Erich H. Loewy
Department of Internal Medicine, Bioethics Program, University of California Davis
 
ORF ON Science :  Erich Loewy :  Leben .  Wissen und Bildung 
 
Stammzellen als Geschäft?  
  Was ist in einer Gesellschaft Allgemeingut und was ist Privatgut? Die Beantwortung dieser Frage ist für die bioethische Diskussion über die Vermarktung von Stammzellen und Embryonen eine wichtige Voraussetzung.  
Chancen und Profite
Das heutige Problem ist, dass die Möglichkeiten der Stammzellenforschung für die medizinische Behandlung schwerster Krankheiten vermarktet werden können.

Hier ist keinesfalls nur von embryonal ominpotenten Stammzellen die Rede. Es ist bereits bei Stammzellen für Blut, die man aus der Nabelschnur und der Plazenta gewinnen kann, der Fall.
Vorsorge für Leukämie?
Und dies, obwohl wir uns keinesfalls sicher sind, dass diese Stammzellen zu dem Zweck, zu dem sie vermarktet werden, verwendbar sind: Nämlich als Knochenmarktransplantat im Fall, dass ein Kind nach Jahren Leukämie bekommen sollte.

So können die Eltern bereits heute für eine beträchtliche Summe Geld, z.B. das plazentäre Blut ihres Neugeborenen einfrieren lassen. Und obwohl man keineswegs weiß, wie sich so etwas auswirkt, wird damit Profit gemacht.
Bestellungen über das Internet
Es gibt bereits durch das Internet die Möglichkeit, Stammzellen zur Behandlung von Leber und anderen Schäden zu kaufen, obwohl noch niemand weiß, ob solche programmierten omnipotenten Stammzellen für solche Krankheiten wirksam sind, oder nicht.
Allgemein- und Privatgut
Was also ist eigentlich Allgemein- und was Privatgut? Ist medizinische Versorgung etwas, das für Alle zugänglich ist, oder etwas, das sich jeder eben selbst kaufen muss?

Oder sollten wir vielleicht eine Basisversorgung für Jeden ermöglichen, aber darüber hinaus teurere Behandlungen nur für diejenigen, die dafür zahlen können, erlauben?
Wo soll der Profit beginnen?
Ist die Behandlung von Krankheiten, oder das Erhalten des Lebens etwas, woraus Profit gemacht werden sollte und darf? Dies sind einige der Fragen die wir uns stellen müssen.

Ein Teil der Antwort hängt davon ab, wie wir uns als Individuen, die in einer Gesellschaft mit einander leben müssen und sollen, sehen. Sind wir nur dazu verpflichtet, einander nicht zu schaden, oder haben wir auch eine Pflicht, einander in unserer Not zu helfen ¿ und wenn wir diese Pflicht haben: Wo sind die Grenzen?
Keine Gesellschaft ohne Solidarität
Eine Gesellschaft ohne Solidarität kann nicht lange bestehen. Wenn ich weiß, dass mein Mitmensch mir nicht schaden wird, so ist Solidarität besser als wenn ich weiß, dass er das tun darf und wird.

Aber es ist keine wirksame Solidarität. Nur wenn ich weiß, dass mein Nachbar bereit ist, mich in meiner Not zu unterstützen, kann ich mich wirklich solidarisch fühlen. Das heißt keinesfalls, dass wir verpflichtet sind oder sein sollten, alles für Jeden zu tun. Aber es heißt, dass Lebensnotwendigkeiten, soweit dies nur möglich ist, nicht dem Profit und dem Markt überlassen werden sollten.
Zukunft des Gesundheitssystems
Das Vermarkten des Gesundheitswesens ¿ und das Vermarkten von Stammzellen, die wahrscheinlich ein äußerst wichtiger Teil der Zukunftsmedizin sein werden, oder sein könnten, ist ein Vermarkten von Lebensmöglichkeiten.

Fraglos, dass mit den heutigen Kosten rationiert werden wird müssen. Aber soll diese Rationierung darin bestehen, dass die, die es sich leisten können, eine lebensnotwendige Behandlung haben können und die, die arm sind, deswegen sterben müssen? Würde so etwas Solidarität und daher das Bestehen unserer Gesellschaft fördern?
Demokratische Entscheidung ist gefragt
Wie bereits in früheren Beiträgen erwähnt, ist die Entscheidung dieser Fragen etwas, das wir alle gemeinsam durch eine demokratische und politische Vorgangsweise treffen sollten.

Ethiker, Ärzte, andere Experten und eine Kommission können beraten und können beim Durchdenken dieser Probleme helfen, aber sie können nicht entscheiden. Und falls sie als Experte oder als Kommission beraten, sollten sie bei ihrem Rat keinen Interessenkonflikt haben, also, z.B. keine finanziellen Interessen an einer Vermarktung haben.


PS.: Ich bin sehr an einer möglichst breiten Diskussion über dieses Thema interessiert - über Zuschriften oder Kommentare würde ich mich freuen.
Mehr dazu in science.orf.at:
->   Erich Loewy: Stammzellen und Bioethik
->   Ein Kommentar zur Bioethikkommission
->   Ulrich Körtner: Stammzellenforschung - Plädoyer für eine seriöse Debatte
 
 
 
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