Host-Info
Reinhold Wagnleitner
Institut für Geschichte, Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Gesellschaft 
 
Satchmo feiert seinen hundertsten Geburtstag ...  
  ... und wird wieder einmal mit Amadeus jammen.  
Vor wenigen Tagen präsentierte Connie Atkinson vom Midlo Center der University of New Orleans mit ihrem Team unter außergewöhnlichem Medieninteresse das umfangreiche künstlerische und wissenschaftliche Programm anlässlich des 100. Geburtstages von Louis "Satchmo" Armstrong am 4. August 2001.

Diese Hommage an einen der bedeutendsten Künstler der USA umfasst eine wissenschaftlichen Konferenz, ein Festival und ein Gala-Konzert, das fast die gesamte Jazz-Prominenz aus New Orleans aufbietet.
->   Programm der Geburtstagsfeier
->   Props for Pops
Der amerikanische Musiker des 20. Jahrhunderts
Die Leistungen von Louis Armstrong als Musiker waren einzigartig, und seine Persönlichkeit wurde geradezu zum Synonym für den Soundtrack des 20. Jahrhunderts, aber auch für "das gute Amerika": übrigens sehr zum Leidwesen vieler Jazz-Gegner (innerhalb und außerhalb der USA). Satchmos einzigartiger Rang als Jambassador ist jedenfalls unbestritten.

Tony Bennett, selbst ein großer Sänger, ist überzeugt: "Das Entscheidende an jedem Land der Welt ist, was es der Menschheit gegeben hat. Wir haben Louis Armstrong beigesteuert."
->   Ambassador Satch (Live-Aufnahmen zweier Konzerte in Mailand und Amsterdam 1955)
Eine Majestät?

In einer demokratischen Kunst, in der jede Stimme zählt? In der ständig neue Konflikte verhandelt werden müssen und die Harmonie ständig zu weiteren Konflikten führt?

Das war ein nur von Satchmo aufzulösender Widerspruch.

Louis Armstrong erfand ja mit seiner wahrlich majestätischen Kunst nicht nur das Jazzsolo und den Jazzgesang. Mit der am 28. Juli 1928 eingespielten Eröffnung des West End Blues, in welcher er in wenigen, atemberaubenden Takt-Sequenzen eine noch nie zuvor gehörte musikalische Pyramide bis in die Stratosphäre und zurück baute, setzte er schon ganz am Beginn des Jazz jenen Maßstab, an dem sich bis heute jede Musikerin und jeder Musiker zu messen haben.

Robert O'Meally schrieb daher den Aufnahmen von Armstrongs Hot Fives und Hot Sevens zu Recht eine ähnlich grundlegende Bedeutung als Startrampe für die globalen Höhenflüge des Jazz zu, wie sie etwa Geoffrey Chaucers Rolle im 14. Jahrhundert für den Prozess der Kodifizierung der englischen Sprache als Medium ernsthafter Literatur zukommt.
->   Louis Armstrong and his Hot Five (Online Audio-Archiv)
->   The Red Hot Jazz Archive (Online Audio-Archiv)
Armstrong war dabei alles andere als ein Uncle Tom, ...
Aber Satchmo war nicht nur ein genialer Musiker, Trompeter, Sänger, Showman und Entertainer, sondern auch, ganz im Gegensatz zu seinem Image als Musik-Clown und angeblicher Uncle Tom, ein nachdenklicher Autor, der fast jeden Tag, auch auf Tourneen, seine Ideen in die Reiseschreibmaschine klopfte - und ein politischer Mensch.

Obwohl am 4. August 1901 geboren, verlegte er in einem eminent politischen Akt seinen Geburtstag auf den 4. Juli 1900 zurück und erhob damit zweierlei Ansprüche: erstens am Beginn des 20. Jahrhunderts geboren zu sein, zu dessen Soundtrack der Jazz ganz gewiss die weitaus wesentlichsten Melodien und Takte liefern würde. (Jedenfalls muss man kein Musikhistoriker sein, um zu wissen, dass das 20. Jahrhundert nicht als die Epoche der Zwölfton-Musik in die Musikgeschichte eingehen wird.)
... aber er konnte als schwarzer Weltstar nur mit diesem Image überleben.
Der zweite Grund für Louis Armstrongs kleinen Geburtsschwindel, zweifellos ein genialer PR-Gag, lag aber noch viel tiefer. Verband Satchmo damit doch seine ganze persönliche Existenz aufs engste mit dem Tag der amerikanischen Freiheit schlechthin, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag. Und dies war für einen Nachfahren von Sklaven (die Sklaverei war bei seiner Geburt noch keine vierzig Jahre abgeschafft) tatsächlich nicht nur Programm, sondern auch bewusste Provokation.

Mag sich für manche African-Americans die Freiheit bis heute zwar erst eher de jure als de facto eingestellt haben, so kann doch insgesamt der Beitrag des Jazz für die Bürgerrechtsbewegung als Sound of Freedom gar nicht wichtig genug eingeschätzt werden. Dass die Überwindung der Sklaverei mit der Entwicklung des Jazz untrennbar verbunden ist weiß auch Wynton Marsalis: "Wenn Du ein Sklave warst, dann musstest Du improvisieren lernen."
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Reinhold Wagnleitner, "The Empire of Fun, or Talkin' Soviet Union Blues: The Sound of Freedom and American Cultural Hegemony in Europe During the Cold War" Austrian Information, Washington, D.C. März-Juli 2000
->   Link zum Text
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Die Louis Armstrong Centennial Conference
Als Mitglied des Organisations-Komitees der Louis Armstrong Centennial Conference konzentriere ich mich seit einem Jahr darauf, ein Podium zusammenzustellen, das die bedeutenden kulturellen, ökonomischen und politischen Auswirkungen des globalen Jazz-Exports analysieren wird.

Mit David Horn (Direktor, Institute of Popular Music, Liverpool), Berndt Ostendorf (Amerika Institut, Universität München), S. Frederick Starr (Johns Hopkins University), Penny von Eschen (University of Michigan) und Mike Zwerin (International Herald Tribune) konnte ich dafür hervorragende Fachleute gewinnen.
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Literatur:
Penny von Eschen, "Satchmo Blows Up the World: Jazz, Race, and Empire during the Cold War and Beyond" in Reinhold Wagnleitner and Elaine Tyler May (eds.), Here, There and Everywhere: The Foreign Politics of American Popular Culture (Hanover: University Press of New England, 2000): 163-178.
Berndt Ostendorf, "The Musical World of Doctorow's Ragtime", American Quarterly 43 (1991): 579-601.
S. Frederick Starr, Red an Hot: Jazz in der Sowjetunion von 1917 bis 1990 (Wien: Hannibal, 1990)
Reinhold Wagnleitner, Coca-Colonization and the Cold War: The Cultural Mission of the United States in Austria after the Second World War (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1994)
Mike Zwerin, La tristesse de Saint Louis: Swing unter den Nazis (Wien: Hannibal, 1988)
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Satchmo Meets Amadeus
Es wäre aber nicht New Orleans, wenn die Verwirrung über die beiden Geburtstermine nicht ganz einfach zum Anlass genommen worden wäre, dann halt eben ein ganzes Jahr lang Satchmo zu feiern.

Überhaupt das allererste Symposium im letzten Jahr ging unter dem Motto "Satchmo Meets Amadeus: New Orleans and Salzburg: Two Cities and their Sounds of Music" bereits im Mai 2000 in New Orleans über die Bühne.

Es war mir damals in enger Zusammenarbeit mit Günter Bischof, Connie Atkinson und David Nelson von der University of New Orleans gelungen, das Problem der tiefen Gräben zwischen den musikalischen Stilrichtungen und Kulturen, der musikalischen Beziehungen zwischen Europa und den USA, der ständig vorhandenen rassistischen Vorurteile, aber auch der ökonomischen Bedeutung der musikalischen Images für den Tourismus in beiden Städten interdisziplinär von hervorragenden Fachleuten analysieren zu lassen und Musik, Kunst und Wissenschaft näher zueinander zu bringen.
Nächste Konferenz im Oktober
Weitere Versuche werden selbstverständlich folgen. Die nächste Konferenz zu diesem Thema wird heuer am 5. bis 7. Oktober 2001 in Salzburg stattfinden. Satchmo wird dann Amadeus auf dessen Salzburger Tanzboden wieder sehen. Wir können auf weitere interessante wissenschaftliche Einsichten und Sounds of Music gespannt sein.

Aber dazu mehr demnächst in diesem Theater.

Pardon: auf dieser Website.
->   Satchmo Meets Amadeus: New Orleans and Salzburg: Two Cities and their Sounds of Music
 
 
 
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