Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung 
 
Eine keltische Reitereinheit und ihr Schicksal
Männer- und Pferdefunde bei Gondole (Auvergne, Frankreich)
 
  Aktuelle Neufunde der keltischen Archäologie in Zentralgallien mit einer Deposition von acht Reitern vor den Mauern einer gallischen Befestigung bieten Einblick in das Verhalten keltischer Krieger.  
Keltenforschung im Gebiet der Arverner
Im Laufe der diesjährigen A.F.E.A.F.-Tagung in Clermont-Ferrand wurden die Ergebnisse der archäologischen Feldforschungen in der Auvergne vorgestellt, darunter auch die Ausgrabungen im Befestigungswerk von Gergovia.

John Collis, Vincent Guichard und andere berichteten über die durchgeführten Surveys und Rettungsgrabungen in und um die drei gallischen Oppida im Umfeld von Clermont-Ferrand: Gergovia, Corent und Gondole.
->   Französisch-Englisch-Österreichisches Forschungsteam in Gergovia
Ein Massengrab keltischer Reiterei aus Gondole

Foto: U. Cabezuelo, Inrap
Rund 300 m außerhalb der Befestigung des Oppidums von Gondole wurden drei Gräber entdeckt. Eines davon war herausragend, denn in ihm wurden acht Pferde und acht Männer, in je zwei Vierreihen niedergelegt. Mit Ausnahme der Skelette befanden sich praktisch keine Beigaben in der 3,6 m langen und 3,2 m breiten Grabgrube.

Zuerst wurden die Pferde in die Grube gelegt. Nach der Lage der Beine neben bzw. unterhalb der benachbarten Körper kann die Reihenfolge der Niederlegung festgestellt werden. Sie erfolgte abwechselnd. Zuerst wurde ein Pferd in der südlichen Reihe, dann eines in der nördlichen Reihe, dann wiederum eines in der südlichen u.s.w. niedergelegt. Das stratigraphisch zuunterst liegende Pferd ist das 2. Pferd von Westen. Alle Pferde kamen ohne Schirrung in die Grube, ein Pferdeschädel weist eine Perforation (Loch) auf.

Die Pferde waren, wie in der keltischen Welt üblich, relativ klein. Ihre Schulterhöhe betrug nur rund 1,2 m.
Gondole (Gemeinde Cendre)
 
Foto: DRAC, service régional de l'Archéologie d'Auvergne


Der Blick von Osten zeigt die beiden Reihen von jeweils vier Menschen- und vier Pferdeskeletten. Alle lagen auf der rechten Seite mit dem Schädel im Süden. Östlich der Pferde lagen sieben erwachsene Männer und ein etwa 15-jähriger Jugendlicher.
Zwei Reitergruppen

Foto: U. Cabezuelo, Inrap
Nach den Pferden wurden die Menschen niedergelegt. Zuerst der Jugendliche, dann die Männer in der südlichen Reihe und zuletzt die weiteren drei Männer in der nördlichen Reihe. Alle lagen auf der rechten Seite mit dem Kopf im Süden.

Interessant ist die Armlage. Alle Erwachsenen hatten den linken Arm erhoben, so dass der Ellbogen auf der Schulter bzw. der Unterarm auf den Schädel des Vordermanns zu liegen kam. Die beiden östlichsten Männer sowie der Jugendliche hatten dagegen beide Hände vor das Gesicht gelegt.

Nachdem keinerlei Trachtbestandteile oder Waffen gefunden wurden, erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die Männer nackt niedergelegt worden sind. Spuren eines Kampfes oder Opfers konnten nicht festgestellt werden.
Zur Frage des Alters
Da keine Waffen, Ausrüstungs- oder Trachtbestandteile sowie Beigaben in dem Komplex gefunden wurden, kann eine Altersbestimmung nur durch die Radiokarbondatierung erfolgen. Diese ist jedoch in den Jahrhunderten der ausgehenden Eisenzeit wegen der Kalibrierung ungünstig.

Das kalibrierte Datum liegt zwischen 120 v. Chr. und 85 n. Chr., kann also durchaus in die Besiedlungszeit des Oppidum von Gondole, in der Subphase Latene D2, das heißt etwa in der Zeit zwischen 70 bis 20 v. Chr., datieren - jenen Jahren, in denen auch der Gallische Krieg stattfand und Cäsar - vergeblich - Gergovia belagerte.
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Projektstruktur und Quellen
Responsable d'operation: Ulysse Cabezuelo und Jemima Dunkley, INRAP (Institut National de Recherches Archéologiques Préventives)
Controle scientifique: DRAC, service regional de l'Archeologie d'Auvergne
Amenageur: Conseil general du Puy-de-Dome.
Etude archeozoologique: Pierre Caillat (Inrap) avec le concours de Patrice Méniel (CNRS).
Radiokarbondatierung: Archeolabs Le Chatelard 38840 Saint Bonnet de Chavagne

Pierre Caillat, Ulysse Cabezuelo (beide INRAP) und Patrice Meniel (CNRS) berichteten am 27. Kolloquium der Association Francaise pour l'Etude de l'Age du Fer (A.F.E.A.F.) über den Ende Mai 2002 gemachten Fund einer Mehrfachbestattung von Menschen und Pferden von Gondole (commune du Cendre).
->   Französischer Bericht
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Versuch einer Interpretation: Gruppen von vier Reitern

Die Anordnung der Skelette in zwei Reihen mit jeweils vier Personen und vier Pferden erinnert an Reitergruppen. Die keltische Archäologie kennt mehrfach Darstellungen derartiger Reiter- bzw. Streitwagengruppen.

Aus Österreich findet sich zum Beispiel auf der Schwertscheide von Hallstatt eine Gruppe von vier Reiterkriegern (Bild, unten). Die Situla von Kuffern zeigt eine Gruppe von vier Streitwagenfahrern. Beide Darstellungen datieren bereits in die frühe Latenekultur (etwa um 400 v. Chr.) und sind im Naturhistorischen Museum in Wien zu sehen.
Gundestrup-Kessel

Das bekannteste Beispiel der Darstellung einer aus vier Reiterkriegern bestehenden Gruppe stammt vom berühmten Silberkessel von Gundestrup, der wohl im 1. Jhdt. v. Chr. in Werkstätten des unteren Donauraumes geschaffen und später in einem Moor in Jütland versenkt worden ist.

 


Hinrichtung und/oder Opfer

Linker Arm, der sich schützend über den Kopf des Vordermannes legt
Der Befund dürfte daher zwei Reitereinheiten darstellen. Sie wurden nicht regulär bestattet, denn es fehlen die Beigaben; sie wurden auch nicht im Kampfe getötet, zumindest fehlt jeder Hinweis auf kennzeichnende Verletzungen; sie wurden aber auch nicht beraubt und einfach verscharrt, wie es mit geschlagenen Gegnern vielleicht geschehen wäre.

Zuletzt bleibt daher nur der Versuch, die geordnet niedergelegten Männer und Pferde als Opfer zu verstehen. Sie könnten beispielsweise - entsprechend der Angaben bei Cäsar - die letzten bei einem Sammelpunkt eingetroffenen Kriegereinheiten darstellen, die vor dem Beginn einer Schlacht geopfert worden sind. Dies könnte erklären, warum die Männer nackt, aber doch in sehr geordneter Weise gemeinsam mit ihren Pferden niedergelegt worden sind. Die Armhaltung würde dabei die Zusammengehörigkeit der Gruppe symbolisieren, die sich gemeinsam - entsprechend ihrer Sitte - ihrem Schicksal fügt.
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Wer zuletzt eintrifft, wird hingerichtet
"Als er [Indutiomarus] sah ... berief er eine Versammlung in Waffen. Dies bedeutet nach gallischer Sitte die Eröffnung des Krieges, und nach allgemein gültigem Gesetz haben sich alle Erwachsene bewaffnet einzufinden; wer zuletzt eintrifft, wird im Angesicht der Menge ... hingerichtet."

Cäsar, Gallischer Krieg V, 56, 1-2
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Auf Leben und Tod verschworene Männer
"einen Ausfall ... auf Leben und Tod verschworene Männern, die sie 'Soldurier' nennen; diese haben folgendes Verhältnis: Sie genießen alle Freuden des Lebens mit den Männern, denen sie sich als Freunde geweiht haben; im Falle ihres gewaltsamen Todes jedoch teilen sie auch dieses Los mit ihnen oder nehmen sich selbst das Leben. Seit Menschengedenken fand sich niemand, der sich nach dem Tod seines eidlich erkorenen Freundes zu sterben geweigert hätte."

Cäsar, Gallischer Krieg, III, 22, 1-3.
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Vercingetorix und seine Reiterei
Der Fundkomplex kann natürlich auch direkt mit den Aktivitäten von Vercingetorix in Zusammenhang stehen.

52 v. Chr., das siebte Kriegsjahr, begann mit gallischen Anschlägen. Die Karnuten begannen nach Rücksprachen mit anderen gallischen Stämmen und fielen in Cenabum ein und ermordeten römische Geschäftsleute. Sie nutzten die Abwesenheit Cäsars, der in Italien Gerichtstage abhielt. Außerdem lagen die Legionen noch in den Winterquartieren.

Auch Vercingetorix im Gebiet der Arverner versuchte Aufstände zu organisieren. Als aber sein Vorhaben bekannt wurde, vertrieb sein Onkel Gobannitio und die übrigen Stammeshäupter (principes) Vercingetorix aus dem Oppidum Gergovia. Er ließ jedoch nicht locker und hob aus dem flachen Land Habenichtse und anderes Gesindel aus. Mit dieser Bande zog er durchs Land und stand bald an der Spitze einer großen Streitmacht. Er vertrieb nun seinerseits seine Gegner, die ihn kurz zuvor hinauswarfen, und ließ sich von seinen Leuten zum König ausrufen.

Danach schickte er Gesandschaften an zahlreiche andere gallische Stämme und bekam den Oberbefehl übertragen. Im Besitz dieser Macht ließ nun Vercingetorix in ganz Gallien Truppen ausheben. Besonderen Wert legte er dabei auf die Reiterei, die er unter Anwendung barbarischer Methoden ausbildete. Bei Verstößen gegen seine Anordnungen bzw. die Disziplin kam es auch zu öffentlichen Hinrichtungen. Vielleicht ist der Befund von Gondole ein archäologisches Zeugnis dieser Vorgänge?
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Bei größeren Vergehen läßt er die Leute hinrichten
."... besonders geht es ihm um die Reiterei. Mit höchster Energie vereinigt er [Vercingetorix] äußere Strenge der Machtausübung; Zögernde bringt er durch grausame Strafen zum Gehorsam. Bei größeren Vergehen läßt er nämlich die Leute mit Feuer und allen erdenklichen Martern hinrichten, bei geringeren Verstößen mit abgeschnittenen Ohren oder auf einem Auge geblendet heimschicken, um durch die schwere Strafe für alle anderen ein warnendes und abschreckendes Beispiel zu statuieren."

Cäsar, Gallischer Krieg, VII, 4, 7-10

Alle Übersetzungen von Otto Schönberger, Sammlung Tusculum)
->   C. Iulii Caesaris commentariorum belli Gallici
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