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Anton Zeilinger
Institut für Experimentalphysik, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Anton Zeilinger :  Wissen und Bildung 
 
Verschränkung liegt in der Luft
Von Julia Petschinka
 
  Das Zeitalter der Quantenkommunikation mittels Satelliten hat begonnen: Das Team des Quantenphysikers Anton Zeilinger hat den Grundstein dazu gelegt. Was sich bei den Experimenten dazu alles zugetragen hat, zeigt folgender Hintergrundbericht.  
Zwischen Resignation und Aufbruch
Krisenstimmung unter den Physikern. Eine Runde von zwölf Personen aus allen möglichen Ländern sitzt um einen Tisch. Sie sind erschöpft und haben keine guten Ergebnisse in den Händen. Die letzten vier Nächte haben sie auf der Donauinsel verbracht.

Sie haben versucht, weltweit zum ersten mal verschränkte Lichtteilchen über die Luft zu übertragen. Jetzt sind sie müde. Wollen an ihre eigenen Experimente zurück, wollen nach Hause. "Ich will wieder teleportieren!", hört man.
Eine Chefentscheidung ist gefragt
Foto: Elena Nemkova
Die Geräte stehen an der Donau bereit
"Meine Freundin ist schon böse, weil ich die letzten Nächte nicht zu Hause war" kommt es von einer anderen Ecke. Sicherlich, sie könnten aufhören, sie könnten die halbfertigen Messungen veröffentlichen - "hat ja eh noch niemand gemacht!" - und sie könnten ihrer Müdigkeit nachgeben. Aber sie könnten auch weitermachen.

Eine Chefentscheidung ist gefragt. Der Wiener Quantenphysiker Anton Zeilinger versucht trickreich und einfühlsam seine Mitarbeiter zu motivieren. Er weiß, wenn sie noch eine Nacht gemeinsam versuchen würden, das Experiment zu beenden, dann könnte eine Sensation gelingen.
Das Ziel: Weltweite Quantenkommunikation via Satellit
Zum ersten Mal versuchen Physiker, verschränkte Lichtteilchen über die Luft und nicht durch Glasfasern zu übertragen. Jede Übertragungsart ist aber mit Verlusten behaftet - egal ob durch Glasfasern oder durch die Luft. Will man Lichtteilchen zwischen Partnern austauschen, die weiter als etwa 100 Kilometer entfernt sind, bleibt nur die Möglichkeit, Erdsatelliten zu verwenden.

Der Weg hinauf zu den Satelliten durch die Erdatmosphäre lässt sich noch ohne gröbere Signalverluste meistern - und im Weltall herrscht sowieso Vakuum, da gibt es keine Verluste mehr. Und dann könnte man das weltweite Netz für den Austausch von Quanten aufspannen.
Erster Schritt: Übertragung durch die Luft
Schritt für Schritt arbeiten die Physiker auf diese Vision hin. Und der erste Schritt ist zu zeigen, dass verschränkte Lichtteilchen überhaupt durch die Luft übertragen werden können und dabei ihre Quanteneigenschaften, die Verschränkung, beibehalten. Genau das soll auf der Wiener Donauinsel passieren.
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Wie science.ORF.at berichtet hat, wurden die Resultate der Experimente von Anton Zeilinger und seinem Team am 19. Juni in der Online-Ausgabe von "Science" (DOI: 10.1126/science.1085593) veröffentlicht.
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"Uns treibt der Optimismus"
 
Foto: Elena Nemkova

Die Quelle der Photonen

Es ist Nachmittag des nächsten Tages. Die Physiker trudeln langsam auf der Donauinsel ein und beziehen ihre Stellungen. Sie wurden überzeugt und werden es noch einmal versuchen.

Ein paar von ihnen bleiben bei der Quelle, bei dem roten Container. Dort werden die verschränkten Lichtteilchen erzeugt und durch die Luft zu den beiden Empfängerstationen geschickt.
Empfängerstationen ALICE und BOB
Die beiden Stationen befinden sich an den gegenüberliegenden Ufern der Donau auf den Dächern zweier Gebäude. Traditioneller Weise heißen diese Stationen ALICE und BOB - keiner weiß mehr, wieso. Mittlerweile sind dort auch schon Physiker eingetroffen und beginnen, alles wieder aufzubauen.

Und wieder andere sind beim Bauhaus. Sie müssen einen Windschutz besorgen. Die letzten paar Nächte war der Wind so stark, dass die Messgeräte bei den Empfängerstationen gewackelt haben. Das hat das Signal empfindlich gestört. Improvisation ist gefragt - und so kommen sie mit Kompostier-Containern zurück.
Hektik vor dem Sonnenuntergang
Hektik macht sich schön langsam bemerkbar. Der Sonnenuntergang naht, und damit die wertvolle Messzeit in der Nacht, wenn alles dunkel ist. Die empfindlichen Messgeräte bei ALICE und BOB können einzelne Lichtteilchen nachweisen, jeder Sonnenstrahl würde dabei stören.

Jede der drei Stationen des Experiments - die Quelle und die beiden Empfängerstationen - ist mit Funkgeräten ausgerüstet. Funksprüche flitzen durch die Luft.
BOB macht Probleme ...
Jeden Tag funktioniert etwas anderes nicht. Heute ist es BOB, der Probleme macht. Er kann keine Lichtteilchen messen. Ratlos drehen die Physiker an Knöpfen herum und funken sich Justage-Anweisungen zu: "Nach rechts ... halt ... nein ... das andere rechts ... weiter ... Stopp!"

Es wird langsam dämmrig und die Kälte der Aprilnächte wird immer durchdringender. Der Magen knurrt.
... bei ALICE läuft alles klar
Foto: Elena Nemkova
Aufbauarbeiten von ALICE
Bei der zweiten Empfängerstation, bei ALICE am anderen Ufer der Donau, scheint heute alles wie am Schnürchen zu laufen. Schnell war der Windschutz aufgestellt, die Messgeräte eingerichtet und die Internetverbindung hergestellt. Diese Verbindung ermöglicht es, dass dann, wenn die eigentlichen Messungen beginnen, alle drei Stationen gleichzeitig beobachten können, was passiert. Alle sehen dann den selben Bildschirm.

Bei ALICE ist also nicht viel zu tun. Stündlich überprüfen die Forscher, ob nicht durch einen unglücklichen Zufall (ein starker Windstoß zum Beispiel) alles verstellt ist. Die restliche Zeit verbringen sie in der Kantine und warten, dass bei BOB endlich alles funktioniert. Sie wärmen sich bei heißem Kaffee auf und lauschen den Funksprüchen der anderen Physiker. Ihre Müdigkeit hindert sie an Gesprächen.

Ab und zu versucht es doch jemand. "Wenn wir dann mit Satelliten arbeiten können, muss das alles viel schneller gehen". Keine Antwort. "Man sieht solche Satelliten nur zehn Minuten am Himmel. Mehr Zeit für die Messung der verschränkten Photonen bleibt uns dann nicht". "Hm!"
Und wieder alles neu einstellen
Ein Funkspruch von BOB reißt alle aus ihrem Halbschlaf: "Geht's euch wieder aufwärmen, uns ist gerade alles zusammengefallen". Der Windschutz ist umgekippt, als sich einer der Forscher eine kurze Pause gönnen wollte. Jetzt muss alles wieder von vorne eingestellt werden. Alles neu justieren. Wieder das mühsame Suchen, wo die einzelnen Lichtteilchen herkommen. Bei besonders finsterer Nacht und eisiger Aprilnacht-Kälte um drei Uhr Früh.
Die Quelle: Nunmehr geheizt ...
Im roten Container, dort wo sich die Quelle befindet, ist alles ein bisschen ruhiger und wärmer. Nach der ersten Messnacht vor vier Tagen war klar: die Temperaturschwankungen zerstören die Verschränkung der Lichtteilchen, die die Quelle erzeugt.

Und so hat der rote Container, in dem sich die Quelle befindet, eine Heizung bekommen - und eine Styroporverkleidung zur Isolation.
... aber mit Problemen nach "Käferparty"
Foto: Elena Nemkova
Die Quelle - und ihr Equipment
Es ist still da drinnen. Abgesehen von den leisen Flüchen des Physikers. Seit Stunden sitzt er schon hier und putzt die kleinen Spiegel und Filter. "Letzte Nacht ist anscheinend ein Käfer hier durchgekrabbelt. Man sieht deutlich seine Spuren und er hat auch randaliert, vieles ist verstellt". Eine Käferparty mitten im sensibelsten Teil des Experiments?

Tapfer macht er seine Arbeit. Für den Moment, wo er von beiden Empfängerstationen das OK bekommt. Sobald sie ihm per Funk mitteilen, dass bei Ihnen alles funktioniert, muss er die Spiegel, Filter und Schrauben fixieren. Dann muss der Aufbau fertig eingestellt sein und die verschränkten Lichtteilchen liefern.

Es darf kein Fehler mehr passieren. "Für mich ist das der nervöseste Zeitpunkt" meint der Forscher. "Jetzt hängt alles davon ab, ob ich gute Arbeit geleistet habe."
Es kann losgehen - endlich!
Und tatsächlich, kurze Zeit später kommt von BOB der erlösende Funkspruch. Dass ihnen der Windschutz umgefallen ist, hat alle wieder munter gemacht. Mit hoher Präzision und Geschwindigkeit haben sie die Messgeräte neu eingestellt und den Windschutz aufgebaut - und siehe da: die Empfängerstation BOB misst, was die Quelle schickt.

Es kann los gehen - und bis zum Sonnenaufgang bleibt noch genügend Zeit. Wenn alles nach Plan läuft.
"ALICE geht auf 45 - BOB bleibt - bitte bestätigen"
Langsam und deutlich werden von einem der Physiker Anweisungen erteilt, wie die Messungen ablaufen sollen, wie die Filter der beiden Empfängerstationen verdreht werden müssen. "ALICE geht auf 45 - BOB bleibt - bitte bestätigen". Als Antwort werden per Funk die Messergebnisse mitgeteilt - alle können sie hören.
Vier wichtige Messwerte für ...
Insgesamt gibt es vier wichtige Messwerte. Diese Werte werden dann in die so genannte "Bell'sche Ungleichung" eingesetzt. Die Bell'sche Ungleichung ist so etwas wie die mathematische Bedingung für die Verschränkung von Lichtteilchen. Wenn diese Ungleichung verletzt wird, ist die Sensation perfekt. Für dieses Experiment wäre das eine Bestätigung, dass alles mit quantenmechanischen Dingen zugegangen ist; für die Fachwelt: der Beweis.
... die Bell'sche Ungleichung
Die vier Messwerte werden gefunkt: "0.509". Pause. "0.643". Pause. "0.558". Pause. Die Pausen sind so lange, dass alle längst ihre Taschenrechner gezückt haben und wissen, was als nächstes kommen muss, damit diese Nacht erfolgreich war: mindestens 0.5. Als wollte der Physiker die Spannung noch ein wenig mehr auskosten, spricht er noch langsamer: "zero point seven o two".
Es ist geschafft!
Die Bell'sche Ungleichung ist mit diesen Zahlen verletzt, die Sensation ist perfekt! Ein erlösender Schrei stört die Stille der Nacht. Die Physiker bei der Empfängerstation BOB tanzen um den Windschutz.

Was war passiert? Mitten in der Nacht hat das Team bewiesen, dass verschränkte Photonen durch die Luft übertragen werden können, und somit den ersten Schritt Richtung Weltall getan. An der Wiener Donauinsel.
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Über die Autorin
Julia Petschinka ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Anton Zeilinger am Institut für Experimentalphysik in Wien. Sie arbeitet an einem Prototypen für Quantenkryptographie.
Seit Oktober 2002 ist sie Teilnehmerin des Lehrganges für Wissenschaftskommunikation, Wissenschaftsjournalismus und -PR "SciMedia".
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