er Jahre verstärken sich die Bemühungen, analog zum Nationalstaat auch auf EU-Ebene ein Gefühl der Zugehörigkeit zu entfachen.

"Einen Binnenmarkt kann man nicht lieben" - dieser vielzitierte Ausspruch von Jacques Delors markiert den Ausgangspunkt für zahlreiche Initiativen einer Suche nach den "Wurzeln" und der "Seele" Europas.

Diese Suche orientiert sich naturgemäß am Erfolgsmodell des Nationalen - und damit an den traditionellen Instrumenten nationaler Identitätsstiftung. Die Idee, dass die "Seele Europas" auf einer gemeinsamen Kultur und Geschichte beruhe, liegt etwa dem Bildprogramm der Euro-Banknoten zugrunde, insbesondere dem seit 1997 diskutierten Plan eines europäischen Geschichtsmuseums.

Dagegen regte sich allerdings rasch Widerspruch: Läuft nicht ein europäisches Geschichtsmuseum Gefahr, genau jene Festschreibung von Geschichte im Dienste des "nation building" nun auf supranationaler Ebene zu wiederholen?
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Ausstellung als Grundstein
Ein konkreter Schritt zur Realisierung dieses umstrittenen Projekts erfolgt nun mit der Ausstellung "Europa. Unsere Geschichte", die vom 26. Oktober 2007 bis 23. März 2008 in Brüssel gezeigt wird. Die Ausstellung soll den Grundstein der Sammlung des Museums Europas in Brüssel bilden.
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Europa im Web: "Für Herz und Verstand"

"Europa. Unsere Geschichte" ist bereits seit einigen Wochen virtuell präsent. Die "virtuelle Vorschau" in Form kurzer Videoauszüge gibt womöglich präziser Auskunft über die Intentionen des Projekts als die Endfassung:

"Die Ausstellung (...) ist wie eine Aufführung aufgebaut: eine Folge optischer, akustischer oder sensorischer Eindrücke für Herz und Verstand, die die Zuschauer zum Mitfühlen und Nachdenken anregen. Sie werden gleich sehen, dass wir Ihnen nicht nur von Ereignissen erzählen wollen, die in Geschichtsbüchern überliefert sind, sondern auch vom Alltag "ganz normaler" Europäerinnen und Europäer. 27 von ihnen stellen wir Ihnen vor, sie stehen für die 27 Mitgliedstaaten der Union. Ihre Geschichte beginnt 1945, als ein ausgeblutetes Europa den Zweiten Weltkrieg hinter sich lässt."

"Sie setzt sich durch die gesamte Ausstellung fort, zieht sich wie ein roter Faden durch die Anstrengungen der 'Väter Europas', die vor dem Hintergrund der Entkolonialisierung, des Falls der westlichen Diktaturen, der grundlegenden Veränderungen des Alltags und des Kalten Kriegs zwischen Ost und West mit dem Aufbau Europas beginnen. Der Fall der Berliner Mauer markiert das Ende des Kalten Kriegs und zugleich auch die Erweiterung der Union."
->   Europa. Unsere Geschichte
Europäische Werbeästhetik
Die Konzeption von "Europa. Unsere Geschichte" reagiert offenkundig auf die bislang wenig erfolgreichen Versuche einer musealen Repräsentation des Europäischen:

Eine Geschichte von Verträgen, Vertragsabschlüssen und Gipfeltreffen - wie bei Ausstellungen zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge in Brüssel, aber auch in Wien zu sehen - kann wohl kaum jenes Zugehörigkeitsgefühl hervorrufen, das Europa auf dem Weg der Gedächtnispolitik bräuchte.

Demgegenüber tritt "Europa. Unsere Geschichte" mit dem Versprechen einer "Touching Exhibition on Europe" an, will nicht allein, vielleicht nicht einmal vorrangig Wissen vermitteln, sondern ein europäisches Wir-Gefühl generieren.

Die online präsentierte Vorschau auf die Erfolgsgeschichte Europas verschränkt geläufige Elemente der EU-Geschichtserzählung - die Gründerväter, die "großen" Ereignisse - mit visuellen Icons aus dem Repertoire der Werbeästhetik. Zentrales Icon und gewissermaßen Logo der Ausstellung ist das Gesicht einer jungen Frau, die als Projektionsfläche für das kollektive europäische Wir der Ausstellung fungiert.
Ein Icon ohne Eigenschaften
Die unterschiedlichen Erzählformen lassen sich allerdings nicht bruchlos verbinden. Die Widersprüche werden vor allem im letzten der vier Videoclips offenbar, der Zukunft und Vergangenheit nochmals komprimiert miteinander in Beziehung setzt: Als eines der wenigen Objekte der Ausstellung erscheint der Vertrag von Rom, als "heiliger" Text in einer gläsernen Vitrine sakral inszeniert - das Objekt ist getaucht in blaues Licht mit den EU-Sternen.

Im Schlussbild unter dem Motto "A Shared Past for a Common Future" fungiert das Bild der Kreuze eines Soldatenfriedhofs als visualisierte Antithese des EU-europäischen Wegs und wird vom Bild einer blühenden Landschaft abgelöst.

Die museale Inszenierung mündet in das zentrale Icon, das bereits den Beginn markiert - das Identifikationsbild einer jungen Frau als Symbol Europas, ein Symbol, dessen Botschaft primär in seinem Mangel an Eigenschaften liegt:

Das Fehlen von offenkundigen Bedeutungszuschreibungen und Sinnstiftungen, die Abwesenheit von Geschichte, die dieses Bild repräsentiert, ist zugleich die Voraussetzung dafür, dass "wir alle" uns ihn ihm repräsentiert sehen können.
Symbolische Ausgrenzung
Allerdings: Die wirksamste Form von Identitätspolitik ist die Erzeugung von Selbstverständlichkeiten. Insofern sind dem Gesicht einer jungen, weißen Frau durchaus problematische Bedeutungen eingeschrieben - dieses imaginierte Idealbild einer EU-BürgerIn eröffnet zunächst die Frage, wer sich darin nicht wieder finden kann, welche Bevölkerungsgruppen nicht Eingang in das imaginierte Wir bekommen.

Die realisierte Ausstellung wird zeigen, ob auf der Ebene der 27 exemplarisch dargestellten "ganz normalen" EuropäerInnen auch MigrantInnen, Minderheiten und andere Gruppen, die nicht diesem Modell entsprechen, eine Stimme bekommen.
Wer sind "wir"?
Die museale Darstellung "unserer" europäischen Geschichte evoziert somit jene kritischen Fragen, die auch an nationale Museumsprojekte zu richten sind: Wer wird aus dem dieser kollektiven "Wir-Gemeinschaft" ausgeschlossen, welche Gruppen finden keinen Eingang in die Geschichtserzählung?

Sollte ein Museum europäischer - ebenso wie nationaler - Geschichte seine Aufgabe nicht vorrangig darin sehen, Inklusion und symbolische Ausgrenzung zu reflektieren und Konzepte zu entwickeln, die dem entgegenwirken?

Die Darstellung von Vielfalt ist allerdings nicht nur für ein Europäisches Geschichtsmuseum, sondern für jede museale Darstellung einer Wir-Gemeinschaft - national, regional, lokal - eine der zentralen Herausforderungen.

[25.10.07]
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