Host-Info
Heidemarie Uhl
Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Österreichische Akademie der Wissenschaften
 
ORF ON Science :  Heidemarie Uhl :  Gesellschaft 
 
Das Erkalten der Erinnerung
Was bleibt vom 12. Februar 1934
 
  Vor 75 Jahren, am 12. Februar 1934, widersetzten sich Linzer Schutzbündler der Durchsuchung des "Hotel Schiff", dem Linzer Parteiheim der Sozialdemokraten, und eröffneten das Feuer auf die Heimwehr. Der bewaffnete Aufstand in Linz, Wien, Graz und anderen Zentren der Sozialdemokratie wurde vom Bundesheer, Polizei und Heimwehr niedergeschlagen.  
Prominente Schutzbundführer wie Koloman Wallisch und Karl Münichreither wurden hingerichtet, der Parteivorsitzende Otto Bauer und andere führende sozialdemokratische Politiker gingen ins Exil, die Sozialdemokratische Partei wurde verboten.
Jahrestage lösten immer wieder Konflikte aus
Bild: Dokumentationsarchiv des oesterreichischen Widerstands
Maschinengewehrabteilung vor der Oper (Bild: DÖW)
Im Gedächtnis der Zweiten Republik bildete der Februaraufstand einen Brennpunkt der geschichtspolitischen Auseinandersetzung. Die Jahrestage des Bürgerkrieges waren verlässliche Konfliktgeneratoren zwischen den beiden großen politischen Lagern und ihren antagonistischen Geschichtserzählungen:

Die Ausschaltung des Parlaments, die Niederschlagung des Februaraufstandes und die Errichtung des autoritären Ständestaates durch Kanzler Engelbert Dollfuß galt dem konservativen Lager als verzweifelter Abwehrkampf gegen den Nationalsozialismus, für die sozialistische Seite als Etablierung einer faschistischen Konkurrenz-Diktatur und als erster Schritt in den Abgrund des März 1938.

Durch die Ausschaltung der Arbeiterbewegung sei das Widerstandspotential gegen den "Anschluss" an Hitlerdeutschland entschieden geschwächt worden.
Dollfuß besonders umstritten
Die unvereinbaren Interpretationen der Jahre 1933/34-1938 werden an der Person von Engelbert Dollfuß deutlich: Zwischen dem Bild des Arbeitermörders und jenem des Märtyrers des österreichischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gibt es keinen Kompromiss.

Insofern bildete der Februar 1934 einen Stachel im Konsensklima der Zweiten Republik, das den Geist der Lagerstraße und die Überwindung der Feindschaft zwischen den Bürgerkriegsgegnern beschwor.
SPÖ und ÖVP beanspruchten Heroismus
Bild: Dokumentationsarchiv des oesterreichischen Widerstands
Artilleriestellung gegen den Karl-Marx-Hof (Bild: DÖW)
Allerdings pendelte sich rasch eine gedächtnispolitische Konstellation von Konflikt und Konsens ein: Auf parteipolitischer Ebene diente der Februaraufstand vor allem der Sozialdemokratie als positiver historischer Bezugspunkt und als Kohäsionsnarrativ, das heterogene Spannungsfelder innerhalb der Partei in den Hintergrund treten ließ.

Die Erinnerung an den heroischen Kampf gegen den Austrofaschismus und die revolutionäre Geschichte der Arbeiterbewegung generierte regelmäßig einen identitätsstiftenden Erlebnisraum und bot zugleich Kompensation für die pragmatische politische Orientierung in den Koalitionsregierungen mit dem einstigen Bürgerkriegsgegner.

Die ÖVP sah sich im Bezug auf den Februar 1934 eher in der Defensive und bezog ihr heroisches Narrativ auf den Märtyrerkanzler Dollfuß, der im Juli 1934 beim nationalsozialistischen Putschversuch ermordet worden war, und auf den März 1938, die Ausschaltung und politische Verfolgung von Repräsentanten des Ständestaates durch das NS-Regime.
Umstrittene Aussöhnung
Das heroische Pathos der Rhetorik und Rituale des Gedenkens beider Lager entspricht dabei dem Muster historischer Identitätsstiftung, das die Gesellschaften der Moderne seit dem 19. Jahrhundert entwickelt haben. Auf Ebene der Parteien folgt der Gedächtnisort Februar 1934 den Logiken von Inklusion und Exklusion - der Generierung eines Wir-Gefühls für die eigene community und die Abgrenzung nach außen, zum politischen Gegner.

Auf offizieller Ebene wurde allerdings versucht, die unvereinbaren Geschichtsbilder auszutarieren. Symbolische Gesten wie der Handschlag zwischen Bundeskanzler Alfons Gorbach (ÖVP) und Vizekanzler Bruno Pittermann (SPÖ) am 12. Februar 1964 bei einer gemeinsamen Gedenkfeier für die Opfer der Februarkämpfe standen unter dem Vorzeichen der inneren Versöhnung, die in der Konsensformel von der "geteilten Schuld" beider Lager zum Ausdruck kam.

Es war vor allem auch dieser geschichtspolitische Kompromiss, gegen den die ZeithistorikerInnen der 68er Bewegung Sturm liefen und sich mit dem Vorwurf des Aufreißens der Gräben der Ersten Republik konfrontiert sahen.
Heute nur noch Thema für die Historiker
Am Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Kampf um das Gedächtnis des Februar 1934, um Schuld und Verantwortung für die Zerschlagung der Demokratie und den wenige Jähre später folgenden Untergang Österreichs, bereits Geschichte. Die Frage nach dem historischen Ort des österreichischen Bürgerkrieges beschränkt sich nunmehr weitgehend auf Debatten innerhalb der Geschichtswissenschaft.

Der Streitwert des Februar 1934 ist verblasst, sieht man von den fallweise aufflackernden Konflikten um das Dollfuß-Portrait im ÖVP-Parlamentsklub ab. Selbst in Linz, als heroischer Ort des ersten Widerstandes gegen den Austrofaschismus jahrzehntelang eine Hochburg des Februargedenkens, ist die Strahlkraft dieses Gedächtnisortes nahezu erloschen.

Das Programm der Kulturhauptstadt 2009 zeigt deutlich die Verlagerung des Interesses und der sozialen Energie auf die Jahre des Nationalsozialismus.
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Symposion in Wien
Zum Erinnerungstag findet am 11. und 12. Februar 2009 das Symposion "Wege in den Abgrund? Krisen und Krisenlösungsstrategien in den 1930er Jahren" statt:
Ort: Hauptbücherei am Gürtel,Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien
->   Mehr zu dem Symposion
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Auch "Nazi-Tabu" ist ausdiskutiert
Ein Rückblick auf das vergangene "Anschluss"-Gedenkjahr evoziert allerdings die Frage, ob auch der Streitwert und die kontroversielle Aufladbarkeit des Gedächtnisortes NS-Herrschaft in Österreich zumindest in einigen Bereichen ihren Zenit bereits überschritten haben. Auf offizieller Ebene war das "Anschluss"-Gedenken kaum mehr als erinnerungskulturelle Routine, die sich im Wesentlichen auf die Gedenkfeiern im Parlament beschränkte. Einzig Otto Habsburgs Beschwörung der Opferthese bei der ÖVP-Gedenkfeier - die im Übrigen von Wolfgang Schüssel umgehend korrigiert wurde - erregte mediale Aufmerksamkeit.

Verweist das März-Gedenken 2008 auf das Ende des Kampfs um die Erinnerung? Die großen symbolischen Schlachten um das Gedächtnis sind jedenfalls geschlagen, die Kontroversen ausdiskutiert. Die Konfrontation der österreichischen Gesellschaft mit ihrem "großen Tabu" ist zumindest auf offizieller Ebene weitgehend abgeschlossen.
Zukunft der Erinnerung ohne Aufregung
Was 1988 noch ein umstrittenes Gegengedächtnis war - die Kritik an der Opferthese und der Hinweis auf die Verstrickungen der österreichischen Gesellschaft in den NS-Herrschaftsapparat - ist mittlerweile Mainstream. Österreich hat sich seit dem Perspektivenwechsel auf die NS-Vergangenheit durch die Waldheim-Debatte 1986 in die Narrative und Rituale eines (west-)europäischen Schuldgedächtnisses der Übernahme von Verantwortung für die NS-Verbrechen und vor allem für den Holocaust eingeschrieben.

Die Symbole und Institutionen der neuen europäischen Erinnerungskultur prägen auch die österreichische Gedächtnislandschaft: Gedenktage und Denkmäler für die Opfer des Holocaust, neue historische Ausstellungen, Initiativen zur Neugestaltung von Gedenkstätten etc.

Die jüngsten Transformationen des österreichischen Gedächtnisses sind also unspektakulär. Nicht Skandal, Kontroverse, Konfrontation, Aufarbeitung des Verdrängten und Tabuisierten sind damit verbunden, sondern subtile Prozesse des Verblassens, des Verlust an sozialer Energie und an Potential für die Berührung des gesellschaftlich Imaginären. Die Zukunft der Erinnerung nach ihrem Ende als Pathosformel historisch-politischer Aufklärung erscheint vor diesem Hintergrund als neue Herausforderung an das Handlungsfeld Gedächtnis.

[11.2.09]
->   Februar 1934 in Wien (DÖW)
->   Dokumente zum 12. Februar 1934 (ZeitgeschichteInformationsSystem)
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   "Unvermeidliche Logik des März 1933"
 
 
 
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