Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung .  Gesellschaft 
 
Vom Mythos der Keltin  
  Die hohe gesellschaftliche Stellung der keltischen Frau ist ein Wunschtraum, entstanden aus einem Amalgam mythologischer und archäologischer Quellen sowie aus verschiedenen antiken, irischen und walisischen Texten. Die eisenzeitlichen Funde zeigen jedoch ein anderes Bild und bestätigen diese Vorstellungen nicht.  
Die keltische Frau als Kämpferin für Freiheit

Oft wird für die Frauen in der keltischen Gesellschaft eine besondere Stellung postuliert. Grundlage dafür bieten unterschiedlichste Nachrichten, wie jene der britannischen Königin Boudicca.

Diese wurde im 19. Jahrhundert aber in erster Linie wegen ihres Mutes und ihrer Widerstandskraft gegen die Römer als Kämpferin für die Freiheit Britanniens verehrt, ähnlich wie dies auch bei Vercingetorix in Frankreich geschah.

Seither gilt für viele, dass keltische Frauen Kämpferinnen und Königinnen waren. Die Schriftquellen allerdings berichten meist nur von Ausnahmen und Besonderheiten.
Die britannische Königin Boudicca
 


Königin Boudicca im Streitwagen mit ihren Töchtern Camorra und Tasca. Bronze von Thomas Thorneycroft (1814 - 1885), aufgestellt 1902 neben der Westminster Bridge in London.


Wer war Boudicca? Die Frau des britannischen Königs der Icener wurde Kriegerkönigin, nachdem sie als Witwe von den römischen Legionären grob misshandelt wurde und auch ihre beiden Töchter vergewaltigt worden sind (Tacitus, ann. XIV 31).

Sie führte 61 n. Chr. einen Aufstand gegen die römischen Invasoren an und konnte Camulodunum (Colchester), Londinium (London) und Verulamium (Saint Albans) erobern. Doch wurde sie in einer großen Schlacht niedergerungen (ebd., XVI 35).

Tacitus schwärmt von dem Sieg: "Und die Soldaten schonten bei ihrem Morden auch die Frauen nicht. Die von Geschossen durchbohrten Zugtiere hatten die Leichenhaufen noch vergrößert. Ein herrlicher Ruhm ... ." Er erwähnt Berichte, wonach 80.000 Britannier gefallen sind (ebd., XVI 37).

Boudicca nahm sich daraufhin mit Gift das Leben, um der Gefangenschaft und Schande zu entgehen.
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Das Barbarenbild der Antike
Das Barbarenbild der Antike war facettenreich. Einerseits galten die Barbaren als schmutzig, laut, ungesittet - einfach barbarisch eben - anderseits gab es bereits in der Antike die Vorstellung des "Edlen Wilden", wie wir sie aus Goethes Zeiten ja besonders gut kennen.

Diese Vorstellungen aus einer scheinbar höher stehenden Kultur kennen wir auch heute noch: Fast alle Vorwürfe, die sich gegen ausländische MitbürgerInnen richten, greifen auf diese bereits in der Antike üblichen Vorurteile zurück.

Zur Vorstellung des "Edlen Wilden" gehört auch der selbstgewählte Selbstmord, um sich bzw. seinen nächsten Anverwandten vor Entehrungen und Schändungen zu schützen. So wie Königin Boudicca Hand an sich legt, so tötet der geschlagene Galater - zumindest nach der Sichtweise von Epigonos von Pergamon - zuerst seine Frau und dann sich selbst.

Diesem Barbarenbild gegenüber steht die geradezu sichtbare Freude der zivilisierten Römer über das Gemetzel und die Größe der Leichenhaufen, wie sie Tacitus (ann. XIV 37) überliefert.
->   Austrian School Network Tyrol - Antike Geschichte
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Religiöse Aufgaben der Keltinnen

Neben den bei Cäsar erwähnten Aufgaben einzelner Frauen als Seherinnen und Priesterinnen treten im Götter-Pantheon auch zahlreiche Göttinnen auf. Dies ist, ebenso wie in der griechischen und römischen Religion, kein Spezifikum der Kelten und lässt daher keine besonderen Schlüsse auf die Stellung der keltischen Frau in der Gesellschaft zu.
Sequana - ein Quellheiligtum am Ursprung der Seine
 


Neben den Votivgaben, die beispielsweise in der Seine-Quelle geopfert worden sind, fand sich auch, auf einem Kahn stehend, die gallo-römische Göttin Sequana.

Die zahlreichen Holzfiguren zeigen Frauen wie Männer in Kapuzenmantel. Häufig waren Votivgaben in Form von Organen, Augen etc. - so sollte das Wasser der Quelle wohl Männern wie Frauen, Alten wie Jungen und Kindern Heilung bringen.
Gefahr archäologischer Zirkelschlüsse

Dr. Helga Brandt, die im Rahmen ihrer Diplomarbeit bei Prof. A. Haffner in Kiel "Frauen in der keltischen Gesellschaft" aus der Sichtweise der Feministischen Archäologie untersucht hat, musste ernüchternd feststellen, dass eine nähere Überprüfung der Quellen eine "hohe soziale Stellung" keltischer Frauen nicht bestätigt.

Denn bei den archäologischen Interpretationen handelte es sich oft um Zirkelschlüsse, die sich zu einem recht undifferenzierten, bereits feststehenden Frauenbild zusammenfügen.

Außergewöhnlich reich ausgestattete Gräber aus dem 5. Jh. v. Chr. treten zumeist bei Männer-, vereinzelt aber auch bei Frauengräbern auf. Sie weisen oftmals Beigaben auf, die - ohne anthropologische Geschlechtsbestimmung der Skelettreste - von den Archäologen geradezu automatisch als männlich klassifiziert werden würden.

Die Gräber aus Reinheim (Saarland) mit Röhrenkanne und zwei Trinkhörnern oder aus Vix (Burgund) mit attischer Schale und Schnabelkanne können als Beispiele gelten. In beiden Gräbern wurde auch ein schwerer Goldhalsreif (Torques) gefunden.

Der 1947 von Prof. O. Zeiller gemalte "Schmucktisch der Hallstattzeitlichen Frau" (rechts) zeigt ebenfalls sowohl Frauen- wie Männerschmuck aus dem Gräberfeld von Hallstatt, denn nicht nur Frauen haben in der Hallstattzeit reichen Schmuck getragen, sondern auch Männer.
Das Prunkgrab von Vix (Frankreich)
 


In diesem Wagengrab fand sich außerdem das größte antike Bronzegefäß. Im Rahmen eines neuen internationalen Forschungsprojektes sollen weitere Gräber und die dazugehörigen Höhensiedlungen prospektiert, vermessen und archäologisch untersucht werden. Ein Team der Universität Wien wurde, ebenso wie in Bibracte, zur Durchführung der Grabungen im Befestigungswerk eingeladen.
Das Fürstinnengrab von Reinheim (Saarland)
 


Die Bronzekanne wird von einer Deckelfigur bekrönt, die ein Mischwesen in Gestalt eines menschengesichtigen Pferdes zeigt. Der Spitzbart weist auf ein männliches Gesicht. Die Trinkhörner sind mit fein durchbrochenen und punzierten Goldblechen geziert - sie zeigen Palmettmuster.
->   Museum für Vor- und Frühgeschichte, Saarbrücken
Das Bild der Keltin

Eine archäologische Rekonstruktion der Lebenswelt vergangener Zeiten spiegelt auch immer die Zeit wider, aus der sie stammt. Zwei Bilder von Frauen in norischer Tracht zeigen dies, ich glaube, deutlich.

Unten stehendes Bild stammt aus Kärnten, seitliches aus meiner jüngst erschienenen Veröffentlichung: "Der lange Weg zur Geschichte" (Graphik: Mag. Christine Ranseder).
->   Der lange Weg zur Geschichte, unter Schlagwort Urban eingeben.
Norikerin
 


Beide Trachtdarstellungen beziehen sich auf römische Grabdenkmäler, wo Frauen in einheimischer Tracht dargestellt worden sind.
Das heutige Bild der Keltin

Das heutige Bild der eisenzeitlichen Keltin zeigt keine besonders herausragende gesellschaftliche Stellung an, wie dies lange vermutet wurde.

Über die rechtlichen Strukturen, wie Matriarchat oder Patriarchat, kann in schriftlosen Zeiten sowieso nichts ausgesagt werden. Diesbezügliche Spekulationen, die ein Matriarchat dem Neolithikum, der jüngeren, keltischen Eisenzeit oder anderen urgeschichtlichen Epochen zuweisen wollten, wurden auch schon früher abgelehnt. Es kann allerdings mit archäologischen Quellen allein auch kein Patriarchat nachgewiesen werden.

Die anthropologisch und archäologisch untersuchten eisenzeitlichen Gräber zeigen, dass Frauen in alle Stufen der Gesellschaft gelangen konnten, allerdings - und hier besteht durchaus die Gefahr des Analogieschlusses aus gegenwärtigen Zuständen - nur selten in die höheren.

Persönlich bin ich überzeugt, dass in den nächsten Jahren bei systematischen DNA-Analysen von Gräberfeldern noch viele Hinweise zu den Familienstrukturen prähistorischer Gemeinschaften gewonnen werden können. Heute sind dazu noch keine gesicherten Aussagen möglich.

Die reichen irischen und walisischen Quellen können dagegen, dies haben unter anderem die Untersuchungen von Frau Brandt gezeigt, nicht zur Rekonstruktion eisenzeitlicher Familien- und Gesellschaftsstrukturen herangezogen werden. Sie spiegeln aber eine eigenständige - insulare - Entwicklung wider, welche im Laufe des Hochmittelalters nicht nur auf den Britischen Inseln, sondern auch über die iro-schottische Mission Einflüsse auf Mitteleuropa ausübt.
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Vortrag am 16. März 2001 zu altirischen Rechtstexten
Dr. Tanja W e g n e r (Berlin)

Die Stellung der keltischen Frau anhand altirischer Rechtstexte

Ort: Universität Wien, Hauptgebäude, Hörsaal 31

Zeit: 16. 3. 2001, 18 Uhr c.t.
->   Keltologie
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Feministische Archäologie - Jubiläumstagung
"Göttinnen, Gräberinnen und gelehrte Frauen"

Aus Anlass des 10-jährigen Bestehens veranstaltet das Netzwerk archäologisch arbeitender Frauen eine Jubiläumstagung vom 16.-17. Juni 2001 an der Humboldt-Universität in Berlin.
->   Feministische Archäologie - Netzwerk
 
 
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung .  Gesellschaft 
 

 
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