Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung 
 
Diskussion zu Rudgley: Abenteuer Steinzeit  
  Die fundamentalen kulturellen Unterschiede zwischen den paläolithischen und neolithischen Kulturen mit ihren jeweils spezifischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen und Werten werden zu wenig herausgearbeitet. Es gibt keine Steinzeit (im Sinne einer Epoche), sondern sich sehr voneinander unterscheidende Steinzeiten.  
Urgeschichte - Teil der Menschheitsgeschichte
Der Ansicht, daß die meisten Menschheitsgeschichten der Urgeschichte zu "wenig Aufmerksamkeit" widmen, kann ich nicht folgen - egal, ob es sich um die historia mundi der 50-er Jahre handelt, die Propyläen-, Fischer- oder Kindlers-Welt- bzw. Kulturgeschichte oder Ueberreuters Österreich-Geschichte anschaue, findet sich immer ein eigenständiger Band, welcher der Urgeschichte gewidmet ist. Selten werden allerdings die urgeschichtlichen Zeitabschnitte, soweit sie faßbar und erkennbar sind, in das historische Epochen-System eingebunden.
Wert der jungpaläolithischen Kunst

Ebenso erscheint die Kritik, daß die jungpaläolithische Höhlenmalerei, Plastiken und Gravierungen "zu wenig geschätzt" werden, falsch. Das eigentliche Problem ist, daß diese Werke aus der heutigen Zeit her nur sehr schwer verständlich sind und ihr ursprünglicher Bedeutungsinhalt, den sie sicher gehabt haben, aus dem Milieu oder der Mentalität paläolithischer Menschen - JägerInnen und SammlerInnen - zu verstehen wäre. Einer Kultur, die uns heute zumeist sehr fremd ist - sie deshalb als primitiv oder barbarisch zu bezeichnen wäre dagegen falsch. Denn Menschen, die eine Sprache sprechen, die ich nicht verstehe, sind ja deshalb wohl nicht als primitiv zu bezeichnen. (Die im Beitrag erwähnten Musikinstrumente des frühen Paläolithikums sollten wohl richtig des frühen Jungpaläolithikums lauten).
Paläolithische Techniken

Warum die Jagd "männer"orientiert sein soll, verstehe ich nicht. Frauen, Männer wie wohl auch Kinder und Alte haben, soweit möglich, gejagt und gesammelt. Nach dem sich die Tierknochen besser erhalten haben, als die gesammelten Gräser und Kräuter, finden sich diese überpropotional im archäologischen Fundgut. Die Mahl-, Klopf- und Reibsteine sowie Ambosse werden heute genauso mit der Lupe bzw. dem Mikroskop auf Gebrachsspuren untersucht, wie andere Steinartefakte. Auch hier läuft der Autor reichlich verspätet offene Türen ein.

Die Benutzung des Feuers zum Härten von Lanzenspitzen etc. geht noch viel weiter zurück. Hier könnten zu den erwähnten 25.000 Jahren noch leicht eine Null angehängt werden und man läge noch immer viel zu jung.

Etwa 25.000 v. Chr. wurden allerdings, wie in den Pollauer Bergen (Südmähren) sowie im niederösterreichischen Donautal (siebe nebenstehendes Bild, welches links den Vorderkörper eines Löwen und rechts einen Rentierkopf von Krems-Wachtberg zeigt) belegt, Tierfiguren aus Lehm geformt und gebrannt. Der älteste nachgewiesene Beginn einer Töpfereikunst, wenn man so will. Auch nicht ganz neu - Pittioni hat dies bereits in seinem Beitrag der Propyläen-Weltgeschichte festgestellt (Erstausgabe, ich glaube, 1961).
Rauschmittel
Interessant sind seine Ausführungen zu den Rauschmitteln, zu denen Rudgley Spezialist ist und bereits eine Monographie verfaßt hat. Über die Schwierigkeiten, diese im Paläolithikum nachzuweisen, siehe Link mit Exzerb:
->   Rauschmittel in den Steinzeiten
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Richard Rudgley - Kurzbiographie
Oxford anthropologist specializing in ancient use of psychoactive plants. Rudgley studied social anthropology and religious studies at the University of London and went on to study ethnology and prehistory at Oxford. He is currently based at the Pitt Rivers Museum in Oxford, undertaking research into the prehistoric and ancient use of sychoactive plants. In 1991, he became the first winner of the British Museum Prometheus Award, which resulted in the publication of his first book, The Alchemy of Culture: Intoxicants in Society.(Quelle: Klappentext, Encyclopedia of Psychoactive Substances).
->   Abenteuer Steinzeit, Kremayr/Scheriau, Wien 2001
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Zur neolithischen Schrift R. Rudgleys
Zuletzt zu einem Liebkind R. Rudgleys, der Entstehung der Schrift. In den letzten, etwa 5 1/2 Jahrtausenden entwickelte sich die Schrift, zu der, wie wir sie heute kennen. Evolutionistisch extrem vereinfacht aus einer Bilderschrift zu einer Buchstabenschrift. Davor (und danach) gab es nat¿rlich auch immer Symbole, Merkzeichen und Male, die einer Person oder Gruppe, klein wie gro¿, bekannt war/ist. Es hat wenig Sinn, diese Zeichen als schriftartig oder, wie dies Jill Kitson im Interview tat, als "embryo writing" zu bezeichnen. Die "Erfindung" der Schrift, insbesondere der Bilderschrift, erscheint nicht so schwierig, wie dies oftmals dargestellt wird. Sie erfolgte auch mehrfach in verschiedenen Regionen der Welt, allerdings immer erst dann, wenn sie gesellschaftlich/organisatorisch bzw. administrativ notwendig wurde. Dann ist sie allerdings relativ rasch eingef¿hrt und angewendet worden.

Da¿ Menschen auch in schriftlosen Kulturen z¿hlen konnten (seien es Schafe, Rinder, Kinder oder Mammute) und die periodischen Ver¿nderungen der Gestirne, insbesondere des Mondes, beobachteten, kann wohl niemand ernsthaft in Frage stellen - die Kenntnis der Z¿hlweise allerdings und ihren Nachweis zu f¿hren - es also, wenn man so will, zu "beweisen" (richtig w¿re, arch¿ologisch zu begr¿nden) ist schwierig.

Vielmehr stellt sich zuletzt die Frage, ob der alleinige Nachweis von Schrift, der ja seinerzeit als eines der Kriterien einer Hochkultur angesehen wurde - ein Begriff, der in einem modernen Geschichtsbild nicht mehr vorkommt - den Stellenwert hat, den in Rudgley anscheind zuschreibt, wenn er feststellt: "die Schrift gilt als das wichtigste Merkmal der Zivilisation." Nicht die Kenntnis der Schrift ist das entscheidene, sondern das Bed¿rfnis zumindest eines Teiles der Gesellschaft rechtliche Grundlagen, Weihungen oder historische Begebenheiten dauerhaft durch schriftliche Texte in Erinnerung (fest) zuhalten. Dieses Bed¿rfnis gibt einen Hinweis auf die Kultur einer Gesellschaft. Das einfache Z¿hlen von f¿nf K¿hen oder wie das Beispiel von Rudgley von 49 Schafen oder Ziegen zeigt diesen kul
Wesensmerkmale von Epochen und Kulturen
Es ist Aufgabe des Historikers/der Historikerin Geschichte in sinnvolle Einheiten zusammenzufassen und andererseits voneinander abzugrenzen, ebenso wie diese Zeitabschnitte (Epochen) in historischen Prozessen zu verbinden. Eine Unterscheidung von Kulturen, die Ereignisse in Texten festgehalten haben, von jenen, die dies nicht getan haben, erscheint sinnvoll.

Diese Unterschiede durch "Pseudoschriften", die dann bis ins Jungpaläolithikum zurückverfolgt werden können, zu verwischen, erscheint dagegen wenig hilfreich, es verunklart vielmehr das jeweils spezifische Wesen urgeschichtlicher und antiker Kulturen sowie deren Möglichkeiten der Rekonstruktion.

Historisch gesehen gibt es keine Steinzeit - im Sinne einer Epochen. Die Alt-, Mittel- und Jungsteinzeit umfaßt dagegen mehrere Epochen, welche - zumindest an der Wende von Mittel- zum Jungpaläolithikum (also vor etwa 40.000 Jahren) und Mesolithikum zum Neolithikum (in unserem Raum im 6. Jahrtausend v. Chr.) durch Sattelzeiten deutlich voneinander getrennt sind.

Wobei unter Sattelzeit, vereinfacht gesagt, ein Epochenumbruch verstanden wird, während dem ein grundlegender Wertewandel stattfindet.
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Jungpaläolithische Tonfiguren vom Wachtberg in Krems
Die jungpaläolithische Station auf dem Wachtberg in Krems, NÖ von Thomas EINWÖGERER

Bei Wegbauarbeiten 1930 wurde am Wachtberg in Krems ein Mammutstoßzahn gefunden, der J. Bayer (Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums, Wien) zu einer einwöchigen Grabung veranlaßte. Den Verlauf der Untersuchungen dokumentierte J. Bayer in seinem Tagebuch sowie durch mehrere Plattenfotos, die er durch L. Adametz anfertigen ließ. Die Funde selbst verschwanden Großteils im Depot des nunmehrigen WEINSTADTmuseums in Krems. Erst die 1993 begonnene Neuordnung der Museumsbestände war Anlaß zu einer wissenschaftlichen Bearbeitung der Funde.

Die Auswertung des Tagebuches sowie der 22 Plattenfotos zeigte das Vorhandensein von massiven Siedlungsstrukturen, wie sie sonst nur aus dem südmährischen Bereich bekannt sind. Deutliche Parallelen zu den wichtigen Stationen wie Dolní Vestonitce und Pavlov ergaben nicht nur die statistischen Untersuchungen der Schlagmerkmale an den über 2000 Steingeräten, sondern auch das Vorhandensein von Tierfiguren aus gebranntem Sediment. Diese Miniaturen stellen zugleich auch die älteste gebrannte Keramik Österreichs dar. Schmuckstücke aus fossilen Meerestieren runden das Inventar der Station ab. Das untersuchte Material, ein Altdatum sowie zwei neu angefertigte C14 Daten stellen die gravettienzeitliche "Siedlung" in einen Zeitraum um etwa 27 000 Jahre vor heute. Sie ist vergleichbar mit den Pavlovienplätzen in den Pollauer Bergen und zählt somit zu den wichtigsten aufgearbeiteten Fundplätzen in Österreich.

Verlag : VÖAW : 2000
->   Akademieverlag
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Rudgley: Abenteuer Steinzeit
->   Der unterschätzte Höhlenmensch
 
 
 
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