Host-Info
Anton Zeilinger
Institut für Experimentalphysik, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Anton Zeilinger :  Wissen und Bildung 
 
Lieber Peter Weinberger
Ein Brief
 
  Deine Idee eines öffentlichen Dialogs gefällt mir gut, obwohl mir der Vergleich mit dem Briefwechsel zwischen Max Born und Albert Einstein die Sprache - oder eigentlich die Schrift - verschlägt  
Die fundamentalen Fragen der Wissenschaft
Vor solchen Titanen des Geistes kann man eigentlich nur schweigen. Ich sehe es als Problem, dass sich heute viel weniger Leute mit wirklich fundamentalen Fragen in den Wissenschaften
auseinandersetzen als damals. Darüber sollten wir uns vielleicht auch einmal diskursiv auseinandersetzen.
'Dischkurrieren' wir also....
Dein Argument, dass die Wissenschaftler in Österreich mehr in der
Öffentlichkeit sagen sollten, hat mich allerdings überzeugt. Sei's daher drum, 'dischkurrieren' wir also, wie es so schön in Wien heißt, und coram publico noch dazu.
Nicht der einzige Exote in Davos
Auch ich war verwundert, zum Weltwirtschaftsforum nach Davos eingeladen zu werden. Meine Erwartung war, dass es dort nur so von Wissenschaftlern wimmelt, die irgendwas Nützliches gemacht haben oder die wenigstens irgendwas, das nützlich sein könnte, irgendwelchen Investoren einreden möchten.

Sozusagen das simple Bild einer Vermarktung von Ideen, eines Suchens nach Möglichkeiten einer unmittelbaren wirtschaftlichen und damit profitablen Umsetzung. Weit gefehlt! Ich war bei weitem nicht der einzige Exote, der über eine Thema ausschließlich deshalb sprach, weil es ihn faszinierte. Da ging es etwa um so verschiedene Fragen wie "Auf welche Weise formen uns
die verschiedenen Religionen?" oder "Was ist Bewußtsein?" um nur zwei Beispiele zu nennen.
Langfristige Entwicklungen
Offenbar ging es um viel mehr als um unmittelbare wirtschaftliche
Anwendbarkeit oder Verwertbarkeit. Du kannst natürlich argumentieren, daß diese Fragen langfristig sicher auch von ökonomischer Bedeutung sein werden.

Das wird wohl so sein, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass dies das Motiv für die diversen Gespräche und Themen in Davos gewesen ist. Ich hatte den Eindruck, daß es ganz wesentlich um eine Auseinandersetzung mit langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten ging. Das sind ja auch die wirklich interessanten Fragen, die wir uns stellen können.
...
Vergleich der Weltbilder
Denken wir uns etwa in eine Zeit vor 100 Jahren zurück und vergleichen wir das damalige Weltbild mit dem heutigen. Da blieb in den letzten hundert Jahren fast kein Stein in unserem Weltbild auf dem anderen.

Nur ein paar Beispiele: Im politischen Leben ist Demokratie genauso zur Selbstverständlichkeit geworden wie damals Loyalität zum Herrscherhaus eine Selbstverständlichkeit war. Und durch die Entdeckungen der Molekularbiologie und der Verhaltensforschung ist der Homo Sapiens in den letzten hundert Jahren von seinem vermeintlichen Thron gestoßen worden und die Quantenphysik ... na ja, deren Revolution unseres Weltbildes ist ja bis heute nicht verdaut.

Wo und wohin geht es also weiter in den nächsten hundert Jahren? Genau darum gehts und nicht um wirtschaftliche Umsetzbarkeit.
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Zur Ecophysik
Zu der von Dir erwähnten Ecophysik, also verkürzt der Anwendung
physikalischer Denkweisen und Arbeitsmethoden zur Untersuchung ökonomischer Vorgänge:

Die ist eines der vielen Beispiele, wie Physiker ihr analytisches Wissen und ihre Problemlösungsstrategien sehr erfolgreich auch außerhalb der Physik einsetzen können. Wirklich fundamentale interessante Fragestellungen kann ich da aber nicht so erkennen, wie bei den oben erwähnten Problemkreisen.
Physik: Ausbildung zum Problemlösen?
Auch in meinem Umfeld ist das von Dir erwähnte Phänomen zu beobachten, daß Physikerinnen und Physiker Berufe in dieser Richtung ergreifen. Ein Absolvent hat mit einmal erklärt, dass er durch Anwendung eines Computerprogrammes, das er zur Berechnung der zeitlichen Entwicklung von Reaktionen von Elementarteilchen entwickelt hatte, so umbauen konnte, so dass es zur Berechnung der zeitlichen Entwicklung von Börsenkursen brauchbar war.

Damit habe er in einem Jahr für sein Unternehmen mehr Geld verdient, als seine gesamte Lebenslohnsumme sein werde. Nun, so was freut mich, weil es zeigt, daß wir die Leute tatsächlich als generelle Problemlöser ausbilden, wenn sie Physik studieren.
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Es macht mich aber auch nachdenklich, da ich in der Entwicklung unserer Gesellschaften einen Trend sehe in der Weise, dass diejenigen, die tatsächlich zur Wertschöpfung beitragen, anteilsmäßig weniger werden.
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Begeisterung für die Wissenschaft
Ich bin daher froh, dass gerade in der letzten Zeit einige meiner
Absolventinnen in Ihrer Berufsentscheidung bei der Physik selbst
geblieben sind, obwohl eine Tätigkeit in Ecophysics lukrativer gewesen wäre. Hier hilft, daß die Berufsaussichten für Physikerinnen und Physiker derzeit so hervorragend sind, wie sie nach meiner persönlichen Erinnerung noch nie waren.

In der Tat wird es für uns immer schwieriger, junge Leute an der Universität zu halten, da die Industrieangebote immer lukrativer werden. Aber zum Glück gibt es auch in der nächsten Generation viele von der Wissenschaft Begeisterte.

Mit herzlichem Gruß
Dein
Anton
->   Anton Zeilingers Homepage
Der Briefwechsel Anton Zeilinger - Peter Weinberger wird in science.orf.at fortgesetzt. Hier sind die Links der folgenden Beiträge:
->   Lieber Anton Zeilinger! Ein Brief
->   Lieber Peter Weinberger! (28.3.2001)
->   Lieber Anton Zeilinger! (17. 4. 2001)
->   Lieber Anton Zeilinger! (3.7.2001)
 
 
 
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