Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung 
 
Urgeschichte im Schulunterricht, 1. Teil
Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht - VI a
 
  Die Urgeschichte im Schulunterricht wird anhand der Lehrpläne und Schulbücher im Rahmen eines Seminars analysiert. 1. Teil mit den Anfängen in der Zeit zwischen Revolution 1848 und Zusammenbruch der Monarchie.  
Anläßlich eines Seminars "Die Ur- und Frühgeschichte im Schulunterricht vor, in und nach der NS-Zeit" wurden von den Studierenden und Berichterstatter Unterlagen (Schulbücher, Verordnungen, Schulpläne, Lehrmittel etc.) gesammelt und gesichtet.

Unschwer erkennbar war, daß sich die jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen bei der Darstellung des Bildes der Ur- und Frühgeschichte, welches in den Schulen vermittelt wurde, deutlich widerspiegelten.
MONARCHIE -
Beginn eines staatlich geregelten Geschichtsunterrichts
In einem Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen in Österreich aus dem Jahre 1849 findet sich im Unterrichtsfach "Geographie und Geschichte" für das Obergymnasium noch keine Vorgeschichte. Lediglich eine "genaue Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung der Griechen, Römer und des Vaterlandes" wird empfohlen.
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1849 - Geschichtsunterricht nach der Revolution
In der Instruction zu diesem Entwurf aus dem Jahre 1849 wird erläutert, daß "die grössere Einfachheit der Verhältnisse bei diesen [antiken] Völkern im Vergleich mit denen des Mittelalters ... sie vorzüglich geeignet macht, um an ihrer Geschichte das Verständnis für innere Entwicklung des Staates zu bilden."

Lehrziel war ja - im Jahr nach der Revolution -, die jungen Menschen "je grösser die politische Freiheit ist" zu umso "gebildet[er]en edlen Charakter" zu erziehen, der durch die "Ideen der Religion und der Sittlichkeit" geprägt ist. Außerdem sollten sie natürlich "eine gute Disciplin" lernen.
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1866: Wildheit-Barbarei-Civilisation im Lehrplan der Lehrerausbildung
Im Lehrplan für das Wiener Pädagogium (Ausbildungsstätte für Volks- und Bürgerschullehrer) findet sich im Fach Geschichte, 2. Klasse: "Die Entwicklung der Civilisation. Jäger-, Fischer- und Nomadenstämme. Viehzucht und Ackerbau (Jäger und Nomaden als Eroberer. Sclaverei). ... Naturzustand. Wildheit. Barbarei. Civilisation und Cultur. Der Culturcharakter sich ausprägend in Sitte, Lebensweise, Religion, Kunst und Wissenschaft."

Davor soll die "geographische Basis des geschichtlichen Lebens" und die "Theilnahme der Menschenracen an der Geschichte: wesentlich beschränkt auf die mongolische und kaukasische Race" behandelt werden.

Die Schwerpunkte zeigen deutlich die Handschrift der Alt-Liberalen, jener Gruppe, die sich auch für die Gründung des Pädagogiums stark machte und eine deutliche Affinität zu den naturwissenschaftlichen und anthropologischen Disziplinen der Zeit hatte.
1882: "Urgeschichte der österreichischen Länder"
im Lehrplan des Pädagogiums
Im Lehrplan für das reorganisierte Pädagogium in Wien 1882 ist dann für den 1. Jahrgang "Die Geschichte des Alterthums bis zum Sturze des röm. Reiches und der Urgeschichte der österreichischen Länder mit bes. Betonung der Culturgeschichte" vorgesehen. Außerdem wird der Besuch archäologischer Sammlungen empfohlen.
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Der Weg zum Pädagogium
Seit Maria Theresias Zeiten wurden in Präparantenkursen Lehrer in nur wenigen Monaten ausgebildet. 1848 konnten dann diese Lehrkurse auf ein Jahr und 1849 auf zwei Jahre verlängert werden. 1855 wurden durch das Konkordat Denklehre sowie Körper- und Seelenlehre gestrichen.

1862 forderte erstmals ein Gemeinderat die Errichtung eines städtischen Lehrerseminars, fand jedoch dafür noch keine Mehrheit. Erst 1867 wurde das Pädagogium vom Wr. Gemeinderat genehmigt. Im WS 1868/69 begann eben dieses in der Hegelgasse den Lehrbetrieb. Die Einrichtung war mit einer Übungs-Volksschule verbunden; die Ausbildung war vier- bis sechsjährig.
->   Pädagogium in der Hegelgasse - Geschichte
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In den Lehrplänen der Schulen fehlt Urgeschichte
In den Lehrplänen für die Realschulen 1870 und Gymnasien 1884 findet sich dagegen noch keine Prähistorie. In Letzteren wird sogar davor gewarnt, dass durch die immer reichlicheren Ergebnisse der orientalischen Alterthumskunde, die Jugend gefährdet sei: denn dieser fremde Geist könne die Schwerpunkte der jugendlichen Auffassung "verrücken".

Lediglich im Kapitel Mittelalter wird empfohlen, mit einer Wiederholung "der Urgeschichte der Germanen" zu beginnen. Dazu soll in der Unterstufe den Kindern der Lehrstoff durch ausgewählte Sagen nahegebracht, in der Oberstufe dagegen werden originale Schriftquellen den Sagen gegenübergestellt.
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Ein Schulbuch um 1885
Die Erde, der Wohnplatz der Menschen, ist vor undenklichen Zeiten anders beschaffen gewesen, als jetzt. Die Lebensweise der Menschen und Völker richtet sich nach ihrem Aufenthaltsorte. An fischreichen Gewässern nährten sie sich von Fischen, die sie fingen, und so bildeten sich Fischervölker; in Gebirgen und Wäldern lebten sie von dem Fleische wilder Thiere, die sie erlegten, - es entstanden Jagdvölker.

Nach und nach erkannte der Mensch, daß manche "Thiere" sich zähmen lassen. So entwickelte sich die Viehzucht, und aus den wilden Jägern wurde der sanftere Hirt. Dieser pflegte die Thiere, trieb sie auf die Weide. So enstand die Viehzucht.
Sie zogen von Weide zu Weide, - sie waren Nomaden.
Erst später kam der Mensch in fruchtbaren Gegenden darauf, den Boden zu bebauen - es entstand Acker- oder Feldbau.
(Gekürzte Auszüge aus J. Loserth, Leitfaden der Allgemeinen Geschichte für die Gymnasien, Wien 1885)

In dieser knappen Form geht es weiter, wobei die Grundlage evolutionäre Vorstellungen bildeten: von der Höhle über Hütten und Zelte bis zu bleibenden Wohnsitzen mit Dörfern und Städten; von der Familie mit einem Familienvater, über Stamm und Patriarch bis hin zum Staat.
->   Biographie J. Loserth
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Archäologische Fundstätten wurden in dem Gymnasial-Lehrbüchern noch nicht berücksichtigt, obwohl solche bereits von Jordan Kaj. Markus in seiner "Geschichte Österreich-Ungarns für Schule und Haus" (Wien 1871) relativ ausführlich behandelt wurden.

Er unterschied zwischen erster und zweiter Steinzeit, Bronze- und Eisenzeit. Die Älteste Geschichte wurde folgendermaßen gegliedert: Die Kelten in unseren Landen (mit Mitterberg und Hallstatt, sic!). Die illyrischen Völkerschaften. Die alten Deutschen. Marbod und das Markomannenreich. Die Römer in unseren Landen. Die Hunnen. Der heilige Severin. Die Slaven u.s.w.
Urgeschichte Österreichs in den Schulbüchern, zwischen Römern und Germanen versteckt

Hermannsdenkmal
Ab etwa 1890 wurde in den Lehrbüchern mehrfach im Abschnitt über das Mittelalter ein Kapitel zu den ältesten Bewohnern Österreichs eingefügt. Dabei werden nicht nur die obligatorischen Pfahlbauten gezeigt, sondern auch "Geräte und Geschirre aus den Pfahlwerken".

Diese Bilder zur Urgeschichte, eingebettet im Band Mittelalter zwischen dem Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald und dem Palast des Diocletian in Spalato (bspw. T. Tupetz, Lehrbuch der Geschichte für Mädchenlyzeen, Wien 1903), liegen zwar etwas versteckt; anders war es aber wegen der Lehrpläne nicht möglich.

 


Idealbild eines Pfahlbau-Dorfes im Laibacher Becken.

Eine der gängigsten Abbildungen zur Urgeschichte zeigt das Leben der Pfahlbauleute. Zumeist wurden dazu romantische Rekonstruktionen der Pfahlbauten aus dem Laibacher Moor verwendet.
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Ein Schulbuch um 1890
Erzählungen aus der Geschichte des Mittelalters (375-1492)
1. Das erste Auftreten der Deutschen.

Einleitung: Die wichtigsten Culturvölker des Alterthums waren die Griechen und Römer. Den letzteren gelang es, ein großes Weltreich zu gründen, ...; allein auf ihrer siegreichen Laufbahn traten ihnen die Deutschen oder Germanen entgegen.
Land und Volk. Wie bei den meisten Völkern der Erde, so ist auch die Urgeschichte der Deutschen in tiefes Dunkel gehüllt. Doch waren sie wahrscheinlich nicht die ersten Bewohner dieses Landes, sondern die Nachfolger roher Völker, über deren Leben uns nur Gräberfunde eine Vorstellung bilden können.

Solch uralte Gräber fand man auch an vielen Stellen in Österreich, so bei Mies und Teplitz in Böhmen, bei Hallstatt in OÖ und an der Donau. Man fand, dass die Menschen ursprünglich in Höhlen, später häufig auch am Rand von Seen und Morästen auf Pfahlbauten wohnten. Reste von Pfahlbauten fand man namentlich auf dem Laibacher Moor, im Atter-, Mond-, Traun- und Neusiedler-See. Die Geräthschaften und Waffen der Menschen waren ursprünglich aus Stein. Man nennt dieses Zeitalter die Steinzeit.

Abgebildet wurden weiters ein Hünengrab bei Berlin und ein Hügelgrab mit Steinsetzung aus Dänemark. Kurz werden Bronze- und Eisenzeit erwähnt (ohne Abbildungen), danach ausführlicher das Wohnhaus der Deutschen mit einer romantischen ganzseitigen Abbildung von Ad. Lehmann sowie die Kimbern und Teutonen. Es folgt Armin, die Schlacht im Teuteburger Walde und eine Abbildung des Hermannsdenkmals.

Gekürzte Auszüge aus Anton Gindelys Lehrbuch der Geschichte für Knaben-Bürgerschule (Wien-Prag 1893).
->   Biographie A. Gindely
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Germanisches Gehöft vor der Völkerwanderung (nach Ad. Lehmanns kulturgeschichtlichen Bildern).
Urgeschichte in der Einleitung
In A. Bauers Lehrbuch der Geschichte des Alterums für die oberen Klassen der Realschulen von K. Schober (1905) wird auch kurz in der Einleitung der Begriff "Prähistorische Forschung", die Quellen der Prähistorie und die Einteilung der prähistorischen Zeit und die unterschiedlichen Übergange zur Geschichte erklärt.
In der Geschichte des Altertums, Ausgabe für Gymnasium von E. Groag und H. Montzka (Wien 1914) wird dann "Die Urgeschichte (Prähistorie)" nicht mehr in der Einleitung, sondern als eigenes Kapitel behandelt. An der Abbildung des Pfahlbau-Dorfes im Laibacher Becken hat sich allerdings nichts geändert.

Im Rahmen der altorientalischen Geschichte werden auf sechs Seiten auch die Indogermanen behandelt. In den Lehrbüchern dieser Zeit war es allgemein üblich, daß zumeist nach den Merowingern oder den Avaren ein Kapitel über Mohammed und die Araber, das Wahl-Kalifat und die omejjadische Dynastie oder allgemein über den Islam eingeschoben worden ist. Fixer Bestandteil des Mittelalter-Lehrstoffes sind die Heiligen-Viten des Hl. Severin, des Hl. Rupert und oft auch des Hl. Bonifatius.
Hinweise zu den Neandertalern bzw. Vormenschen wurden nicht in die Geschichts-Lehrbücher aufgenommen. Sie finden sich im Zusammenhang mit der Naturgeschichte, wie in A. Bischings Mineralogie und Geologie für Österr. Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten von J. Politia u. W. Beckert (Wien 1912), mit einem relativ umfangreichen Kapitel "Der prähistorische Mensch". Dort wurden neben dem Neandertaler auch zahlreiche paläolithische und neolithische Fundstätten in Österreich beschrieben.
Wandtafeln
In den Lehrbüchern nach 1900 werden immer mehr archäologische Funde abgebildet. Eine Voraussetzung dafür schuf Matthäus Much, der 1894 eine Rolltafel "Vor- und frühgeschichtliche Denkmäler aus Österreich und Ungarn" für Schulen zusammenstellte; die Aquarelle dazu schuf L. H. Fischer.
->   Matthäus Much - Biographie
->   Urgeschichte im Schulunterricht - Teil 2
Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht
Anläßlich des Beginns des Wintersemesters und des Inkrafttretens des neuen Universitätsgesetzes 2002 sollen im Laufe des Oktobers und Novembers einige Forschungsprojekte des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien vorgestellt werden, bei denen die Studierenden aktiv mitwirkten.
->   Profil des Instituts für Ur- und Frühgeschichte
Zuletzt
->   Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht V
 
 
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung 
 

 
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