Erich H. Loewy
Department of Internal Medicine, Bioethics Program, University of California Davis
 
ORF ON Science :  Erich Loewy :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft 
 
Ethische Fragen an die In-vitro-Fertilisation  
  Die In-vitro-Fertilisation sollte auch als ethische Fragestellung betrachtet werden. Dabei handelt es sich aber nicht nur um eine einzelne, sondern um viele ineinander verwickelte Fragen. Individuelle Entscheidungen über das entstehende Leben sind dabei mit komplexen gesellschaftlichen und ökonomischen Aspekten verbunden.  
Zuerst sollte man aber einmal die Fakten betrachten. In-vitro-Fertilisation hat verschiedene Varianten, die mit unterschiedlichen Konsequenzen, aber auch verschiedenen ethischen Bedenken verbunden sind.
...
Varianten der In-vitro-Fertilisation
Erstens: Einer Frau, die nicht schwanger werden kann, weil ihre Tuben vernarbt sind, kann die eigene, mit dem Sperma ihres Partners befruchtete Eizelle wieder implantiert werden, sodass sie auf diese Weise schwanger wird.
Zweitens: Das Sperma ihres Partners und das Ovum einer "Spenderin" kann zum selben Zweck verwendet werden. Drittens: das Ovum der Frau und das Sperma eines Anderen können so verwendet werden.
Viertens: eine Surrogatmutter kann künstlich (mit dem Ovum der "Mutter" und dem Sperma des "Vaters" schwanger gemacht werden, die Schwangerschaft austragen und das Kind dann den Leuten, die sie dafür "angestellt" haben überlassen. Etwas, das auf Englisch oft als "rent a womb" bezeichnet wird.
...
Die erste Frage, die bei all diesen Varianten gestellt werden sollte, ist nicht einfach eine ethische, sondern hat, wie es so oft der Fall ist, wesentliche soziale Bestandteile.
In-vitro-Fertilisation und Überbevölkerung
Wir leben in einer Welt, in der Ressourcen nicht nur beschränkt, sondern ungerecht verteilt sind. Ungerecht, weil viele, die Unglück haben, hungern und andere, die eben Glück haben, in Saus und Braus leben können. Und wir leben in einer Welt, in der die Überbevölkerung eines unserer großen Probleme ist.

Die Frage ist also: Haben wir das Recht, mit großen Kosten, großem Aufwand und viel Mühe Lebewesen zu schaffen, während wir gleichzeitig andere bereits bestehende Lebewesen (von denen viele Kinder sind) verhungern und verwildern lassen?
...
Eine Altersgrenze?
Eine andere Frage, die wir selten stellen und die gestellt werden müsste, falls wir In-vitro-Fertilisation durchführen, oder durch Hormone auch älteren Frauen ermöglichen, schwanger zu werden: Gibt es da eine Altersgrenze? Warum? Und wodurch bestimmt man diese?
...
Die Zeit der Ammen
Surrogatmutterschaft zieht außerdem andere große soziale Probleme nach sich. Sie erinnert an die Zeit, wo reiche Frauen Ammen angestellt haben, um ihre Kinder zu füttern. Nicht weil sie es nicht selbst hätten tun können, sondern weil sie lieber anderes tun und ihren Körper "schön" halten wollten.
Wer ist die wirkliche Mutter?
Surrogatmutterschaft ist außerdem problematisch, weil - bedingt durch biologische Veränderungen - schwangere Frauen oft mit dem Kind, das sie austragen, starke Beziehungen anknüpfen. Man fragt sich: Wer ist da eigentlich Mutter? Die, dessen DNA das Kind hat, oder die, die das Kind neun Monate bis lang zur Geburt in sich getragen hat? Das sind keine einfachen Fragen.
Und wer soll dafür bezahlen?
Die Frage, ob ein Gesundheitswesen für so etwas zahlen sollte, ist ebenfalls schwerwiegend. Falls es von den "Eltern" selbst bezahlt wird, haben wir das Problem, dass es sich nur Reiche werden leisten können und dass Ärmere davon ausgeschlossen bleiben.

Außerdem: Selbst wenn die "Eltern" dafür zahlen, ist das ja nicht zu pauschalieren. Ein Gesundheitswesen kann nur sehr schwer genau verschiedene Kosten (Laboruntersuchungen, das Verwenden von verschiedenen Einrichtungen, u.s.w) berechnen, um zu bestimmen, wie viel so etwas wirklich kostet.
...
Falls In-vitro-Fertilisation durch die allgemeine Krankenversicherung bezahlt werden sollte, muss man sich in einer Zeit schrumpfender Ressourcen fragen, ob das Geld dafür, das dann nicht für etwas anderes verwendet werden kann, überhaupt gerechtfertigt ist.
...
Demokratische Antworten
Solche Fragen sind Fragen, die wir uns alle stellen sollten und die auf demokratische Weise beantwortet werden müssten. Von allen, die von den Antworten betroffen sein könnten und das heißt, von uns allen. Sowohl von denen, die auf diese Weise ein Kind bekommen wollen, als auch von denen, die etwas anderes nicht bekommen können, wenn die Gelder für diesen Zweck verwendet werden.

Und wir sollten auch auch nicht vergessen, dass von manchen dieser Fragen auch Menschen, die in unserer Gesellschaft keine Mitbürger sind, betroffen sind. Übervölkerung, zum Beispiel, trifft uns alle.
 
 
 
ORF ON Science :  Erich Loewy :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick