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Gravitationsanomalien sind optische Täuschungen  
  Dass das Schwerefeld der Erde keine ideale Kugelform hat und relativ "unrund" aussieht, begründet noch keine lokalen Anomalien in ihrem Schwerefeld. Vor allem lokale, kleinräumige so genannte Gravitationsanomalien entpuppten sich laut der von science.ORF.at befragten Wissenschaftler bisher als falsch oder noch nicht vermessene optische Täuschungen. Dazu zählen auch die angeblich bergauf rollenden Autos in Italien.  
Welche "Anomalien" tatsächlich vermessungstechnisch relevant sind und wie der inhomogene Erdaufbau dafür verantwortlich zeichnet, erklären Experten für die User von science.ORF.at.
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Die Frage der Woche im Wortlaut
Dimideus.: "Ich würde gerne wissen was über die Gravitationsanomalie in den Albaner Bergen in Italien bekannt ist! Dort rollen zum Beispiel Autos den Berg hoch obwohl der Motor aus ist."
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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Messhöhe und Masseveränderungen ...
"Gravitationsmessungen ergeben auf der Erde im Allgemeinen eine Abweichung vom berechneten Erwartungswert; diese Abweichungen haben ihre Ursache zunächst in der Messhöhe und in daraus resultierenden Masseveränderungen.

Die Abweichungen, die trotz Korrektur bestehen bleiben, werden als Gravitationsanomalien bezeichnet", definiert Detlef Wolf vom Institut für Geodäsie und Fernerkundung in Potsdam genauer, worum es bei der science.ORF.at User Frage geht.
... verursachen Anomalien
Das in diesem Zusammenhang relevante Schwerefeld der Erde werde gemeinsam durch die gravitative Anziehung der Erdmasse, die Fliehkraft der Erdrotation, den inhomogenen Aufbau der Erde sowie durch kleinere Effekte wie die Gezeiten verursacht und maßgeblich beeinflusst, erklärt der deutsche Geowissenschaftler:

Die Schwerebeschleunigung ist dabei die resultierende Beschleunigung in m/s2, die auf eine Masse wirkt.
Bekannte Änderungen des Schwerefelds der Erde
"Einige typische Variationen im Schwerefeld der Erde sind bereits gut bekannt, wie zum Beispiel die Schwerefeldänderung entlang des Übergangs von Ozean zu Kontinent, wo ozeanische Kruste und kontinentale Kruste neben einander zu liegen kommen. So kann auch die tatsächliche Geoidform der Erde über das Schwerefeld genau bestimmt werden", erläutert Detlef Wolf.
->   Mehr über das Geoid in Wikipedia.de
Erde gleicht eher einer Kartoffel
Die über die Schwerevariation errechnete Form der Erde stelle sich laut Detlef Wolf nicht als eine mehr oder weniger ideale Kugel dar. Über topographische Effekte hinaus sei die Erde mit Unebenheiten bedeckt und gleiche in ihrer Gesamtform eher einer Kartoffel:

Wolf: "Das Schwerefeld weist globale, regionale und lokale Unregelmäßigkeiten auf, da die Masse sowohl in der Erdkruste als auch tiefer im Erdmantel und Kern nicht gleichmäßig verteilt ist. Diese inhomogene Massenverteilung im Inneren der Erde entsteht durch dynamische Prozesse wie Konvektionsströme im Erdmantel oder Plattenbewegungen in der Kruste."
->   Informationen zur Figur der Erde in Wikipedia.de
Anomalien durch große Erzlagerstätten
"Darüber hinaus können lokale Anomalien der Gravitation durch große Erzlagerstätten entstehen, deren spezifisches Gewicht höher ist als das des umgebenden Gesteins.

Die durch die inhomogene Massenverteilung im Erdinneren entstehenden großmaßstäblichen Beulen im Schwerefeld der Erde können vor allem an den Kontinentalrändern oder an verdickten kontinentalen Platten gemessen werden", gibt Detlef Wolf für die User von science.ORF.at Auskunft.
Einflüsse durch Himmelskörper
Zusätzlich gibt es noch gravitative Auswirkungen auf der Erde, die von Himmelskörpern ausgehen, wie Wolfgang Keller vom Geodätischen Institut der Uni Stuttgart für science.ORF.at erklärt. Denn der Mond erzeugt durch seine Massenanziehung einen Wulst, der an den Meeresküsten gemeinsam mit der Gravitation der Sonne bekanntermaßen Ebbe und Flut verursacht.

"In unseren Breiten hebt und senkt sich die Erdkruste dabei mit einer Amplitude von bis zu 40 Zentimetern, wobei die größten Beträge bei Vollmond oder Neumond erreicht werden. Die Erdbeschleunigung, die in mittleren Breiten 9.81 m/s2 beträgt, ändert sich dabei um 0.25 Millionstel dieses Betrags", quantifiziert der Stuttgarter Wissenschaftler diese Einflüsse.
Optische Täuschungen durch Gelände
Wie ein User bereits recherchiert hat, weiß vor allem Detlef Wolf, Geodät vom Geoforschungszentrum in Potsdam, zu berichten, "dass genaue Vermessungen eines Höhenprofils mit Hilfe hoch präziser satellitengestützter GPS-Systeme bereits an mehreren Stellen in Polen und Deutschland ergaben, dass die vermeintliche Richtung, in der Gegenstände, ja sogar Autos im Leerlauf "bergauf" rollten, in Wirklichkeit dem natürlichen Gefälle - also bergab - folgen."

"Somit ist es gar nicht notwendig eine Gravitationsanomalie als Erklärung für das beobachtete Verhalten von Gegenständen heranzuziehen. Vielmehr sind es die interessanten lokalen Gegebenheiten im Gelände, die ein flach abfallendes Straßenstück optisch als eine ansteigende Strecke erscheinen lassen", erklärt sich der Wissenschaftler auch die Beobachtungen in Italien.

Christoph Urbanek, 23.5.05
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->   Arbeitsgruppe für Gravitationsfeld und Erdmodelle am Geoforschungszentrum Potsdam
->   Institut für Geodäsie und Geoinformatik, Uni Stuttgart
Mehr über die Gravitation der Erde in science.ORF.at:
->   Gravitations-Karte: Die Erde als Erdapfel (25.7.03)
->   Physiker: Erdmagnetfeld beeinflusst Schwerkraft (24.9.02)
->   Quantenzustände im Gravitationsfeld (17.1.01)
 
 
 
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