Erich H. Loewy
Department of Internal Medicine, Bioethics Program, University of California Davis
 
ORF ON Science :  Erich Loewy :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft 
 
Gesundheitssysteme zur Debatte  
  Eine der aktuellsten Fragen der Medizinethik betrifft die künftige Gestaltung des Gesundheitswesens. Viele Gesundheitssysteme der westlichen Welt sind, verglichen mit dem in den USA, sozial, menschlich und sogar oft technisch als besser und gerechter einzustufen. Überall aber zeigen sich die Grenzen der Finanzierbarkeit.  
Das Gesundheitswesen wird immer teurer. Es wird klar, dass nicht alle alles haben können, dass wir Rationalisieren und schließlich Rationieren werden müssen. Und es stellt sich die Frage, wie das ethisch vertretbar sein sollte.
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Ich werde die kurzen Anregungen zum Nachdenken über dieses Thema in drei Teile teilen: Erstens über verschiedene Begriffe und Alternative eines Gesundheitswesens sprechen, im nächsten Beitrag über Rationalisieren (spezifisch in Österreich) sprechen und schließlich und endlich die Frage des Rationierens anschneiden.
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Ein paar Definitionen
Ein so genanntes sozialisiertes System ist eines, das vom Staat und von Steuern getragen und gezahlt wird. Beispiele wären Skandinavien, Großbritannien oder Kanada. In anderen Systemen kommen die Gelder von Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Solche werden dann gewöhnlich von Versicherungsgesellschaften gehandhabt und strengst kontrolliert. Beispiele wären Deutschland und Österreich.
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Was man in den USA ein 'Single Payer System' nennt, heißt schlicht und einfach, dass eine Organisation oder der Staat alle Kosten zahlt, und nicht einzelne Versicherungsgesellschaften. Es ist nicht einem einstufigem System gleich zu setzen.
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Systeme im Vergleich
Die erste und zugleich die Hauptfrage lautet: wollen wir ein ein- oder ein mehrstufiges System? In einem einstufigen System bekommen alle dasselbe und niemand kann sich (selbst oder durch Privatversicherung) mehr kaufen.

Wenn ich 'dasselbe' sage, so meine ich damit jene Aspekte, die für das medizinische Resultat von Belang sind: also gleiche Wartezeit, gleiche Ärzte, Krankenschwestern, Laboruntersuchungen, Medikamente, Zugang, u.s.w. Es heißt nicht, dass man sich nicht ein Privatzimmer, schöne Vorhänge an den Fenstern oder eine Flasche Wein kaufen könnte.
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In einem mehrstufigen System kriegen alle eine Basisversorgung, aber wer will und kann, könnte sich mehr kaufen: kürzere Wartezeit, renommiertere Ärzte, mehr Krankenschwestern, andere Medikamente, u.s.w.
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Pro und contra
Was spricht für das eine, was für das andere? Das Argument für ein mehrstufiges Gesundheitssystem lautet ungefähr so: Warum soll ich meine eigenen Werte nicht maximieren, falls ich mir lieber teure Ferien leiste, anstatt mir noch eine Privatversicherung zu kaufen, warum nicht? Und übrigens: ich hab mein ganzes Leben schwer gearbeitet, war sparsam und vorsichtig. Warum soll ich für einen Anderen, der verschwenderisch, faul und unvorsichtig war jetzt zahlen?
Käufliche Gesundheit?
Die Schwierigkeit dieses Arguments und was generell für ein einstufiges System spricht, ist dass dieses Argument nicht stimmt. Gesundheit hat plötzlich, wenn man krank wird, einen hohen Stellenwert.

Leute die das Geld für Privatversicherung nicht haben, waren in vielen Fällen keineswegs faul, verschwenderisch und unvorsichtig: sie waren einfach arm und haben nicht dieselben Chancen wie ich genossen. Vielleicht hatten sie eine Familie mit drei Kindern und die Wahl betraf nicht eine Entscheidung zwischen teuren Ferien und Privatversicherung, sondern zwischen genug zu essen und anständigem Wohnen oder einer Privatversicherung.

Nicht zuletzt muss man sich aber auch die Frage stellen: Will man wirklich in einer Gesellschaft leben, in der es käuflich ist, ob man lebt oder stirbt ?
 
 
 
ORF ON Science :  Erich Loewy :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft 
 

 
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