Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung 
 
Archäologischer Jahresrückblick 2002  
  Neufunde zu den ältesten Menschen stehen am Beginn des archäologischen Jahresrückblicks 2002. Eine Bronzescheibe gibt Einblicke in die Vorstellungen des Universums vor 3.600 Jahren. Ein Resümee zur Forschungssituation in Österreich und zum Urgeschichtlichen Institut bildet den Abschluss.  
FUND DES JAHRES 2002

Foto: M.P.F.T.
Der Schädel von Toros-Menalla, Fundstelle TM266, in der südlichen Sahara in Tschad, entdeckt von Djimdoumalbaye Ahounta in Rahmen eines französischen CNRS-Projektes unter Michel Brunet, wurde bereits 2001 gefunden - wegen seiner morphologischen Kennzeichen und seiner Herkunft erhielt er im Juli 2002 den Namen "Sahelanthropus tchadensis".

Er wird zur Zeit nach seiner Begleitfauna (Säugetiere, Schlangen, Fische und Schildkröten), die ähnlich zweier Fossilienlager des oberen Miozäns in Kenia sind, auf rund sechs bis sieben Jahrmillionen datiert. Dieses hohe Alter und die Lage der Fundstelle, weit entfernt von der bisher angenommenen "Wiege der Menschheit", stellen die bisherigen Theorien zur Entstehung der Vormenschen massiv in Frage.

Letztendlich zeigt dieser Neufund schlaglichtartig, wie dürftig unser bisheriges Wissen zu den frühen Hominden ist und wie wenig abgesichert die bisherigen Überlegungen der Paläoanthropologen zur Genese des Menschens sind. Die Konzentration der Fossilien der Australopithecinen etc. spiegeln nicht ihren Ursprung wider, sondern lediglich die geologisch bevorzugten Fossilienfundstätten. Der Neufund deutet an, dass sich die Linie der Menschenaffen (Pongiden, insbesondere der Schimpansen) früher, als bisher angenommen, von den Hominden getrennt hatte.

Nachdem dieser Fund die Anfänge der Hominden-Evolution betrifft, die Grundfrage der Anthropologie wie der Prähistorie ist, wurde das Fossil an erste Stelle gereiht.
Der älteste hominide Schädel

Die Fundstelle; Foto: M.P.F.T.
Der Schädel, "Toumaï" genannt, hat ein Gehirnvolumen von etwa 350 qcm - dies entspricht etwa dem Schädel eines Schimpansen. Die Zähne und die Brauenwülste weisen bereits hominde Züge auf - das Schädeldach wirkt dagegen noch pongid (affenartig); ein gesicherter aufrechter Gang ist ebenfalls umstritten.
->   Mehr Informationen zum Sahelanthropus tchadensis
->   Das Tschad-Projekt und Toros-Menalla
HAUPTPROBLEM:
Zerstörung des archäologischen Kulturerbes

Zerstörte Buddhas von Bamiyan
Die Sicherung des archäologischen Kulturerbes steht weiterhin im Vordergrund internationaler Bemühungen. Standen im Vorjahr (2001) die Zerstörung durch terroristische Regime im Brennpunkt der Medien, so wurden im Jahr 2002 erneut die Zerstörung durch Kriege (bspw. in Afghanistan) wie durch Klimawandel verstärkt thematisiert.

Persönlich finde ich es allerdings geradezu pervers, wenn Zivilbevölkerung, Schulen und Spitäler getötet und zerstört werden, sich Gedanken über den Schutz von Museumsbeständen und archäologischen Denkmalen zu machen.

Anderseits wäre es natürlich wünschenswert - wenn schon Kriege nicht zu vermeiden sind - großräumige Schutzzonen für die Zivilbevölkerung und ihrer Einrichtungen sowie zur Sicherung der Umwelt und der Kultur zu erlassen, anzuerkennen und letztendlich zu respektieren. Das technische Know-how dafür (GIS), dürfte heute kein Problem mehr darstellen.
->   UNESCO 2002 - Jahr des kulturellen Erbes
Gefährdung durch Klimawandel

Niedersächs. LMus.
Archäologische Stätten im Moor, wie ein jungsteinzeitlicher Knüppeldamm im niedersächsischen Campemoor, einer der ältesten Moorwege überhaupt, sind durch zunehmende Trockenheit bedroht.
->   Britische Forscher warnen vor Austrocknung der Moore
Interessanteste und umstrittenste prähistorische FUNDE, die im Jahre 2002 bekannt geworden sind

Foto: National Science Foundation
Es stellt geradezu den Regelfall dar, dass während der Ausgrabung nicht immer bereits die Bedeutung des archäologischen Fundes erkannt wird, sondern dieser erst im Zuge der Restaurierung und wissenschaftlichen Aufarbeitung erkannt wird.

So wurden erst im Jahre 2002 Ockerstücke mit eingravierten Mustern bekannt, die von Christopher Henshilwood gemeinsam mit Knochenwerkzeugen aus rund 80.000 Jahre alten Kulturschichten in der Blombos-Cave, Kap-Provinz, Republik Südafrika, entdeckt worden sind.

Es sind die ältesten "verzierten" Gegenstände, die bisher entdeckt worden sind - sie zeigen, dass das "Kunstschaffen" bereits ein Wesenszug des frühen Homo sapiens war.
->   Aktueller Bericht zu den Forschungen in der Blombos Höhle
Die Bronzescheibe von Nebra

Foto: Juraj Liptak
Die Bronzescheibe aus einer Wallanlage auf dem Mittelberg im Ziegelrodaer Forst bei Nebra (Sachsen-Anhalt), der in die ausgehende Frühbronzezeit datiert, erhielt erst durch die mühevolle detektivische Arbeit der Landesdenkmalpfleger seinen historischen Wert - sie gibt Hinweise auf die astronomischen und mythologischen Vorstellungen der Mitteleuropäer im 16. Jhdt. v. Chr.

Die Scheibe enthält 32 kleine Goldblättchen, die als Sterne anzusehen sind; sieben davon zeigen die Plejaden (das Siebengestirn). Mondsichel und Sonne (oder Vollmond) sind scheinbar klar zu erkennen; die Sonnenbarke, die zwischen den beiden Randbögen - den östlichen und westlichen Horizontbögen zieht - ebenso.
->   Mehr Informationen zur "Himmelsscheibe von Nebra"
Archäologische AUSSTELLUNGEN des Jahres 2002
Foto: U. Seitz/Gray,  LfDH.
Als die bedeutendsten archäologischen Ausstellung des Jahres kann wohl die große Keltenausstellung "DAS RÄTSEL DER KELTEN VOM GLAUBERG" in Frankfurt (Schirn-Kunsthalle) gelten.

Im Mittelpunkt standen die Zentralsiedlung auf dem Glauberg (Hessen) mit seinen reichen "Fürstengräbern" und den drei lebensgroßen Steinplastiken sowie deren Entsprechungen in der eisenzeitlichen Welt der Hallstattkultur und Latènekultur.
->   Glauberg 2002: Geschichte und Kultur rund um den Glauberg
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Ein Überrest der Varusschlacht
Menschen - Zeiten - Räume
Archäologie in Deutschland

bis 31.3.03: Berlin, Martin-Gropius-Bau;
9.5-24.803: Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle

"Die erste Ausstellung über die Archäologie aller deutschen Länder präsentiert die spektakulärsten Funde und die wichtigsten Ausgrabungsstätten der letzten 25 Jahre. Eine unkonventionell inszenierte Schau schickt den Besucher auf eine faszinierende Zeitreise von der Entstehung der Erde bis zur Gegenwart und zeigt die Bedeutung der Archäologie für die Zukunft." ... so die Selbstdarstellung der Ausstellung - eine der interessantesten Exposition, die anlässlich der 100 Jahre-Feier der Röm.-Germ. Kommission des DAI gezeigt wird - eine Leistungsschau der deutschen Archäologie.
->   Archäologie-in-Deutschland
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DAS ARCHÄOLOGISCHE JAHR 2002 IN ÖSTERREICH
Die archäologische Erforschung in Österreich ist kontinuierlich weiter betrieben worden - besondere sensationelle und überregional hervorragende Funde wurden - soweit dies direkt bei den Grabungen festgestellt werden kann - nicht entdeckt bzw. mir nicht bekannt.

Es erscheint auch nicht wirklich Aufgabe der verschiedenen wissenschaftlichen oder musealen Institutionen "Sensationen" zu entdecken, sondern vielmehr für eine zielgerichtete und kontinuierliche Erforschung und Sicherung des archäologischen Erbes zu sorgen.
->   Aktuelle Ergebnisse der Bodenforschungen des BDA im Jahre 2002
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In der Tat waren viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der großen Museen mit der Privatisierung und ihrer direkten Folgen, die Universitätsinstitutionen mit der Entstehung der Universitätsreform und ihrer Auswertung, weitgehend administrativ beschäftigt und gebunden - für eine innovative Forschung blieben da meistens keine Ressourcen.

Dies wird sich wohl auch in den nächsten Jahren - zumindest soweit es die Universitäten betrifft - kaum ändern. Der Mittelbau erscheint durch die Genese des UniG 2002 weitgehend demotiviert und ausgebrannt; es wird sich zeigen, wie die neue Universitätsführung die zunehmende Verschulung der Universität verhindert, die seit Humboldt (1810) bestehende Einheit von Lehre und Forschung stärkt und nicht nur wirtschaftlich gewinnbringende, sondern auch gesellschaftlich und kulturell interessante Fächer fördert und weiterentwickelt.
->   Uni-Lexikon, Heureka 4/2002
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Über die Zukunft der Universitäten
Vortrag von Prof. Dr. Gottfried Schatz, Präsident des Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierates vom 16. Dezember 2002 an der Univ. Wien:

"Ein Land, das nur 1,9 Prozent des Bruttosozialprodukts für Höhere Bildung und Forschung aufwendet, ist international in der Forschung einfach nicht konkurrenzfähig."

"Wenn das Nachwuchsproblem nicht gelöst wird, wird die gesamte Universitätsreform scheitern." Hauptkritikpunkt ist die derzeit fehlende Tradition einer transparenten, internationalen Auswahl, die Möglichkeit zur unabhängigen Forschung und eine mögliche permanente Anstellung für begabte Assistenz-ProfessorInnen, die sich als unabhängige Forschende bewährt haben.
->   Aus der Online-Zeitung der Universität Wien
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JAHRESRÜCKBLICK des Vorstands des Instituts für Ur- und Frühgeschichte
R?ckblickend wird das Jahr 2002 als durchaus positiv gesehen - eine Auswahl aus dem Jahresbericht:

- Die Anschaffung einer Infrarot-Falschfarben-Entwicklungsmaschine aus den Mitteln der Universit?tsmilliarde sichert f?r viele Jahre den kontinuierlichen Ausbau unserer Luftbildarchives.

- Der Austausch des Dienst-KFZ hilft der Durchf?hrung von Exkursionen und Ausgrabungen.

- Durch die Habilitation von Frau Dr. Brigitte Cech f?r das Fach "Montan- und Industriearch?ologie" und ihre Zuweisung zu unserem Institut verbreitet sich das zuk?nftige Lehrangebot des Faches Ur- und Fr?hgeschichte merkbar.

- Die Nachbesetzung des Leiters unserer Restaurierwerkst?tte sowie der Karenzvertretung bei den Photografen erfolgte ohne zeitliche Unterbrechung, so dass die Werkst?tten kontinuierlich arbeiten konnten. Unsere Photografenlehrlinge erhielten Preise bzw. Auszeichnungen - was wohl auch als Zeichen f?r die gute Lehrherrin gelten kann.

- Der Abschluss eines neuen Vertrages mit dem Akademieverlag sichert nicht nur die Erscheinung unserer Institutszeitschrift Archaeologia Austriaca, sondern auch den Schriftentausch unserer Fachbibliothek mit ?ber 100 in- und ausl?ndischen Partnern.

- Internationale Forschungskooperationen, u. a. mit Frankreich und Deutschland, sind erfolgreich angelaufen (Vix, Haithabu etc.); neue - mit italienischen Institutionen (Denkmalpflege, Superintendencia) - konnten abgeschlossen werden. Sie erm?glichen kosteng?nstige Forschungen im Ausland und schaffen Netzwerke innerhalb der EU.

- Mehrere Workshops, Symposien und Tagungen wurden von der Kollegenschaft (mit)organisiert und durchgef?hrt - die Themen reichten von den Rohstoffen des Pal?olithikums bis zur Umweltarch?ologie.

- Die Finanzierung aller Grabungsprojekte (rund 20 Grabungen in N?., Bgld., Stmk., O?., Bayern und Burgund) sowie zahlreicher Forschungsarbeiten oft unter Einsatz studentischer Kr?fte und in enger Zusammenarbeit bzw. Auftrag mit Nachbarinstituten (VIAS, ZAMG, BDA, ASINOE) erfolgt dankenswerterweise durch viele verschiedene Stellen, Institutionen und Fonds. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Dass daneben nat?rlich auch viele berechtigte W?nsche und Projekte unerf?llt geblieben sind, sei nicht verschwiegen.

Einige Projekte, bei denen Studierende direkt an der Forschung integriert sind, wurden in einer kleinen Reihe in science.ORF.at vorgestellt, zuletzt:
->   Institut für Ur- und Frühgeschichte forscht (VIb)
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Personalia
Traurige und erfreuliche Personalia sollen den Abschluss dieses Jahresrückblickes bilden.
Prof. J.-W. Neugebauer 1948 - 2002

15.8.2002: Ableben von aoUniv.-Prof. Dr. Johannes-Wolfgang NEUGEBAUER, Wiss. Oberrat im Bundesdenkmalamt, Abt. für Bodendenkmale, langjähriger Professor für Urgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der Metallzeiten am Institut für Ur- und Frühgeschichte.

Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, korrespondierendes Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts, Leiter des Urzeitmuseums Nußdorf/Traisen.
->   Das Urzeitmuseum Nußdorf/Traisen
Leo Leitner 1946 - 2002

12.12.2002: Ableben von Leo LEITNER, Grafiker am Institut für Geologie der Universität Wien und langjähriger Univ.-Lektor sowie freier Mitarbeiter bei vielen Grabungs-, Forschungs- und Buchprojekten am Institut für Ur- und Frühgeschichte.
Verleihung des Ehrendoktorats für Prof. Herwig Friesinger

11.12.2002: Verleihung des Ehrendoktorats der Masaryk-Universität Brünn an o.Univ.Prof. Dr. Herwig Friesinger (Sekretär der phil.-hist. Klasse der ÖAW)
->   Biographie -
o. Univ. Prof. Dr. Dr. h. c. Herwig Friesinger

 


 
 
 
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