Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung .  Umwelt und Klima 
 
Ökologie und Ökonomie in der Kupferzeit - 2. Teil
Das Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht - IIIb
 
  5000 Jahre alte abgebrannte Häuser mit vollständigen Inventaren fanden sich auf dem Kleinen Anzingerberg (NÖ). Tausende verkohlte Pflanzenreste geben Hinweis auf Landwirtschaft und Umwelt.  
Ökologie und Ökonomie in der Kupferzeit - 2. Teil

Kochgefäß, durch Schadfeuer verzogen
Seit 1999 werden im Rahmen eines Forschungsvorhabens unter der Leitung von Univ.-Ass. Mag. Dr. Alexandra Krenn-Leeb am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien die ökologischen und ökonomischen Grundlagen der Kupferzeit gezielt untersucht.

Es wurde die Jevisovice-Kultur (ca. 3.200/3.100-2.600 v. Chr.) als repräsentative und regional überschaubare Kulturerscheinung ausgewählt. Die Ansiedlungen der Jevisovice-Kultur sind gekennzeichnet durch eine stereotype Siedlungsplatzwahl auf kleinen Höhenlagen. Anhand einiger spezifischer und gut dokumentierter Fundstellen aus Niederösterreich werden nun die ökologischen und ökonomischen Grundlagen der Zeit um 3.000 v. Chr. interdisziplinär erarbeitet. Vor allem die Archäobotanik und die Archäozoologie bieten hervorragende Quellen zur Rekonstruktion der damaligen Umweltbedingungen.
->   Ökolologie und Ökonomie in der Kupferzeit 1
Der Kleine Anzingerberg

Studierende beim Säubern der Hüttenreste
Seit 1999 erforscht A. Krenn-Leeb (IUF) systematisch eine kupferzeitliche Höhenbefestigung der Jevisovice-Kultur auf dem Kleinen Anzingerberg.

Die am Südostausgang des Dunkelsteinerwaldes gelegene Fundplatz erbrachte eine überaus reiche Schichtenabfolge einer mehrphasigen Siedlung. Wiederholt fielen die Häuser massiven Bränden zum Opfer und nur leicht versetzt wurden wieder neue darüber errichtet. Bislang konnten mindestens sechs solche größere Phasen beobachtet und dokumentiert werden.

Der Kleine Anzingerberg gehört zu zwei Gemeinden: Meidling im Thale, VB Krems und Unterwölbling, VB St. Pölten (NÖ).
->   A. Krenn-Leeb, Der Kleine Anzingerberg - ein spannendes Forschungsprojekt. In: Marktgemeinde Wölbling (Hrsg.), Wölbling einst und jetzt. Wölbling 2002, 61-102.

 
Luftbild


Luftbild des Kleinen Anzingerberges in Meidling im Thale
Foto: M. Doneus, Luftbildarchiv, IUF.
Eine Momentaufnahme vor 5.000 Jahren

Umgestürzte Hüttenwand auf einer Herdstellen
Einmalig ist der Befund eines Hausbereiches am Kleinen Anzingerberg, in dem durch die verstürzende Hüttenwand der ursprüngliche Herdstellenbereich und die davor befindlichen Arbeitsplätze regelrecht versiegelt wurden. Sämtliche Gerätschaften blieben an Ort und Stelle liegen. Selbst auf dem Herd stand noch ein Kochgefäß. Die Vorratsgefäße vor dem Ofen und die in Originallage befindlichen Werkzeuge und Gerätschaften eines Steinbeil- sowie eines Knochenbearbeitungsplatzes bezeugen, dass das Brandgeschehen derart plötzlich eingetreten sein muss, sodass die Bewohner zwar sich selbst, aber ihr Hab und Gut nicht mehr zu retten vermochten

Alle Grabungs- und Arbeitsfotos: A. Krenn-Leeb, IUF.

 


Auf dem Herdstellenbereich befand sich noch ein Kochgefäß. Es wurde beim Brand durch die umgestürzte Wand der Hütte zerdrückt. Siehe 1. Foto oben, seitlich.
Mühsame Spurensuche zur Ökologie der Kupferzeit

Flotation der Erdproben
Sämtliches Erdmaterial aus den Schichten von Schnitt 2 (Fläche 32 qm) am Kleinen Anzingerberg wurde nach den kleinsten erkennbaren Verfärbungen (Signaturen) erfasst und getrennt zuerst flotiert sowie anschließend geschlämmt.
Die Flotation bewirkt, dass organische Reste durch Schwemmen des Erdreichs in einer Flotationstonne aufsteigen und in Sieben mit unterschiedlichen Maschenweiten aufgefangen werden. Für die Grabung am Kleinen Anzingerberg erbrachte diese Methode außergewöhnliche Ergebnisse, da in jeder (!) Probe Getreide- oder Samenkörner beobachtet wurden.

Der Erhaltungszustand wird von der wissenschaftlichen Betreuerin, Prof. Marianne Kohler-Schneider vom Botanischen Institut der Universität für Bodenkultur Wien, als besonders hervorragend und intakt bezeichnet. Das abgesunkene Restmaterial wurde in weiterer Folge nochmals geschlämmt, sodass auch die kleinsten Fundobjekte, wie Knochen von Kleinsäugern oder Vögeln etc., Abschläge von Steingeräten, Keramikbruchstücke, Molluskenteile, Holzkohle, Hüttenlehm und Steine etc., der wissenschaftlichen Bearbeitung zur Verfügung stehen werden. Insgesamt wurden bislang rund 7.000 Liter flotiert und geschlämmt. Erstmals gewann man 100% an Fundmaterial eines großflächigen Bereiches mit Hilfe dieser Methoden aus einer kupferzeitlichen Grabung in Österreich!
->   Botanisches Institut der Boku
Jagdboom in der Kupferzeit

Aussortieren der Schlämmrückständeunter dem Mikroskop
Das zahlreich geborgene Tierknochenmaterial sowie Flussmuscheln und Fischreste werden zusätzlich zu den verkohlten Makroresten des archäobotanischen Fundgutes neue Aufschlüsse über die Nahrungsgrundlagen der Kupferzeit in unserem Raum gewähren.

Die archäozoologischen Untersuchungen zeigen bislang einen hohen Wildtieranteil auf dem Speiseplan. Spannend wird auch die Analyse der kleinen geschlämmten Tierknochen-, Mollusken- und Fischreste, da derartige Fundmaterialien leicht zu übersehen und bislang kaum geborgen worden sind. Im Zuge der Sortierung der Schlämmrückstände wurden auch Fischschuppen entdeckt, sodass man Rückschlüsse auf das Jagd- und Fangverhalten der kupferzeitlichen Bevölkerung ziehen kann.
->   Archäozoologie
Unzählige Körner und Samen

Einkorn
Die archäobotanischen Untersuchungen erbrachten bereits erste konkrete Ergebnisse. Aus dem freigelegten Hüttenbereich wurden von Anita Caneppele im Rahmen ihrer Diplomarbeit am Institut für Botanik der Universität für Bodenkultur aus 169 flotierten Erdproben aus 30 verschiedenen Grabungskomplexen über 12.000 verkohlte Pflanzenreste unter dem Stereomikroskop ausgelesen.

Ein erster Einblick in das Kulturpflanzenspektrum der bäuerlichen Siedler vom Kleinen Anzingerberg zeigt, dass sie Einkorn, Emmer, Gerste, Rispenhirse (wahrscheinlich auch Kolbenhirse), Erbse, Linse und Lein angebaut hatten. Alle genannten Getreidenachweise sind auch durch Druschreste belegt. Die Bestimmung von Nacktweizen ist noch nicht abgesichert. Etliche Proben aus dem Herdstellenbereich enthalten verkrustete verkohlte Speisereste.

Studierende beim Entnehmen der Erdproben
Unter den Wildpflanzen sind als potentielle Sammelpflanzen Kornelkirsche (Cornus mas), Blasenkirsche (Physalis alkekengi) und diverse Wildhirsearten (Echinochloa, Setaria) hervorzuheben. Ein besonderer Fund ist der komplett erhaltene verkohlte Kern einer Schlehe (Prunus spinosa), denn verkohlte Steinobstkerne werden in Trockensiedlungen nur äußerst selten nachgewiesen!

Die Mehrzahl der vielen ausgelesenen, millimeterkleinen Wildpflanzendiasporen, ist noch in Bearbeitung. Sie sollen Rückschlüsse auf Wirtschaftsweise und Umweltverhältnisse im Siedlungsgebiet ermöglichen. Der Erhaltungszustand und die Funddichte der botanischen Makroreste ist für neolithische Verhältnisse außerordentlich gut!
Technologie - Funktion - Nutzung - Zur Ökonomie der Kupferzeit

Geweihgerät.
Alle Fundfotos:
O. Chrstos, IUF
In den Siedlungen am Kleinen Anzingerberg und in Krems/Hundssteig, eine in den Jahren 2000-2001 entdeckte und ergrabene neue Fundstelle der Jevisovice-Kultur, konnten zahlreiche Geräte und Werkzeuge geborgen werden, an denen Gebrauchsspuren bereits makroskopisch erkennbar sind und die einen verstärkten Einsatz im Alltag verraten.

Vor allem geschlagene Steingeräte (u. a. Silices, die als Einsatzklingen von Kompositgeräten, wie Sicheln, gedient haben, oder auch Pfeilspitzen), geschliffene Steingeräte (Steinbeile und Äxte) sowie Knochen- und Geweihgeräte, die großteils hervorragend erhalten sind, bieten sich für Gebrauchsspurenanalysen an. Auch bearbeitete Steine, die zu ehemaligen Reib- und Schleifplatten bzw. Klopf- und Glättsteinen gehörten, runden das umfangreiche Spektrum ab.
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Knochengeräte
Gebrauchsspurenanalyse
Ziel der Gebrauchsspurenanalyse ist es, die ursprüngliche Funktion von archäologisch fassbaren unterscheidbaren Werkzeugtypen zu bestimmen. Aber auch die Intensität der ursprünglichen Verwendung von archäologischen Artefakten kann untersucht werden. Darüber hinaus bietet sich die Möglichkeit, die Funktion eines Fundplatzes oder eines bestimmten Bereiches zu bestimmen. Solche Aktivitätszonen innerhalb von Siedlungen können Wohn- und Wirtschaftsbereiche hinsichtlich ihrer ursprünglichen Nutzungsweise näher beleuchten und wesentliche Erkenntnisse über die Wirtschaftsweise einer Gemeinschaft erbringen.
Derartige Gebrauchsspurenanalysen sind vor allem bei gut dokumentierten archäologischen Artefakten anwendbar, da die ursprüngliche Position bekannt ist. Sie besitzen eine enorme Aussagekraft darüber, wie und welche Funktion Geräte und Werkzeuge besessen hatten.

Bislang unberücksichtigte oder unbekannte Details werden auch bezüglich Technologie und Herstellungsweisen von Stein-, Knochen- und Geweihartefakten erwartet.
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Forschung von und für StudentInnen

Studierende beim Einmessen der Gefäßfragmente
Die archäologischen Ausgrabungen wurden mit viel Einsatz von StudentInnen des Instituts für Ur- und Frühgeschichte Wien durchgeführt. Ohne die geduldige und professionelle Mitarbeit wären die bisherigen Ergebnisse nicht so erfolgreich erzielt worden. Teilbereiche werden von ihnen als Forschungsarbeiten wissenschaftlich bearbeitet und sollen auch publiziert werden.

Exkursion nach Krems-Hundssteig
Im Rahmen einer Lehrveranstaltung wurden auch die schwierigen Grabungsbedingungen am Hundssteig in Krems den StudentInnen näher erläutert. Im Profil ist ein Graben der kupferzeitlichen Befestigung deutlich erkennbar.

 


Schulklassen besuchen die Ausgrabungen und erleben erstmals Archäologie life
Hochwasserschäden 2002

Auch das Forschungsprojekt "Ökologie und Ökonomie der Kupferzeit" blieb vom Katastrophen-Hochwasser im August 2002 nicht verschont! Die Grabungsarbeiten wurden durch die unaufhörlichen Regenfälle sehr stark behindert. Kostbare Zeit ging durch das tägliche Ausschöpfen verloren und die Wettersituation stimmte depressiv.

Leider wurde ein Großteil des bereits gereinigten Fundmaterials der Grabungskampagnen 1999-2001 und auch die im Juli gelagerten Schlämmrückstände, die sehr langsam auftrockneten, durch das Hochwasser der Krems betroffen. Das Fundmaterial befand sich zur wissenschaftlichen Aufarbeitung in den Depoträumlichkeiten des Vereins ASINOE in Krems.

Das gesamte Depot wurde über 1,5 m unter Wasser gesetzt. In alle verpackten Fundsäcke drang der feine Schlamm ein! Insgesamt sind nahezu 2.000 Bananenschachteln voller Funde betroffen. Es muss alles neu gereinigt werden!!!
->   ASINOE
Ausblick
Mit den Siedlungen vom Kleinen Anzingerberg in Meidling im Thale, am Hundssteig in Krems und von der Flur Pielamünd in Spielberg bei Melk kann die wissenschaftliche Forschung nun auf drei bedeutende Fundstellen derselben Kulturgruppe in einem relativ eng begrenzten Gebiet - die Region Dunkelsteinerwald-Wachau - zurückgreifen und sie gemeinsam bewerten. Sie ergänzen einander mit ihrem Fundmaterial, ihrer Stratigraphie, ihrer siedlungs- und befestigungstechnischen Konstruktionsweise, ihrer Größe, den topographischen Gegebenheiten und ihrem ökologischen und ökonomischen Umfeld.

Erste Ergebnisse und auch Fundobjekte werden derzeit bereits in der neuen Dauerausstellung im Museum für Urgeschichte in Asparn/Zaya präsentiert.
->   Museum für Urgeschichte in Asparn/Zaya
Forschungsprojekt Ökologie und Ökonomie der Kupferzeit
Leitung: Univ.-Ass. Mag. Dr. Alexandra Krenn-Leeb (IUF)
Finanzierung: Universität Wien, Land Niederösterreich, BMBWK

Literaturauswahl:
Alexandra Krenn-Leeb, Die spätneolithische Siedlung am Kleinen Anzingerberg, NÖ. Arch. Österreichs 10/2, 1999, 19-20.
Alexandra Krenn-Leeb, Körner, Samen und Geräte - Die Grabung 2000 in Meidling im Thale. Arch. Österreichs 11/2, 2000, 34-36.
Alexandra Krenn-Leeb, Der Kleine Anzingerberg - ein spannendes Forschungsprojekt. In: Marktgemeinde Wölbling (Hrsg.), Wölbling einst und jetzt. Wölbling 2002, 61-102.
Elisabeth Ruttkay, Spätneolithikum. In: E. Lenneis/Chr. Neugebauer-Maresch/E. Ruttkay, Jungsteinzeit im Osten Österreichs. Wiss. Schriftenr. Niederösterreich 102-105, 1995, 108-209.

Anfragen bitte an: Alexandra Krenn-Leeb@univie.ac.at
->   Alexandra Krenn-Leeb
->   Ökologie und Ökonomie der Kupferzeit -
1. Teil
Institut der Ur- und Frühgeschichte forscht
Anlässlich des Beginns des Wintersemesters und des Inkrafttretens des neuen Universitätsgesetzes 2002 sollen im Laufe des Oktober einige Forschungsprojekte des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Uni Wien vorgestellt werden, bei denen die Studierenden aktiv mitwirken und Kooperationen mit wissenschaftlichen Institutionen im In- und Ausland stattfinden.
->   Profil des Instituts für Ur- und Frühgeschichte
->   Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht I
->   Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht II
Impressum: Text und Illustration: Alexandra Krenn-Leeb
Berichterstatter dankt herzlich Kollegin Krenn-Leeb für die Zurverfügungstellung aller Texte und Fotovorlagen
 
 
 
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