Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung 
 
Ein Herrschaftssitz der Völkerwanderungszeit auf dem Oberleiserberg, NÖ.
Das Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht IV
 
  Bei Ausgrabungen auf dem Oberleiserberg bei Ernstbrunn wurden Reste eines germanischen Königshofes aus dem 5. Jh. n. Chr. entdeckt. Die Funde geben erstmals exakte Hinweise zur Architektur (Größe und Bauweise) eines Herrschaftssitzes am Rande der antiken Welt zur Zeit der Völkerwanderung.  
Die spätantike Höhensiedlung am Oberleiserberg bei Ernstbrunn, NÖ

Oberleiserberg
Seit Jahren gehört der mit 457 m Meereshöhe, in der Landschaft weithin sichtbare Oberleiserberg bei Ernstbrunn im Zentrum des niederösterreichischen Weinviertels - etwa 50 km nördlich von Wien - zu den wichtigsten Ausgrabungsstätten des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien.

Im Jahre 1976 wurden die systematischen Ausgrabungen unter Einsatz von modernen Forschungsmethoden durch Herwig Friesinger begonnen und bis heute mit einer Unterbrechung von 1991 bis 1995 fortgesetzt.

Der Oberleiserberg weist als natürlich geschützter Platz in der Ur- und Frühgeschichte immer wieder längere Siedlungsphasen auf. Unter anderem ist der Nachweis eines befestigten Herrschaftssitzes in der Völkerwanderungszeit bedeutsam. Damit zählt der Oberleiserberg zu den bekanntesten und wichtigsten archäologischen Fundplätzen im mittleren Donauraum.

 


Oberleiserberg mit rekonstruierten Grundrissen der Römerzeit und des Mittelalters (Luftbildarchiv des IUF).
Präsentation der Ergebnisse

Aussichtswarte mit Grundriss der röm. Steinbauten.
Die Ausgrabungen werden in einer Ausstellung in der Aussichtswarte präsentiert. Hier kann sich der Besucher anhand von Photos, Plänen und Funden über die Ergebnisse der laufenden Grabungen informieren.

Rund um die Aussichtswarte erstreckt sich auch ein Freilichtmuseum, in dem die rekonstruierten Grundrisse der römischen Steinbauten sichtbar gemacht sind.
Projektziele und -voraussetzungen

Erste Grabungen von H. Mitscha-Märheim (1925).
Durch die Freilegung römischer Steinbauten schon am Beginn des 20. Jahrhunderts - erste Ausgrabungen wurden von 1925 bis 1931 durchgeführt - wurde der Oberleiserberg lange Zeit im wissenschaftlichen Schrifttum als römisch-militärischer Stützpunkt zur Zeit der Markomannenkriege (166 bis 180 n. Chr.) betrachtet.

Die seit 1976 laufenden Ausgrabungen unterstützen aber die Ansicht, dass die Gebäude auf dem Oberleiserberg von römischen Handwerkern für einen einheimischen germanischen Fürsten errichtet wurden und in das 4. und 5. Jahrhundert n. Chr. zu datieren sind.

1998 wurde ein Projekt zur Erforschung der völkerwanderungszeitlichen Besiedlung am Oberleiserberg begonnen, das von Prof. Dr. Alois Stuppner geleitet und vom Fond zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanziert wird.

Unter Berücksichtigung der historischen und archäologischen Quellen befasst sich das Projekt mit der Art und Funktion der Siedlung, den Baustrukturen, den wirtschaftlichen Grundlagen sowie den Ethno- und Sozialstrukturen der spätantiken Gesellschaft am Oberleiserberg.
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Der historische Hintergrund
* 358 n. Chr. unternimmt der römische Kaiser Constantius II. einen Feldzug gegen die Quaden und Sarmaten.
* Um 374 lässt der römische Kaiser Valentinian I. (364-375 n. Chr.) jenseits der Donau im Quadenland eine Schutzfestung bauen. Der Platz dieser Schutzfestung ist bis heute nicht näher bekannt.
* 9.8. 378 Ein Heer aus West- und Ostgoten, Alanen und Hunnen besiegen die Römer in der Schlacht bei Adrianopel-Edirne an der heutigen türkisch-bulgarischen Grenze.
* 395 Das Römische Reich wird in ein Ostreich (Hauptstadt: Konstantinopel) und ein Westreich (Hauptstadt: Rom, ab 403 Ravenna) geteilt.
* Vor 397 Markomannische Föderaten werden in Pannonia I (Viertel unter dem Wienerwald, Burgenland und Westungarn) angesiedelt.
* Nach 397 Die Markomannenkönigin Fritigil sucht den Bischof Ambrosius in Mailand auf.
* Ende 4./Anfang 5. Jahrhundert: Nennung eines "Tribunus gentis marcomannorum". Sowohl Fritigil als auch der Tribun könnten ihre Residenz am Oberleiserberg gehabt haben.
* 401 Vandalen, Alanen und Sueben ziehen von Pannonien und den Gebieten nördlich der Donau Richtung Westen.
* 433 Pannonien wird von den Römern an die Hunnen abgetreten.
* 445-453 Attila Alleinherrscher der Hunnen.
* 451 Die Hunnen werden in der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern von Römern und verbündeten Germanen in die Flucht geschlagen.
* 454/455 Schlacht am Nedao (nicht näher lokalisierbarer Fluss in Pannonien). Ende des Hunnenreiches.
* 454/55 Das "Kremser" Rugierreich (bis 487/88)
* 455/67 Wirken des hl. Severin in Norikum (bis 482)
* vor 457 Ostgoten siedeln in Pannonien (bis 473)
* 469/70 übersiedelt der Suebenkönig Hunimund mit Anhang zu den Alamannen.
* 476 Mit der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers endet das weströmische Reich. Der Germane Odoaker übernimmt die Herrschaft.
* 480/90-508 Reich der (H)eruler an March und Donau
* nach 488 Langobarden ziehen ins Rugiland (Kamptal und westliches Weinviertel)
->   Notitia dignitatum (um 430) im Original
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Germanische Besiedlung auf dem Oberleiserberg

Germanische Hausware
Die germanische Siedlungstätigkeit auf dem Oberleiserberg beginnt in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr. Der Vorstoß der Hunnen über den Don im Jahre 375 führte zu ethnischen Verschiebungen in westlicher Richtung bis in den mittleren Donauraum.

Aus diesem Grund begannen markomannische und quadische Klientelkönige ihre meist römisch geprägten Königshöfe auf natürlich geschützte Anhöhen zu verlegen. Außer der Viehhaltung gehörte vor allem das Handwerk wie Buntmetall- und Eisenverarbeitung zur ökonomischen Grundstruktur.

Nach dem Zerfall des Hunnenreiches 454/455 bildeten sich am linken Donauufer jenseits der römischen Reichsgrenze neue Königreiche der Barbaren, wie z. B. der Sueben oder der Heruler und Rugier. Auf dem Oberleiserberg befand sich vermutlich der Königssitz eines dieser Völker.
Palast und Hof eines barbarischen Königs nach historischen Quellen
Wie der Palast eines barbarischen Königs ausgesehen haben mag, vermitteln uns die Schriften des oströmischen Gesandten Priscus von Panium, der im Jahr 449 n. Chr. die Residenz des Hunnenkönigs Attila in der ungarischen Tiefebene aufsucht:
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Priscus von Panium: "Ein stattliches Haus"
"Wir ... gelangten in ein sehr ausgedehntes Dorf. Dort stand ein stattliches Haus, ... Es war aus Balken gefügt, hatte getäfelte Wände und war rings von einem hölzernen Zaun umgeben, nicht zum Schutz sondern zur Zierde. Daneben stand das Haus des Onegesios, das gleichfalls einen hölzernen Zaun aufwies, der aber im Gegensatz zu dem um Attilas Residenz keine Türme hatte. ...in den umfriedeten Wohnbezirk Attilas ... standen zahlreiche Gebäude; die einen aus geschnitzten und vertäfelten, die anderen aus geglätteten, in Abständen nebeneinandergestellten Balken, welche hölzerne Bogen krönten. Diese Bogen erhoben sich zu ansehnlicher Höhe." (Übersetzung E. Doblhofer, 1955)
->   Mehr Informationen zu Priscus von Panium
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Archäologische Ergebnisse auf dem Oberleiserberg

Steinbau I während der Freilegung
Zur Siedlung auf dem Oberleiserberg gehören ein palastartig gestalteter Herrenhof und verschiedenen Einrichtungen für die handwerkliche Produktion. Das Zentrum der Siedlung bildete der nach römischem Vorbild errichtete Herrenhof am Westrand des Plateaus, der Hauptgegenstand des derzeit laufenden Projektes ist.

Das dazugehörige, bei der Aussichtswarte gelegene, trapezförmige, zweigeschoßige Hauptgebäude (Steinbau I) bestand ursprünglich aus zwei großen Räumen, denen in einer zweiten Bauphase eine Fassade mit Risaliten und Korridor vorgesetzt wurde. Die Anlage war in dieser Zeit von einer Hofmauer aus Bruchsteinen und Lehm umgeben.

 


Der Königspalast

Mosaik aus Ravenna (6. Jh.) mit Torbau eines römischen Palastes.
Um die Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. wird der Herrenhof nach Vorbildern der spätantiken Repräsentations- und Palastarchitektur umgestaltet und die Hofmauer durch eine Holzarchitektur ersetzt.

Den Hofplatz säumen nun im Osten ein dem Hauptgebäude gegenüberliegender monumentaler Torbau mit seitlich anschließenden hallenartigen Ständerbauten und im Norden und Süden rechteckige Ständerbauten. Sie stimmen axial mit dem Hauptgebäude überein und sind mit offenen Säulenhallen (Portiken) versehen.

 
Torbau des Königspalastes während der Ausgrabung.


Das Hauptgebäude (Steinbau I) ist nun zu einem 35 m langen und 17 m breiten, römischen Repräsentationsbau (Portikusvilla) mit Steinfundament, Fachwerkwänden und Prunkfassade ausgebaut und besitzt sieben bis acht Wirtschafts- bzw. Wohnräume und einen Repräsentationsraum für öffentliche Empfänge und festliche Banketts.

Die aufgehenden Wände sind in Holzfachwerktechnik ausgeführt. Das Dach war mit gebrannten, römischen Lehmziegeln (tegulae, imbrices) eingedeckt, die wahrscheinlich vor Ort hergestellt wurden. Der Repräsentationsraum und ein weiterer Raum sind mit einer Kanalheizung ausgestattet. Im Inneren des Gebäudes ist ein Keller eingezogen. Eingänge sind an den Risaliten zu beobachten.
''Gehobener'' Haushalt

Zum charakteristischen Fundbestand gehören von Hand gefertigte Keramik (Bild, oben), germanische Drehscheibenware (Bild, unten) und Imitationen von spätrömischen glasierten Keramikformen, die ausschließlich in den jüngsten Siedlungsschichten vorkommen.

Auch Metall- und Beinfunde, wie Fibeln, Haushaltsgegenstände, Toilettegerät und Schmuck sind zahlreich vertreten. Ein herausragender Fund ist ein dreipassförmiger Anhänger aus Goldblech (Bild, seitlich).

Zahlreich sind auch die spätrömischen Handelsprodukte. Beliebt waren vor allem einglättverzierte und grünglasierte Keramikformen sowie Glasgefäße. Die römischen Tisch- und Speisesitten mit dazugehörigem Geschirr waren ein fester Bestandteil der gehobenen germanischen Alltagskultur.

 


Germanische Drehscheibenware und Beinkamm.
Handwerkliche Produktion

Estrich- und Mauerreste des Steinbaues II zwischen den Pfeilern des Kirchenschiffes.
Zum Herrenhof kann ein weiteres, zweiräumiges Steingebäude (Steinbau II) zugeordnet werden, das nördlich außerhalb der Hofmauer im Kirchenschiff der mittelalterlichen bis frühneuzeitlichen Wallfahrtskirche zum Vorschein kam und axial nach dem Herrenhof ausgerichtet ist.

Es dürfte zeitweise für handwerkliche Tätigkeiten genutzt worden sein, da in der näheren Umgebung Buntmetallreste mit Schnittspuren gefunden wurden. Der Bau misst im Grundriss 8,15 x 8,26 m und weist im Inneren des Gebäudes zwei estrichartige Fußböden auf.
Feinschmiedehandwerk

Ständerbau mit Fußbodenheizung
Der Platz einer Feinschmiede wurde etwa 160 m östlich der Aussichtswarte bzw. des Herrenhofes, heute im bewaldeten Teil des Plateaus gelegen, entdeckt. An diesem Platz konnte ein dreiräumiger, 12,40 m langer und 9 m breiter hölzerner Wohnbau mit einer T-förmigen Kanalheizung und einem Vorraum der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. freigelegt werden. Im Hypokaustum (Fußbodenheizung) wurden Hohl- und gestempelte Mauerziegel des URSICINUS (Logo) verwendet.

Südlich davon wurde ein teilweise eingetiefter, 5 x 6 m großer, rechteckiger Pfostenbau ausgegraben, der zu einer Feinschmiede gehören dürfte, und um die Mitte bis zur zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. benutzt wurde. Zu dieser Feinschmiede ist auch wahrscheinlich ein gestörter Ofen zu zählen, der am nordöstlichen Rand des Pfostenbaues zum Vorschein kam.
Befestigungsanlagen
Die gesamte Siedlung war von einer mehrphasigen Befestigungsanlage umgeben, die wahrscheinlich zuerst aus einem Wall und Graben, dann aus einer hölzernen Palisadenkonstruktion und später aus einer zweischaligen Trockenmauer bestand. Sie folgt den prähistorischen Befestigungsanlagen und führt um das Plateau herum.
Fazit - Ein Königssitz der Völkerwanderungszeit
Die außergewöhnliche architektonische Gestaltung des gesamten Komplexes und das spezifische Fundgut deuten auf einen germanischen Zentralort im alten markomannisch-quadischen Siedlungsraum hin, der durch römische Kultureinflüsse stark geprägt ist. Die Annahme eines germanischen Fürsten- oder Königssitzes in der Völkerwanderungszeit dürfte daher als sehr wahrscheinlich gelten. Die historischen Quellen zu den römisch-germanischen Kontakten dieser Zeit sind zwar spärlich, weisen aber auf einen hohen Romanisierungsgrad der Germanen an der mittleren Donau hin, der die Entstehung von Anlagen wie am Oberleiserberg möglich erscheinen lässt.

Der Fortbestand der in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr. errichteten Siedlung am Oberleiserberg bis in die zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. wird durch die archäologischen Hinterlassenschaften ausreichend bezeugt. In der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr., nach der Schlacht von Nedao 454 n. Chr., werden in den historischen Quellen wie z.B. bei Jordanes, einem oströmischen Schriftsteller des 6. Jahrhunderts n. Chr., mehrmals Sueben genannt, ohne dass ihr genaues Siedlungsgebiet bekannt ist.

Der Oberleiserberg dürfte in dieser Zeit den Befunden nach eine bedeutende Rolle eingenommen haben und könnte somit z.B. der Sitz einer der Heerkönige von suebischen Gentes gewesen sein. Das Ende der Siedlung auf dem Oberleiserberg scheint mit einer gewaltsamen Zerstörung von außen einherzugehen. Wer die Angreifer waren bzw. wie lange die Siedlung in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts bestanden hat, wissen wir noch nicht.
Anfragen bitte an: Alois.Stuppner@univie.ac.at
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Institut der Ur- und Frühgeschichte forscht
Anlässlich des Beginns des Wintersemesters und des Inkrafttretens des neuen Universitätsgesetzes 2002 sollen im Laufe des Oktobers und Novembers einige Forschungsprojekte des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Uni Wien vorgestellt werden, bei denen die Studierenden aktiv mitwirken und Kooperationen mit wissenschaftlichen Institutionen im In- und Ausland stattfinden.
->   Profil des Instituts für Ur- und Frühgeschichte
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->   Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht I
->   Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht II
->   Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht III
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Impressum: Text und Illustration von Alois Stuppner
Berichterstatter dankt herzlich Kollegen Alois Stuppner für die Zurverfügungstellung aller Texte und Fotovorlagen.
->   Alois Stuppner
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Für die graphische Gestaltung dankt A. Stuppner
->   AG Media
 
 
 
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