Host-Info
Manfried Welan
Institut für Wirtschaft, Politik und Recht, Universität für Bodenkultur Wien
 
ORF ON Science :  Manfried Welan :  Gesellschaft 
 
Mehr direkte Demokratie wagen  
  Artikel 1 der Bundesverfassung lautet: Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus. Aber das ist Fiktion. Recht geht immer mehr von EU-Organen aus und ging immer schon von den Volksvertretungen von Bund und Ländern und nicht vom Volk aus.  
Das Volk kann nicht mitbestimmen
Die direkte Demokratie ist in der Verfassung stiefmütterlich behandelt. Es gibt keine Volksgesetzgebung. Die repräsentative Demokratie hat die direkte Demokratie im Griff. Dem Volk bleibt selbst eine Mitbestimmung bei der Frage, ob die direkte Demo-kratie sich durchsetzt, versagt. Es kann nicht bestimmen, ob es selbst bestimmen darf.
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Ein lehrreiches Beispiel
Der Verfassungsgerichtshof hat dies ausdrücklich kürzlich mit einem Erkenntnis vom 28. Juni 2001 bestätigt. Nach der Vorarlberger Landesverfassung war es möglich, dass das Volk zum Gesetzgeber wurde. Lehnte es der Landtag ab, einem besonders unterstützten Volksbegehren Rechnung zu tragen, so war es einer Volksabstimmung zu unterziehen. Fiel diese zugunsten des Volksbegehrens aus, war der Landtag ver-pflichtet, dem Willen des Volkes durch Erlassung eines Gesetzes Rechnung zu tra-gen. Diese Regelung hielt der Verfassungsgerichtshof wegen Widerspruchs zum re-präsentativ-demokratischen Grundprinzip der Verfassung für verfassungswidrig und hob sie auf. Damit darf das Recht gar nicht vom Volk ausgehen, wie es Art 1 B-VG bestimmt.
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Volksabstimmung wäre notwendig
Damit ist auch ein Initiativantrag der Bundesregierung, der entsprechend dem Regierungsübereinkommen vorsieht, dass Gesetzesbeschlüsse unter bestimmten Voraussetzungen auch durch Volksabstimmung zustandekommen können, nicht mehr der Verfassung entsprechend. Es wäre eine Gesamtänderung der Bundesverfassung und dazu nicht nur die zwei Drittelmehrheit im Parlament, sondern auch eine Volksabstimmung notwendig.
Rückkehr der politischen Eliten zum Volk?
Der Verfassungsgerichtshof hat mit dem Erkenntnis auch RepubliktheoretkerInnen recht gegeben. Danach sei in der heutigen Rückkehr der politischen Eliten zum Volk kein neues demokratisches Experiment realisiert, denn Populismus habe schon immer der Legitimierung von autoritären Strukturen gedient.

Nur in der republikanischen Ordnung, d.h. in der Verpflichtung auf die res publica durch die Distanzierung des Volkes von sich selbst im Vertretungsmodell sei die Demokratie an sich und als Herrschaftsform für die Welt zu retten. Es geht nach dieser Auffassung um eine demokratische Republik im Sinne einer konstitutionellen Demokratie (so Sonja Puntscher-Riekmann).
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Fassen wir zusammen: Bei Volksbegehren entscheidet der Nationalrat, ob sein Inhalt ein Gesetz wird oder nicht. Volksabstimmungen über Bundesgesetze sind nur möglich, wenn der Nationalrat mit Mehrheit eine solche Volksabstimmung beschließt (ausgenommen den Fall einer zwingenden Volksabstimmung bei Gesamtänderung der Verfassung). Volksbefragungen, die seit 1988 auf Bundesebene möglich sind, können nur stattfinden, wenn der Nationalrat eine solche aufgrund eines Antrages seiner Mitglieder oder der Bundesregierung beschließt.
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So ist es. Soll es so sein?
Im Initiativantrag der Bundesregierung ist ein sogenanntes Initiativreferendum vorgesehen. Es geht um die zwingende Volksabstimmung bei Volksbegehren in Gesetzesform, die von mindestens 15 % der Stimmberechtigten unterstützt sind, wenn es innerhalb von neun Monaten nach Abschluss des Eintragungsverfahrens vom Nationalrat und Bundesrat keine positive Erledigung erfahren hat.
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Das Begehren darf nicht zum EU-Recht oder zu völkerrechtlichen Verpflichtungen im Widerspruch stehen, keine Verfassungsänderungen beinhalten, Landesrecht nicht berühren und den Bundeshaushalt nicht gefährden. Das Volks würde durch dieses Initiativreferendum die Möglichkeit erhalten, eine Norm bestimmten Inhalts auch gegen den Willen des Parlaments zu schaffen.
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Im Widerspruch
Dieses Konzept der direkten Demokratie steht mit dem repräsentativdemokratischen Grundprinzip im Widerspruch. Zu ihm steht auch Art 1 B-VG mit seinem Satz ¿Ihr Recht geht vom Volk aus¿ in einem Widerspruch. Man könnte ihn weglassen und das B-VG wäre von einem Widerspruch befreit. Belässt man ihn aber, so ist er immer wieder eine Herausforderung, eine Annäherung des übrigen Textes und Regelungswerkes an ihn herbeizuführen.
Erweiterung der Rechte des Volkes
Das ist Auftrag und Aufgabe der Demokratiepolitik. Daher sollten die Regierungsparteien ihre Initiative durchziehen und auch die obligatorische Volksabstimmung von vornherein anstreben. Dabei könnten gleich weitere Annäherungen an die direkte Demokratie versucht werden. Wenn man einen Sinn der österreichischen Geschichte im Weg zur politischen Freiheit sieht, so macht die Erweiterung der Rechte des Volkes Sinn.
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So sollte das Staatsvertragsreferendum eingeführt werden. Denn obwohl wir über 2500 Staatsverträge abgeschlossen haben, gibt es nach der Verfassung noch immer keine Volksabstimmung darüber. Es gibt auch kein Finanzreferendum, obwohl gerade die Belastung mit Abgaben im weitesten Sinn hier höher ist als in anderen Staaten. Es gibt auch kein Verwaltungsreferendum, obwohl der Kleinstaat Österreich ein großer Verwaltungsstaat ist.
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Erneuerung des Föderalismus
Allgemein gesagt ist die Ausgestaltung der direkten Demokratie bei uns zu kleinlich und zu kleinkariert, um beim Volk anzukommen. Sie ist ein Konzept ohne Konsequenz. Eine neue Verfassung sollte sich hier an der Schweiz orientieren und auch den Bundesländern freie Hand bei der Gestaltung der direkten Demokratie lassen. Die Erneuerung der Demokratie soll mit der Erneuerung des Föderalismus Hand in Hand gehen.
Dieser Text setzt eine von Manfried Welan begonnene Diskussion über Verfassungsreform und eine neue Verfasung fort. Die bisher erschienenen Beiträge in dieser Serie finden Sie chronologisch gereiht in den unten angeführten Links:
->   Für eine neue Bundesverfassung
->   Klaus Poier: Minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht?
->   Wahlen und Wählen in neuer Verfassung
->   Für eine neue Verfassung mit Eingangsformel
Mehr zum Thema Demokratie und Verfassung in science.orf.at:
->   Sonja Puntscher-Riekmann: Die Demokratisierung Europas: Ein fruchtlose Nabelschau?
 
 
 
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