Erich H. Loewy
Department of Internal Medicine, Bioethics Program, University of California Davis
 
ORF ON Science :  Erich Loewy :  Medizin und Gesundheit .  Gesellschaft 
 
Medizinethik und Reform des Gesundheitswesens  
  Nur in einer Institution, die dem Einzelnen genügend Raum lässt, um ethisch zu denken und zu handeln, lässt sich ethisches Denken und Handeln auch wirklich realisieren. So ist eine halbwegs gerechte Institution nur in einer halbwegs gerechten Gesellschaft möglich. Auch die Medizinethik steht vor dieser Frage, wenn sie zu einer Reform des Gesundheitswesens beitragen soll.  
Spielräume für ethisches Handeln
Der anständigste Kinderarzt konnte im "Spiegelgrund" während der Hitlerjahre nur in Opposition zu den bestehenden Umständen ethisch handeln. Ein amerikanischer Arzt unter den Bedingungen des so genannten "managed care" in den USA hat nur einen bedingten Spielraum für ethisches Handeln.

Daher scheint es mir eine der Hauptaufgaben der Medizinethik zu sein, sich um den ethischen Spielraum und nicht nur um die individuellen Probleme zu kümmern. In der Konsequenz sollte man deshalb alle Betroffenen mit einbeziehen und das Feld nicht nur den so genannten Experten überlassen.
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Das Feld nicht anderen überlassen
In unserer heutigen Gesellschaft - auch in Österreich - sind wir nicht nur durch aufflackernden Hass gegen "Fremde", "Ausländer", "Anders-Denkende" u.s.w. bedroht. Ebenso bedrohlich ist die Gleichgültigkeit gegenüber solchem Übel.

Falls wir uns nicht mit diesen sozialen Fragen auseinandersetzen und nur an unser sehr kurzsichtiges "Eigeninteresse" denken, werden diese Fragen nicht durch uns selbst, sondern durch andere, die sich dieser Thematik allzu bereitwillig annehmen, bestimmt werden. So etwas widerspricht aber in jedem Sinn einer Demokratie und es widerspricht sogar unserem eigenen Interesse!
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Amerikanisches Gesundheitssystem als Vorbild?
Heute besteht in Europa die große Gefahr, dass das amerikanische Gesundheitswesen als Vorbild akzeptiert wird: Als abschreckendes Beispiel mag es dienlich sein; als nachahmenswürdiges kaum.

In den USA leben heute über 52 Millionen Menschen, die außer in schweren Notfällen oder durch freiwiliige Wohltätigkeit keinen Zugang zum Arzt haben.

Fast der gesamte Rest der Bevölkerung ist unzulänglich versichert und muss für jede Leistung einen Beitrag "aus der eigenen Tasche" zahlen. Etwas, das ich mir vielleicht leisten kann, meine Sekretärin aber nicht.
Einfluss auf technische Medizin und Ausbildung
Es ist ein System, das fast "vor- sintflutartig" und sicherlich nicht nachahmenswert ist. Was nicht zu erstaunen vermag: Dieses System hat auch einen verheerenden Einfluss auf die technische Medizin und auf die Medizinausbildung gehabt.

Leider ist die USA heute auf diesen Gebieten nicht mehr führend - was sie fraglos bis vor etwa zehn Jahren im Großen und Ganzen war.
Reform des Gesundheitswesens: Einige offene Fragen
In Europa müssen wir zweifellos das Gesundheitswesen verändern. Viel zu viel wird (insbesondere in Österreich) verschwendet.

Es gibt vieles, das rationalisiert werden könnte und werden müsste. Wenn wir unser Gesundheitswesen erneut umgestalten, stehen wir vor einigen offenen Fragen:

1) Sollen wir ein einstufiges oder ein mehrstufiges System haben?
2) Da unsere Ressourcen (selbst falls wir endlich rationalisieren) beschränkt sind: Wie sollten wir die Mittel rationell einsetzen?
3) Was ist der Zusammenhang zwischen allgemeinen sozialen Leistungen und Notwendigkeiten und dem Gesundheitswesen?
Sollte das Medizinethik und Medizinethiker beschäftigen? Und in welcher Form sollten Medizinethiker bei einem solchen Gespräch mitwirken?


In den nächsten kurzen Kommentaren möchte ich näher auf diese Fragen eingehen. Ich würde mich über Ihre Kommentare freuen und lade Sie ein, mir persönlich zu schreiben:

ehloewy@ucdavis.edu
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