Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
SEIN & SINN
Zur nö. Landesausstellung im Schloß Ottenstein
 
  Im Rahmen der diesjährigen Niederösterreichischen Landesausstellung wird wohl eines der schwierigsten Themen überhaupt behandelt: SEIN&SINN (Schloß Ottenstein).
Mit Hilfe welcher Objekte läßt sich dieses Thema exemplarisch darstellen?
 
Der Mensch ein soziales Wesen
Im Rahmen der NÖ Landesausstellung 2001 wird wohl eines der schwierigsten Themen überhaupt behandelt: SEIN&SINN (Schloß Ottenstein). Mit Hilfe welcher Objekte läßt sich dieses Thema exemplarisch darstellen?

Falko Daim hat sich mit seinem Team diesen existentiellen Bedürfnissen in vielen Workshops, Symposien und Diskussionsrunden gewidmet: Am Beginn steht der Mensch, ein denkendes, verstehendes und deutendes Wesen. "Archäologie sehen, erkennen, verstehen" lautete einmal ein Untertitel eines Buches von mir - es folgte dem selben logischen drei Schritten, lediglich die Ausgangsbasis ist unterschiedlich. Bei Daim steht am Anfang die Fähigkeit der Selbstreflexion, bei mir, das Bedürfnis, Sinneseindrücke wahrzunehmen.

In der Ausstellung finden sich dazu zahlreiche Zitate alter Schriften und weiser Männer. Die wohl in unserem Kulturraum bekannteste stammt aus der Genesis, wo Gott - noch bevor er Eva schuf - gebot: "Von allen Bäumen des Garten magst essen du, essen, aber vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, von dem sollst du nicht essen, denn am Tag da du von ihm issest, mußt sterben du, sterben." (Übersetzung von Martin Buber).

Folgende Grundbedürfnisse werden in der Ausstellung behandelt: Fruchtbarkeit, Schutz vor Gewalt, Gesundheit, Wärme, Soziales Leben und Nahrung sowie im Schloß Waldreichs Geborgenheit (BURG & MENSCH) - sie geben dem Leben Sinn und Orientierung - seit Urzeiten.
Den Tod überleben
 


Neu entdeckte Grabfunde aus Hallstatt (Abbildung) weisen auf Bestattungsrituale, welche der Gesellschaft helfen - so zumindest die heute gängige funktionale Erklärung - mit dem Tod umzugehen.

"Im Bestattungsbrauch wird die Hoffnung sichtbar, daß mit dem Tod nicht alles aus ist", schreibt F. Daim. Exemplarisch werden römische und frühgeschichtliche Wagengräber gezeigt. Aus Niederösterreich ist das völkerwanderungszeitliche Frauengrab von Untersiebenbrunn und die Pferdezaumzeuge aus dem Grab einer Langobardin, welche vom Bundesdenkmalamt bei Hauskirchen geborgen worden ist, zu sehen.
Der Mensch - ein gesellschaftliches Wesen

Eisenzeitliche Bronzeblecharbeiten, Weinkübel (Situla von Kuffern, Abb.) wie Gürtelbleche, zeigen Figurenfriese mit der Darstellung von Prozessionen, Festen und Mythen. Sie belegen, daß das Feste Feiern (so der Titel der nächstjährigen Oberösterreichischen Landesausstellung) uralte Traditionen aufweist.
Erhaltung von Gesundheit - Schutzräume

Funde aus den prähistorischen Salinen von Hallstatt bieten die Möglichkeit, sich zu hygienischen Fragen der Urgeschichte zu äußern (Pestwurzbündel, rechts aufgerollt, sind entzündungshemmend und dienten vielleicht als prähistorisches Toilettpapier).

Es folgen Fragen zur Architektur, zur Bedeutung von Schutzräumen und dem Phänomen Höhle. Gezeigt werden dazu ausgewählte Stein- und Knochenartefakte aus der Gudenus-Höhle. Ein Videofilm in einer Rauminstallation zeigt das beklemmende Gefühl in einem Erdstall.
Fruchtbarkeit

Anhand altsteinzeitlicher menschlicher Kleinplastiken wird dem Wunschtraum "Fruchtbarkeit" gedacht, wobei besonders die sich in den letzten 150 Jahren wandelnden Einstellungen zu den fülligen Frauenfiguren a la Willendorf besprochen werden.

Daß die 1983 entdeckte Kalksteinstatuette aus Kostenki (Rußland), im Original gezeigt werden kann, ist sensationell.

Bei der Figur ist der Kopf ähnlich jener von Willendorf geformt, die Hände liegen jedoch auf dem Bauch. Auch hier hat die Frau eine Art Armschmuck am Handgelenk; außerdem trägt sie einen Brust-Hals-Schmuck. Die Vorderseite der Plastik ist geschliffen und war ursprünglich rot bemalt, die Rückenpartie ist dagegen weniger fein überarbeitet.
Schutz vor Gewalt
Die einem Massaker zum Opfer gefallenen Frauen, Männer und Kinder, die in einem rund 7000 Jahre alten, jungsteinzeitlichen Grabenwerk bei Schletz/Asparn a.d.Zaya entdeckt worden sind, geben Anlaß sich über die Fragen nach der Entstehung von Kriegen zu stellen. Es bleibt festzuhalten, daß sowohl Krieg, wie Frieden, Aggression wie Konfliktbewältigung, allgemein menschliche Fähigkeiten sind - zumindest seit der Mensch vom "Baum der Erkenntnis von Gut und Böse" genascht hat.

Schutz und Geborgenheit
Die Erforschung der neolithischen Kreisgrabenanlagen und ihre oft widersprüchlichen Interpretationen wird dem Bereich Schutz zugeordnet; über die sozioökonomische Funktion der frühneolithischen Langbauten (am Beispiel des 37 m langen Pfostenbaues von Mold erläutert) wissen wir dagegen (scheinbar) besser Bescheid. Ein menschlicher, sozialer und kosmischer Raum wird unterschieden.

Wenn in der Einleitung bedauert wird: "Wie nahe unsere Modelle dem Denken der prähistorischen Welt kommen, werden wir leider nie wissen", so stimmt dies wohl; entscheidender ist allerdings, daß sich die (Prä)historiker bewußt werden, in welcher Weise die Impulse, die sie mit ihren Geschichtsbildern hervorrufen, das Denken der heutigen Gesellschaft formt. Nicht das Denken der prähistorischen, sondern der gegenwärtigen Zeit steht im Mittelpunkt des Interesses geistes- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen.
Das Glück suchen, das Böse abwenden

Die Bedeutung der Götterwelt und des Volksglaubens in den antiken Welt wird anhand ephensischer Plastiken und Tonfiguren behandelt.

Die Mooropfer von Nydam und Illerup (Jütland) sollen den Germanen überirdische Hilfe zum Kriegsglück sichern. Die Frühgeschichtler rekonstruieren aus diesen Kriegsbeuteopfern systematisch geplante "Angriffswellen" während des 3. und 4. Jhdts. n. Chr. im skandinavischen Ostsee-Raum.

Die Bedeutung des "Schatzes" als Herrschaftsinstrument in frühgeschichtlichen Kulturen wird am Beispiel prachtvoller thrakischer Silberschätze gezeigt. Die eisenzeitlichen Prunkgräber von Trebenisce (Mazedonien, Abb. unten) und der Schatz von Lukovit (Bulgarien, Abb. oben) stellen die Verbindung dar zwischen den "Schätzen" und dem Gesichts- und Handblechen aus dem hallstättischen Grab vermutlich eines Opferkönigs von Kleinklein, die einst eine Aschenkiste "schützten". Das Gesichtsblech wird hier allerdings als Maske verstanden und symbolisiert in der Ausstellung das "andere (fremde) Gesicht" - das Fremde bzw. die Angst vor dem Fremden.
Mittelalter und Neuzeit

Zahlreiche Reliquien bzw. Reliquiare, darunter auch die frühchristlichen Funde vom Hemmaberg und Kanzianiberg (Ktn.) zeigen die enge Verflechtung von Glaube und Hoffnung - der Kraft, die in den Knochen der Heiligen greifbar wird (Abb. mit drei ineinandergestellten Reliquienbehältern aus dem Museum Varna, Bulgarien).
->   Frühchristliche Kirchen Kärntens

 


Ein spätmerowingische Riemenzunge aus Walda (Deutschland) verbirgt im Inneren - unterhalb des Kreuzzeichens - ein Reliquienfach.

Der sog. Barbarossakopf, ein Behälter für eine Schädelreliquie, zeigt einen Mauerkranz als Unterbau, ein Oktogonal, welches vielleicht das himmlische Jerusalem symbolisiert.

Mauer-Kronen: Die Zinne als Herrschaftssymbol, ist eines der Themen, welche im Rahmen der Ausstellung BURG&MENSCH im Schloß Waldreichs behandelt werden.

 

Die Themen Reliquienkult, Alchemie und und Museumswesen schließen die Ausstellung zum Sein & Sinn im Ottenstein ab.

Am Beispiel des Alchemistenlabor von Oberstockstall wird die Bedeutung der beginnenden Naturwissenschaft in der frühen Neuzeit gezeigt.

Das Krahuletz-Museum von Eggenburg wurde als Beispiel ausgewählt für die Sammelleidenschaft des Menschens, "Das Museum als soziales Gedächtnis - Objekt und Erinnerung" heißt ein Katalog-Beitrag und dieser besagt, daß diese Gedächtnisorte auch Elemente der Identität bilden können.
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NÖ Landesausstellung 2001 im mystischen Waldviertel
SEIN&SINN: Schloss Ottenstein
BURG & MENSCH: Schloss Waldreichs

Öffnungszeiten: 5.Mai bis 4. November 2001 / 9 - 18 Uhr

Eintrittspreise: Erwachsene 90,--
Ermäßigungen für Senioren 70,--, Familien 180,-- und Gruppen ab 20 Personen 70,-- bzw. Schüler & Studenten 40,-- sowie
Schulklassen 450,--.

Führungskarten: Ottenstein 25,--, Waldreichs 15,--
->   NÖ Landesausstellung 2001 im mystischen Waldviertel
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Die Burg im Kopf

Das Bild von der Burg im Wandel der Zeit, die "Burg im Kopf", ist Thema des zweiten Teiles der Landesausstellung, die im Schloß Waldreichs (Abb.) gezeigt wird.

Von der Burg als Keimzelle der Kulturlandschaft, dem Burgenbild der Sagenwelt, der Romantik und der modernen Denkmalschützer sowie der Burg und Zinne als Herrschaftssymbol reicht der Bogen der Themen über die Ruinen- und Parklandschaft bis zur Erotik und Keuschheit der Frau in der Burgensymbolik. Den Abschluß bilden Elemente der Burg in der modernen Architektur und im Spiel.

Eine Burgenausstellung einmal anders - fast ohne Ritterrüstungen, postmodern.
Archäologie - eine Geisteswissenschaft

Die Ausstellung versucht über die Diskussion der Interpretationen archäologischer Funde Fragen zum Sinn und Sein anhand konkreter Objekte und Fundstätten darzustellen.

Sie belegt, warum die Ur- und Frühgeschichte bzw. Archäologie zur Geistesgeschichte gerechnet wird, zeigt aber auch oft überdeutlich, wo ihre Grenzen liegen. Ich bin mir nicht sicher, ob seinerzeit die Auftraggeber der Ausstellung, dies unter "Grenzbereiche der Archäologie", verstanden haben.

Der Untertitel der Ausstellung "im mystischen Waldviertel" deutet nicht darauf. Dieses Waldviertel mit moosbedeckten Felsen, Mooren, Wäldern, Kultplätzen, Schalensteinen, starken Orten, Roten Kreuzen, Pyramiden (Abbildung, Relikt vermutlich freimauerischer Rituale im Wald Nahe Groß Gerungs) etc. etc. findet sich nicht nur in Werbeprospekten, sondern besonders in den Köpfen mancher Esoteriker. Daß sie nicht Eingang in eine Landesausstellung gefunden haben, ist der große Verdienst des wissenschaftlichen Leiters uns seines Teams.
 
 
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 

 
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