Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung .  Gesellschaft 
 
Das Ende der 1. Republik  
  Die Ereignisse des 12. und 13. März 1938, der Einmarsch Deutscher Truppen in Österreich und die Beschlussfassung des Anschlussgesetzes, beschäftigen noch immer die Historiker. War das Anschlussgesetz legal und wie kam es zustande?  
->   Das Kabinett Seyß-Inquart
12. März 1938
Am Tag des Einmarsches Deutscher Truppen nach Österreich fand unter dem Vorsitz von Seyß-Inquart die 1070. Sitzung des Ministerrats statt. Alle waren anwesend.

Besprochen wurde laut Verhandlungsprotokoll (DÖW) ein Bundesgesetz über Bankfeiertage, Verschärfung der Devisenvorschriften, Schutz des landwirtschaftlichen Besitzes, die Amnestie für die Emigranten, die Außerdienststellung von Beamten, der Einsatz eines Ministerkomitee für wirtschaftliche Angelegenheiten und die Aufhebung des Verbotes der NSDAP. Zu Wort meldeten sich in der 3/4-stündigen Sitzung die Bundesminister Neumayer, Fischböck, Reinthaller, Hueber, Glaise-Horstenau, Jury, Skubl und Seyß-Inquart.

Danach flog der Bundeskanzler zur Begrüßung Hitlers nach Linz. Welche Minister ihn begleiteten, ist unklar.
Freuden- und Bedenktag 12. März
 

Wie sich auch in diesem Jahr zeigte, wird der 12. März, der Tag, an dem die Deutschen Truppen in Österreich einmarschierten und Hitler seinen ersten Triumph in Linz hatte, in den Medien kaum wahr genommen.

So ist es vielleicht auch erklärlich, dass seit einigen Jahren der Rektorstag der Universität Wien just an dem selben Tag gefeiert wird; natürlich nicht wegen des Einmarsches, sondern weil am 12. 3. 1365 Herzog Rudolf IV. von Habsburg mit seinen Brüdern Albrecht III. und Leopold III. die Gründungsurkunde der Universität Wien unterzeichnet hatte.

So feiern wir in den 5-er Jahren die Gründung der Universität Wien, und in den 8-er Jahren gedenken wir des Einmarsches.
13. März - das Ende der 1. Republik
Im Verhandlungsprotokoll über die 1071. Ministerratssitzung (DÖW), an der neben den Teilnehmern des Vortages auch neuernannte Mitglieder, darunter der berüchtigte Ernst Kaltenbrunner als Staatssekretär und als Bundesminister für die politische Willensbildung Hubert Klausner anwesend waren, dauerte nur 5 Minuten: von 17 Uhr bis 17 Uhr 5 Min.

In diesen wenigen Minuten wurde das "Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich" beschlossen, durch welches Österreich seine Souveränität mit dem Tag der Kundmachung, das heißt sofort, verlor. Allein, es fehlte die Unterschrift des Bundespräsidenten.

"Die Mitglieder der Bundesregierung erhoben sich zur Feier der Stunde von den Sitzen und leisteten den Deutschen Gruß", berichtet abschließend das Sitzungsprotokoll.
Das Anschlussgesetz vom 13. März 1938
 


Aus heutiger Sicht scheint das Bundesverfassungsgesetz der rechtlich korrekt ernannten Regierung Seyß-Inquart über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich nicht legal zustande gekommen sein.

Denn Seyß-Inquart, dem die Aufgaben des Bundespräsidenten übertragen wurden, hätte in dessen Vertretung die allgemeine Volksbefragung vor Inkrafttreten des Verfassungsgesetzes durchführen müssen.

Allerdings war durch die Vorgänge während des austrofaschistischen Ständestaates die Verfassung kaum mehr das Papier wert, auf dem sie niedergeschrieben stand.
BP Miklas berichtete über den Nachmittag des 13. 3. 1938

Bundespräsident Miklas berichtete 1946 als Zeuge vor dem Militärgerichtshof Nürnberg (Zitate gekürzt, O.U.):

"Ich habe dann, als man mir das Wiedervereinigungsgesetz zur Unterschrift vorlegte, dies verweigert."

"Zu diesem Zweck erschien Seyß-Inquart mit dem damaligen Bundesminister Menghin in meiner Dienstwohnung."

"Seyß-Inquart war damit einverstanden, dass ich mich bereit erklärte, ihm in Anbetracht der damaligen Lage Österreichs auf die Dauer meiner Behinderung die präsidentiellen Funktionen zu übertragen, ohne selbst zu demissionieren."

"Jetzt mußte durch die Unterschrift Seyß-Inquarts und aller Minister das Anschlussgesetz kundgemacht werden."
G. Brook-Shepherd beurteilt diese Ereignisse
G. Brook-Shepherd beurteilt in seinem Buch "Der Anschluss" die Ereignisse 1963 folgendermaßen (S. 256 f., Zitate gekürzt, O.U.):

"So endete dann die Erste Republik - ähnlich wie die Monarchie zwanzig Jahre vorher - mit einer Formulierung, die dem Oberhaupt des Staates ein ehrenvolles Abtreten ermöglichte. Kaiser Karl hatte auf "Teilnahme an den Regierungsgeschäften" verzichtet; BP Miklas war 'verhindert'."

Die typisch österreichische Abneigung, die Dinge beim rechten Namen zu nennen, hat diese beiden überdauert.
Die Vorgänge nach Oswald Menghin
"Hiezu bemerke ich, dass ich dem Ministerrate vom 13.3.1938, in dem dieses sogenannte Anschlussgesetz beschlossen worden ist, nicht beiwohnte. Ich war während dieses Ministerrates bei Herrn BP Wilhelm Miklas. ... Ich bemerke dazu, dass BP Miklas in dem Augenblick, in dem er die von Dr. Seyß-Inquart mitgebrachte Abdankungsurkunde unterschrieb, seine damit verbundene Anrede mit den Worten begann: "Damit übergebe ich ihnen mein liebes Österreich". Ich selbst war bei diesen Staatsakt zugegen. ...

Wenn in einem der Prozesse ... durch Miklas als Zeugen gesagt wurde, dass die Minister Dr. Wolf und ich zu ihm gekommen seien, um ihm die Unterzeichnung des sogenannten Anschlussgesetzes nahezulegen, so ist dies offenbar ein Gedächtnisfehler. Minister Dr. Wolf und ich sind lediglich im Auftrag ... Dr. Seyß-Inquarts beim BP erschienen, um ihm als reine Boten auszurichten, dass Dr. Seyß-Inquart in Kürze mit einem Dokument erscheinen werde und dass ihm Adolf Hitler eine Pension von monatlich RM 5.000,- zusichere. Damit war der Inhalt dieser Vorsprache ... beendet."

Quelle: Ansuchen von Dr. Osw. Menghin um Einstellung des Strafverfahrens wegen Hochverrats vom April 1956 (AVA).
Protest des jüdischen Weltkongresses gegen Annexion Österreichs
Neben dem bekannten Protest der mexikanischen Regierung wegen der ausländischen Aggression gegen Österreich soll aus gegebenem Anlass daran erinnert werden, dass auch das Exekutivkomitee des jüdischen Weltkongresses bereits am 21. März 1938 eine Petition an den Völkerbund gerichtet hatte, mit dem Ziel, die vertraglich vom Völkerbund zugesicherte Unabhängigkeit Österreichs wieder herzustellen. (DÖW)
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes
Grundlegende Literatur:
Dokumentationsarchiv d. österr. Widerstandes (Hg.), "Anschluß" 1938, Wien 1988.
->   DÖW mit Link zu Publikationen
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Oswald Menghin - II. Teil
Sein Werdegang als langjähriger Professor für Urgeschichte und kurzfristiger Unterrichtsminister im Kabinett Seyß-Inquart wird seit 1995 am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien untersucht.

Seine Biographie erscheint für jene willfährigen Wissenschaftler Österreichs typisch, die den Anschluss ermöglichten. Diese Männer der zweiten und dritten Ebene, welche schon viele Jahrzehnte früher - im Wien des Dr. Lueger - geformt wurden und den Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus scheinbar wissenschaftlich begründeten, bereiteten damit - wie wir heute wissen - auch die Greueltaten der NS-Herrschaft vor.

In den nächsten Tagen soll - einem Tagebuch ähnlich - über die Auftritte und Handlungen Menghins berichtet werden, soweit sie recherchiert werden konnten.
->   Menghin und das Urgeschichtliche Institut
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