Host-Info
Manfried Welan
Institut für Wirtschaft, Politik und Recht, Universität für Bodenkultur Wien
 
ORF ON Science :  Manfried Welan :  Gesellschaft 
 
Für eine neue Verfassung mit Eingangsformel: Die 'Präambel' als 'Proömium'  
  Unsere Verfassung hat keine feierliche Eingangsformel. Eine neue Präambel könnte die Eingangsformel einer neuen Verfassung sein, welche den Grundkonsens unseres Gemeinwesens darstellt.  
Der Vorentwurf zum B-VG enthielt folgendes Proömium: "Kraft des Selbstbestimmungsrechtes des deutschen Volkes und seiner geschichtlich gewordenen Glieder und mit feierlicher Verwahrung gegen jede zeitliche Schranke, die der Ausübung dieses unveräußerlichen Rechtes gesetzt ist, vereinigen sich die selbstständigen Länder der Republik Österreich zu einem freien Bundesstaat unter dieser Verfassung."

Da man die Verfassung wegen des Fehlens von Grund- und Freiheitsrechten nicht für vollständig und den Staat als solchen nicht als definitiv ansah, wurde von dieser feierlichen Eingangsformel abgesehen.
Kein Provisorium mehr
1945 sah man die Republik nicht mehr als Provisorium oder. Die damaligen politischen Kräfte beschlossen einstimmig die sogenannte Unabhängigkeitserklärung, deren Text eine Art Eingangsformel für die Zweite Republik wurde. Ihre Programmatik kann man als Proömion ansehen.

Hatte man 1918 noch durch die Wahl des Namens "Deutsch-Österreich" die Struktur als einheitlicher Nationalstaat, die Zugehörigkeit zum deutschen Volke und die Ablehnung jeder Rechtsnachfolge gegenüber dem ehemaligen Österreich zum Ausdruck gebracht, war das 1945 anders.

Österreich wurde zum Grundkonsens. Das gilt auch für die Bejahung der Republik Österreich als selbstständiger und unabhängiger Staat und für die Bejahung des österreichischen Volkes als Träger der Demokratie und als Staatsvolk und Nation.
Grundkonsens verstärkt
Der Staatsvertrag vom Belvedere 1955 und das Bekenntnis zur dauernden Neutralität in einem eigenen Bundesverfassungsgesetz haben diesen Grundkonsens noch bestärkt.

Die politischen Kräfte konnten sich zwar bis heute nicht über eine selbstständige Kodifikation der Grund- und Freiheitsrechte einigen, aber durch die Übernahme der europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ins Verfassungsrecht ist nicht nur ein Grundrechtskatalog eingeführt, sondern auch die Verbindung mit der europäischen Rechtsgemeinschaft zum Ausdruck gebracht worden.
Vorrang des Gemeinschaftsrechtes
Verstärkt gilt dies seit dem Beitritt zur Europäischen Union, dem Vorrang des Gemeinschaftsrechtes und der mehrjährigen Mitwirkung in ihren Organen und Willensbildungsprozessen. Seither haben sich Staat und Recht weiter grundlegend verändert. Die Fragen: Sind wir noch ein Staat? Und: Sind wir schon ein Staat? sind immer aktueller geworden.

Aufgrund der sogenannten Sanktionen der anderen vierzehn Mitgliedsstaaten, welche der Regierungsbildung 2001 folgten, und der damit verbundenen Polarisierung in Österreich, stellte sich die Frage: Was für ein Staat sind wir? Die vom Bundespräsidenten in das Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ hineinreklamierte Präambel, zu der sich alle politischen Kräfte bekannt haben, gibt eine Antwort.
Beitrag zur Gemeinschaftsbildung
Diese Präambel könnte mehr oder weniger verändert und ergänzt die Eingangsformel einer neuen Verfassung sein, welche den Grundkonsens unseres Gemeinwesens darstellt, zur Gemeinschaftsbildung und Orientierung beitragen. Verfassung dient der Integration. Eine Präambel dient der Integration in besonderer Weise.

Diese Integration ist wichtig für die Zukunft. Dazu gehört auch die Integration der neuen Österreicher und der Zuwanderer. Denn unser Staat ist schon längst nicht mehr, das was er einmal war. Die Nationalstaatlichkeit ist ebenso verändert wie die Souveränität. Die geschlossene Staatlichkeit von früher ist zur offenen geworden.

Grenzüberschreitende Mobilität und die große Migration von Arbeitskräften machen auch die alte Staatsbürgerschaft zu etwas anderem als sie einmal war. Damit ist auch der Fremde, der Ausländer, der Nichtösterreicher etwas anderes geworden. Auch sie gehören zum Volk. Auch das gehört in die Präambel.
->   WPR - Institut für Wirtschaft, Politik und Recht der Universität für Bodenkultur
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->   Wählen und Wahlen in neuer Verfassung
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