Erich H. Loewy
Department of Internal Medicine, Bioethics Program, University of California Davis
 
ORF ON Science :  Erich Loewy :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft 
 
Teure Medizin: Der Preis der Reformen  
  Die Finanzierung unseres Gesundheitswesens ist auch eine Herausforderung für die Medizinethik. Die medizinische Versorgung wird immer teurer, die vorhandenen Mittel sind aber begrenzt. Die Gemeinschaft kann nicht alles finanzieren, da sie auch andere Aufgaben zu erfüllen hat. So stellt sich die Frage, wie man sinnvoll und gerecht einsparen könnte.  
Zu lange im Krankenhaus
Es ist keine Frage, dass viel verschwendet wird. Es ist allerdings nicht leicht zu bestimmen, was notwendige und was nicht notwendige (und daher verschwendete) Ausgaben sind.

Es gibt aber einige Aspekte, die außer Streit stehen und in der medizinischen Literatur offenkundig sind. Es ist zum Beispiel keineswegs notwendig, dass Patienten nach einer Krankheit oder nach der Entbindung so lange im Krankenhaus bleiben, wie das in Österreich oft vorkommt. Es mag sogar schädlich sein.
Ambulant ist besser
Viele Untersuchungen und Behandlungen, die heute im Krankenhaus stattfinden, könnten ambulant gemacht werden. In der Literatur gibt es dafür viele Beweise: Nicht nur, dass es so gemacht werden kann, sondern dass auch das Resultat häufig besser ist.
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"evidence based medicine"
Außerdem: Wo es klare Beweise gibt, sollte man "evidence based medicine" (d.h. Behandlungen, die auf solche Beweise gestützt sind) verwenden. Was nicht heißt, dass man nicht behandelt, wo klare Beweise fehlen (wie es z.B. leider in der Geriatrie oder in Intensivstationen nicht selten der Fall ist).
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Akzeptable Entscheidungen
Wie immer in der Ethik lautet die erste Frage nicht, was wir tun sollten, sondern wer berechtigt ist, hier eine Antwort zu geben. Bei den Entscheidungen kommt es aber nicht nur auf die Ethik, sondern auf ethisch akzeptable Entscheidungen im Rahmen der Möglichkeiten an.
Zur Diskussion gestellt
In Österreich dauern Aufenthalte in Spitälern im Durchschnitt länger als in vergleichbaren Ländern, bringen aber nicht mehr.

In Österreich werden viele Untersuchungen, die anderswo ambulant gemacht werden, stationär gemacht, ohne dass dadurch irgend ein Vorteil nachgewiesen werden kann.

In Österreich (wie leider in vielen Ländern) sind viele Ärzte ungenügend und andere überaus gut bezahlt. Wie in den meisten Ländern werden chirurgische und andere Leistungen wie Endoskopie sehr hoch bezahlt. Andere, vielleicht wichtigere Leistungen, werden miserabel bezahlt.
Behandlung wie am Fliessband
Dies führt dazu, dass Ärzte nicht genug Zeit haben, mit ihren Patienten zu sprechen und dass die Behandlung (und insbesondere die ambulante Behandlung) zu einem "Fliessband" wird. Dies ist ethisch, menschlich und auch ökonomisch zu mindest bedenklich.
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Geschenke unter dem Tisch
Die schlechte Bezahlung mancher Ärzte scheint auch dazu zu führen dass einzelne Ärzte, wie es heißt, "Geschenke unter dem Tisch" (also Bestechungsgelder) annehmen, um Wartezeiten abzukürzen oder andere Vorteile zu gewähren. Falls das wahr sein sollte, und ich habe einige Gründe dies zu glauben, ist es ethisch unannehmbar. Eine Reform könnte viele unnötige Ausgaben verhindern.
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Direkter Beitrag des Patienten
Wie die Sache heute steht, sollen Patienten einen gewissen Betrag aus ihrer eigenen Tasche zahlen. Aus ethischer Sicht ist das problematisch.

Es erscheint unfair, dass der Herr Bankdirektor dasselbe wie die Frau Putzfrau zahlen sollte. Hundert Schilling bedeuten für den Einen wenig. Für den Anderen könnte diese Summe unerschwinglich sein.

Das Gesundheitswesen wird in unserer Gesellschaft als ein notwendiges und daher soziales Gut von fast Allen anerkannt.
Rationierung öffentlich diskutiert
Das Kapitel Rationierung müsste offen im Publikum angesprochen und diskutiert werden. Es ist wahrscheinlich unvermeidlich, müsste aber im Rahmen ökonomischer Möglichkeiten mit ethischen Grundsätzen entschieden werden.
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Diskussion aller Betroffenen
Solche Entscheidungen sollten weder von Ärzten, noch von Politkern allein getroffen werden. Vor den Entscheidungen, die letztendlich Sache des Parlaments sind, muss eine Diskussion aller Betroffenen oder möglicherweise Betroffenen stattfinden.
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Diskussion und Demokratie
Das heißt, wir alle sollten an dieser Diskussion teilnehmen. Und so kommen wir wiederum zu demselben Punkt zurück: Ethisch handeln kann nur in einem ethisch annehmbaren sozialen Rahmen stattfinden.

Daher ist das Aufrechterhalten einer demokratisch wirksamen Zusammenarbeit bei all diesen Fragen die erste Vorbedingung.
Lesen Sie dazu auch in science.orf.at:
->   Erich Loewy: Gesundheitssysteme zur Debatte
->   Mathematische Modelle im Gesundheitswesen
 
 
 
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