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Jahreswechsel feiern: Frage von Kultur und Religion  
  Die "Ask Your Scientist"-Frage passend zu Silvester: Wo wird der Jahreswechsel überall gefeiert? Das hat mit den unterschiedlichen Kalendern zu tun, die weltweit verwendet werden.  
Um Zeitpunkte eindeutig zu bestimmen, wurden historisch der Wechsel von Tag und Nacht, die Änderungen der Mondgestalt am Nachthimmel oder etwa der Wandel der Jahreszeiten herangezogen.

Dass sich daraus aber nicht überall gleiche Kalendersysteme und zugehörige Jahreswechsel - wie unser Silvester - entwickelt haben, liegt an Kultur und Religion.
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Die Frage der Woche im Wortlaut
Gerhard H..: "Ich würde gerne wissen, warum verschiedene Kalender und Zeitrechnungen auf der Erde verwendet wurden bzw. immer noch werden. Dass nicht jedes Land der Erde das Jahr 2004 schreibt, ist klar. Nur wie sieht es z.B. mit Silvester aus? Feiert man das nur in den westlichen Ländern? Wie sieht es diesbezüglich etwa in der Türkei, im Iran oder in China aus?"
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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Naturerscheinungen als Maßstab
Immer schon versucht der Mensch die stetig dahin schreitende Zeit zu messen und ihren zyklischen Charakter darzustellen. Die kalendarischen Maßeinheiten - Tag, Monat und Jahr - sollen helfen, unsere menschliche Zeitrechnung den am meisten prägenden Naturerscheinungen anzupassen, die von Sonne und Mond ausgehen.

Für die wichtigsten kalendarischen Versuche, dem natürlichen Verlauf der Gestirne möglichst nahe zu kommen, entwickelten sich verschiedene Strategien.
Kalendarische Strategien: Mond und/oder Sonne
Bei lunaren Kalendern wie dem Islamischen dient der am Mondlauf orientierte Monat als Maßeinheit, wobei das Jahr vom Sonnenlauf völlig losgelöst in einer fortlaufenden Reihe gezählt wird.

Im Gegensatz zum Julianisch-Gregorianischen Kalender, der sich als solarer Kalender am Sonnenlauf orientiert und bei dem die Monate unabhängig vom Mondlauf aufeinander folgen.

Der Lauf beider Gestirne wird in lunisolaren Lösungen berücksichtigt wie beispielsweise dem Jüdischen oder Chinesischen Kalender, bei denen der am Mondlauf orientierte Monat die Grundeinheit ist und durch Einfügen von Schaltmonaten etwa der Sonnenlauf berücksichtigt wird.
Mondkalender nicht exakt genug
"Kalender, die auf rein deskriptiven Himmelsbeobachtungen wie dem Mondlauf beruhen und somit immer nur für den Augenblick oder im Nachhinein bestimmbar sind, waren in vieler Hinsicht ungenügend. Daher wurden mit Hilfe mathematisch-astronomischer Chronologie zyklische Kalender entwickelt," stellt Werner Zeilinger, Astronom an der Uni Wien, für science.ORF.at fest.

"Eine erste Schwierigkeit ist dabei, dass die Dauer einer Lunation - also die Dauer zwischen zwei aufeinander folgenden Neumonden - nicht konstant ist. Wegen der unterschiedlichen Anziehungskräften von Sonne, Erde und den Planeten, die auf den Mond einwirken, schwankt sie innerhalb gewisser Grenzen," so der Astronom weiter.

Es können also lunare Kalender wie der Islamische nur als Anhaltspunkt bei der Zeitrechnung dienen und erklären, warum in der Geschichte immer wieder weitere Kalenderformen auftauchen.
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Ziel: Einfachheit und Genauigkeit
Die Hauptschwierigkeit ist ganz allgemein, möglichst einfache und verständliche Regeln mit größtmöglicher astronomischer Genauigkeit zu verbinden. Die Fortschritte in den Naturwissenschaften, besonders in der Astronomie, die den Ablauf der Himmelsbewegungen immer präziser bestimmen konnten, brachten laufend Verbesserungen im Kalenderwesen mit sich.
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Zentrale Bedeutung von Religion und Kultur
Eindeutige Kalenderlösungen entwickelten sich nicht gleichzeitig oder gar flächendeckend, da es selbstverständlich nicht nur naturwissenschaftliche Aspekte gibt, sondern auch kulturell-religiöse. Wie zum Beispiel das Festlegen des Anfangszeitpunkts, von dem ab eine Zeitrechnung beginnt.

Für Buddhisten beispielsweise beginnt die Zeitrechnung mit dem Todestag des Buddhas Siddhartha Gautama 543 v. Chr., wo hingegen der Anfangszeitpunkt im Christentum wechselte.

Im Römischen Reich war das noch von der Gründung Roms "ab urbe condita" an, die wiederum als Fixpunkt für unsere Zeitrechnung "nach Christi Geburt" diente. Nach den Berechnungen des römischen Mönchs Dionysius Exiguus entspricht das Jahr 1 "nach Christi Geburt" dem Jahr 754 "ab urbe condita".
Einheitlicher Kalender durch Caesar
"Bezeichnend für die Antike und den Hellenismus beispielsweise war, dass fast jede größere Stadt ihren eigenen Kalender führte. Als Gajus Julius Caesar den später nach ihm benannten Julianischen Kalender im Römischen Reich verbindlich einsetzte, verhalf er somit dieser Zeitrechnung zu einer überragenden Bedeutung," erläutert Georg Danek vom Institut für Klassische Philologie an der Uni Wien gegenüber science.ORF.at.

"Die Einführung des Julianischen Kalenders beendete eine Zeit großer Unordnung im Kalenderwesen des Römischen Reiches," so der Philologe weiter. Denn der bis dahin gültige Kalender wich vom Verlauf der Jahreszeiten bereits um etwa drei Monate ab.
Gregorianische Reform im Oktober 1582
Die darauf folgende Differenz zwischen Julianischem Kalender und der Natur betrug im 16. Jahrhundert wieder zehn Tage.

Diese Differenz führte zur Ausarbeitung einer Kalenderreform, die durch Papst Gregor XIII. verkündet wurde. Laut dem so eingeführten Gregorianischen Kalender ist der dem 4. Oktober 1582 folgende Tag der 15. Oktober 1582 geworden - er ist heute der in den meisten Teilen der Welt gültige Kalender.
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Umstellung dauerte mancherorts lange
Die Umstellung erfolgte etwa in den Gebieten Österreichs, Ungarns und Böhmens im Jahr 1584, in den evangelischen Teilen Deutschlands, Dänemarks oder Norwegens war dies um 1700 der Fall. Erst wesentlich später davon betroffen waren beispielsweise das ehemalige Jugoslawien (1919), Griechenland (1923) oder etwa die Türkei (1927).
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Wechselhafter Silvestertermin
Römischer, Julianischer und Gregorianischer Kalender sowie die dionysische Zeitrechnung sind also die Grundlage für den heutigen, zumindest in der westlichen Welt gültigen Kalender mit dem 1. Jänner als Neujahrstag und dem 31. Dezember als Jahresabschluss.

Im neuen Julianischen Kalender war der 1. Jänner der Jahresanfang und hat bereits ein Sonnenjahr mit 365 Tagen, zwölf Monaten, siebentägigen Wochen und alle vier Jahre ein Schaltjahr mit 366 Tagen vorgesehen.

Auch wenn sich dieser immer mehr in Mitteleuropa durchgesetzt hat, wechselte der Termin für den Jahresbeginn über das Mittelalter hinaus noch mehrmals. Erst unter Papst Innozenz XII. (1615-1700) wurde er wieder auf den 1. Jänner gelegt.
Chinesisches Neujahr Anfang Februar
Auch andere Kulturen haben ihre eigene Zeitrechnung und feiern Jahreswechsel und Neujahr nicht vom 31. Dezember auf den 1. Jänner. So fällt zum Beispiel das chinesische Neujahr regelmäßig auf die Zeit zwischen Ende Jänner und Mitte Februar.

Der kommende Jahreswechsel erfolgt in China vom 8. auf den 9. Februar 2005, wobei der 9. Februar unserem Neujahrstag entspricht.
Im Iran ein Frühlingsfest
Das größte iranische Fest hingegen, das auch in den umliegenden Staaten und den Zentralasiatischen Republiken begangen wird, ist das Frühlings -und Neujahresfest "Norouz".

Der eigentliche festliche Höhepunkt, das einer bäuerlichen Kultur entstammt, für die der Frühling eine wirtschaftliche Bedeutung besitzt, ist der Tag des Jahreswechsels vom 20. auf den 21. März.
7. Oktober in der jüdischen Zeitrechnung
Der jüdischen Zeitrechnung zufolge soll der 7. Oktober des Jahres 3761 v. Chr. der erste Tag der Erschaffung der Welt gewesen sein aus Sicht des biblischen Schöpfungsberichts.

Folgerichtig begehen die Juden also den 7. Oktober als Neujahrstag, der für Strenggläubige jedoch kein fröhlicher Festtag, sondern ein Bußtag und Fasttag ist.
Kalender: Veränderliche Systeme
Kalenderfragen sind also zum Großteil auch immer soziokulturelle Fragen. Wichtiger als astronomische Genauigkeit, die ja meistens nur von wenigen Fachleuten beurteilt werden kann, wichtiger sogar als die Anwendbarkeit eines Kalendersystems ist seine allgemeine Anerkennung.

Diese wurde und wird es auch in Zukunft nur durch legitimierte Institutionen oder Staatsoberhäupter geben. Kalender sind somit auch trotz ihrer astronomischen Berechnungsgrundlage als veränderliche, anpassungsbedürftige Systeme zu betrachten und nicht von ewiger Dauer.

Christoph Urbanek, 30.12.04
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