Host-Info
Manfried Welan
Institut für Wirtschaft, Politik und Recht, Universität für Bodenkultur Wien
 
ORF ON Science :  Manfried Welan :  Gesellschaft 
 
Erinnerung an unsere vergessene Revolution 1848  
  In der Revolution 1848 brachen im größten Staat Europas nach Russland zwei große und komplexe Fragen auf: soziale und nationale. Die meisten Menschen waren in dieser Zeit noch in der Landwirtschaft tätig. Die Grundherrschaft lastete vielfach auf ihnen. Der Feudalismus wurde aber schon vom Kapitalismus abgelöst. Die Industrialisierung führte zum Anwachsen der Städte und zum Industrieproletariat.  
Das Bürgertum hatte bereits wirtschaftliche Rechte, von der Politik aber war es ausgeschlossen. Aufstrebende Bürgerschichten und vorherrschende Adelsgruppen standen sich gegenüber.

In der Revolution trafen sich daher unterschiedliche Interessen und Ziele: Die bürgerliche Verfassungsbewegung, Bauernrevolten, Protestwelle des Proletariats, nationale Befreiungsbewegungen, Emanzipationsbestrebungen.
Blutbad am 13. März
Der zündende Funke war die Nachricht von der Februarrevolution in Paris. Am 13. März wollten Studenten und Bürger in Wien den zusammentretenden niederösterreichischen Ständen Petitionen um eine Konstitution und Pressefreiheit überreichen.

Von den Ständen, die im Landhaus in der Herrengasse tagten, sollten die Petitionen an die Hofburg weitergehen. Dazu kamen Handwerker und Arbeiter. Demonstranten drangen in den Sitzungssaal ein. Es kam zum Militäreinsatz und zu einem Blutbad. Es gab Tote, die sogenannten Märzgefallenen.

Metternich wurde vom Kaiser entlassen. Damit war ein Hauptziel erreicht. Denn die meisten Revolutionäre wollten das metternichsche System abschaffen, aber nicht den Kaiser. Sie erwarteten sich von ihm sogar die Erfüllung ihrer Forderungen nach einer Konstitution und Freiheit im Staat.
Politik des Auseinanderdividierens
Bild: APA, Museen der Stadt Wien
Barrikade auf dem Michaelerplatz in der
Nacht vom 26. auf den 27. Mai 1848.
Die Unzufriedenheit der Nationalitäten unter dem repressiven System Metternichs führte zum Aufstand der Völker, aber nicht zur politischen Forderung nach einem solidarischen Völkerbund oder nach einer demokratischen Republik aller Völker.

So gelang es der Krone und ihren Anhängern durch eine Politik des Auseinanderdividierens der Nationalitäten und Gesellschaftsschichten und mit besonderen Koalitionen, die Revolution zu schwächen. Durch diese Politik des divide et impera und mit Hilfe des Militärs wurde der Aufstand der Völker und Klassen schließlich niedergeschlagen.

Nachdem Kaiser Ferdinand am 15. März eine Verfassung verheißen hatte, wurde am 25. April die sogenannte Pillersdorfsche Verfassung veröffentlicht.

Gegen das beschränkte Wahlrecht protestierten vor allem Studenten. Am 15. Mai kam es zur Sturmpetition, mit der ein allgemeines Wahlrecht erzwungen wurde. Am 30. Mai erging die neue Wahlordnung.
Eine kurze "Thronrede des österreichischen Volkes"
Schließlich konstituierte sich am 10. Juli der erste frei gewählte Reichstag. Am 22. Juli wurde er von Erzherzog Johann als Vertreter des Kaisers in der Winterreitschule der Hofburg eröffnet.

Am 26. Juli stellte der Abgeordnete Hans Kudlich, ein 25jähriger Bauernsohn und Student der Rechte aus Mähren, den Antrag: "Von nun an ist das Untertänigkeitsverhältnis samt allen daraus entspringenden Rechten und Pflichten aufgehoben, vorbehaltlich der Bestimmungen, ob und wie eine Entschädigung zu leisten sei."

Er sprach vom langen, mühsamen Kampf um Menschenrechte und nannte die Aufhebung der Untertänigkeit die "Thronrede des österreichischen Volkes". Der Antrag wurde in veränderter Version mit überwältigender Mehrheit angenommen. Am 7. September wurde das Grundentlastungsgesetz vom Kaiser sanktioniert.
Eine neue Verfassung
Wegen der Oktoberrevolution in Wien wurde der Reichstag nach Kremsier in Mähren verlegt. Dort entwickelte er ein Verfassungswerk. Es beruht auf der Theorie der Volkssouveränität.

Dementsprechend heißt es im Katalog der Grundrechte des österreichischen Volkes im § 1: "Alle Staatsgewalten gehen vom Volke aus und werden auf die in der Konstitution festgesetzten Weise ausgeübt."

Damit ist Art. 1 B VG "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." vorweggenommen.
Konflikt mit dem neuen Kaiser Franz Josef
Bild: APA, Museen der Stadt Wien
Erstürmung der Sternbarrikade am 28. Oktober 1848
Die dem Kaiser zustehenden Rechte werden als durch die Verfassung festgesetzte Zuständigkeiten erklärt. Damit ist das Volk die Quelle aller Staatsgewalten. Ihre Ausübung wird durch die Verfassung nach Gegenstand und Raum für die Staatsorgane begrenzt. Der Kaiser wird Organ der vom Volk beschlossenen Verfassung.

Dagegen verkündete schon das Thronbesteigungspatent Franz Josefs vom 2. Dezember die monarchische Souveränität. Unter einer Krone steht die Gesamtmonarchie als der eine große Staatskörper. Der Monarch ist bereit, seine Rechte mit den Vertretern der Völker zu teilen.

Das bedeutet ein Teilen und Herrschen des Monarchen über die Völker und nicht ein Herrschen des Volkes, das durch die Verfassung Gewalten teilt und zuteilt. Die Grundrechte waren ein Hohelied der Freiheit. Die Militärmachthaber konnten das nicht akzeptieren.
"Falsche Freiheit" wird niedergeschlagen
Bild: APA, Oesterreichische Nationalbibliothek
Brand am Wiener Josefsplatz am 31. Oktober 1848
Die kaiserlichen Armeen schlugen die Revolution mit Gewalt nieder. Die tatsächlichen Machtverhältnisse bestimmten die Rechtsverhältnisse. Die Antwort auf den § 1 der Grundrechte des österreichischen Volkes war die oktroyierte Verfassung vom 4. März 1849, die sogenannte oktroyierte Märzverfassung.

"Wir verkündigen danach unter heutigem Tage die Verfassungsurkunde für das einige und unteilbare Kaisertum Österreich, schließen hiedurch die Versammlung des Reichstages zu Kremsier, lösen denselben auf und verordnen, dass dessen Mitglieder sofort nach Veröffentlichung dieses Beschlusses auseinandergehen."

Der Kaiser erklärt mit dem Missbrauch einer falsch verstandenen Freiheit ein Ende zu machen: "Diesen Missbrauche zu steuern, die Revolution zu schließen, ist unsere Pflicht und unser Wille." So beendete Franz Josef die Revolution.
Vieles von späterer Bundesverfassung enthalten
Der zweite Teil des Kremsierer Entwurfes, "die Konstitutionsurkunde für die österreichischen Staaten" bestimmte Österreich als "unteilbare konstitutionelle Erbmonarchie", wobei die Länder des "Kaiserreiches" als gleichberechtigt und autonom erklärt wurden. Insgesamt enthält der Kremsierer Verfassungsentwurf vieles, was im B-VG (Österreichische Bundesverfassung) seine Ausgestaltung erfuhr.

Dazu gehören vor allem Rechtsstaatlichkeit, Parlamentarismus und Föderalismus. Sie sind als Formen der politischen Freiheit vom und im Staat 1848 in die österreichische Geschichte eingetreten. Der Föderalismus war schon im Mittelalter vorgeformt.
Föderalismus und Zentralismus
Nach dem Kremsierer Entwurf waren Gesetzgebung und Vollziehung auf Reich und Länder aufgeteilt und diese durch eine von ihnen beschickte Kammer an der Reichsgesetzgebung beteiligt. Es war ein unitarischer Bundesstaat: Die wichtigsten und meisten Zuständigkeiten waren dem zentralen System zugewiesen. Im Zweifel war überhaupt die Zentralgewalt zuständig.

Auch die Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts war unitarisch und zentralisiert wie im B-VG. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Verfassungsgerichtsbarkeit sind in beiden Verfassungen ähnlich gestaltet, allerdings bestehen hinsichtlich der Normenkontrolle nur Ansätze beim Reichsgericht.
Versuch der Lösung der "Nationalitätenfrage"
Der Kremsierer Entwurf - diesbezüglich der EU-Verfassung ähnlich - wollte eine Vielvölkergemeinschaft zur Einheit in der Vielfalt bringen. Es ging vor allem um die Berücksichtigung der Nationalitäten. Das Nationalitätenproblem sollte durch die Einrichtung national möglichst einheitlich abgegrenzter Kreise in den von mehreren Volksstämmen bewohnten Ländern gelöst werden.

Die Berücksichtigung der Nationalitäten bei Bildung der Landtagswahlbezirke, vor allem aber durch die Aufstellung nationaler Schiedsgerichte in den Ländern von gemischter Nationalität wurde als zukunftsführender Weg gesehen.
Kaiser blieb Träger aller Staatsgewalten
Der Kremsierer Entwurf wollte einen monarchischen Bundesstaat schaffen. Das Regierungssystem des Reiches war dem Kaiser als Oberhaupt des Gesamtstaates, das Regierungssystem der Länder dem Kaiser als Oberhaupt des einzelnen Landes zugedacht.

Die Funktion als Reichsoberhaupt sollte sich aus der Stellung als Oberhaupt der einzelnen Länder ergeben. Damit wäre der monarchische, unitarische Bundesstaat Österreich in seiner Art einmalig dem republikanischen, föderalistischen Bundesstaat USA gegenübergestanden.

Der Kremsierer Entwurf scheiterte an den tatsächlichen Machtverhältnissen. Die Souveränität des Volkes und der Verfassung musste der Macht des Kaisers und des Militärs weichen. Bis 1918 blieb der Kaiser "geheiligt, unverletzlich und unverantwortlich" und formell Träger aller drei Staatsgewalten.
Kein Revolutionspatriotismus - bis zum Radetzkymarsch
Die Revolution 1848 ist nicht in die Tradition der demokratischen Republik Österreich eingegangen. Wenn es auch keinen Revolutionspatriotismus gibt, so hat sich doch die Revolution in unserer Verfassung durchgesetzt. Da es keinen Revolutionspatriotismus gibt, gibt es auch keinen Verfassungspatriotismus.

Das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 (B-VG) ist immerhin unter den Verfassungen Europas eine der ältesten. Es brachte in mancher Weise die Revolution von 1848 zu einem normativen Abschluss. Es drückt in seinen Spielregeln die politische Freiheit als politischen Grundkonsens rechtlich aus. Es vermittelt als Grundordnung des Gemeinwesens Identität und Kontinuität.

Aus der politischen Verlassenschaft der Revolution 1848 hat das B-VG verpflichtendes Freiheitserbgut gemacht. Und wenn wir zum Radetzkymarsch klatschen, sollten wir wissen, dass das kein Revolutions- oder Konstitutionsmarsch war, sondern ein Marsch zu Ehren des kaiserlichen Feldmarschalls, der als Sieger von Custozza die Revolution in Italien niedergeschlagen hat.

[14.3.08]
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