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ORF ON Science :  Ask Your Scientist :  Umwelt und Klima 
 
Klimawandel: Letztlich bezahlt jeder einzelne  
  Der Klimawandel passiert und er kostet Geld - sowohl die Gegenmaßnahmen, als auch die Folgeschäden. Und es wächst die Erkenntnis: Das "polluter-pays"-Prinzip funktioniert nicht. Denn der kausale Nachweis, wer am meisten Veränderungen verursacht, lässt sich nur schwer führen. Letztendlich zahlen alle. Dennoch herrscht in vielen Ländern - so auch Österreich - besonders in Fragen der Kostendeckung von Folgeschäden wie Hochwasser, Dürreperioden oder Stürmen großer Handlungsbedarf.  
Wie letztendlich jeder für den Klimawandel zahlt, welcher Reformen es im Tragen der Folgeschäden bedarf und wie die Zusammenarbeit zwischen Staat, Versicherungswesen und einzelnem Bürger aussehen könnte, erklären Experten für die user von science.orf.at.
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Die Frage der Woche im Wortlaut
Martin C.: Wenn der Klimawandel wirklich so dramatisch ausfallen wird, wie es jetzt überall heißt, stellt sich auch die Frage, wer für die Schäden und Gegenmaßnahmen aufkommen soll. Nach dem Verursacherprinzip müsste man Betreiber von Kohlekraftwerken, Autofahrer, Industrie etc. belasten. Oder sollten die Staaten dafür zahlen und somit die Steuerzahler? (Persönlich sehe ich es nicht ein, warum ich für Drecksschleuder-Unternehmen zahlen soll oder für Häuslbauer, die ihre Häuser in hochwassergefährdeten Gebieten bauen.)
->   Zur Frage samt Diskussions-Forum
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Schwieriges Verursacher-Prinzip
Fix ist: Der Klimawandel kostet Geld - sowohl die Gegenmaßnahmen, als auch die Folgeschäden. "Beides zahlt in letzter Konsequenz jeder einzelne von uns", meint der Umweltökonom Franz Prettenthaler vom Joanneum Research-Institut für Technologie- und Regionalpolitik in Graz.

"Schließlich tragen wir alle zum gestörten CO2-Kreislauf und zur Erhöhung der Treibhausgase bei - der Hauptursache des Klimawandels." Das "polluter-pays" Prinzip ist nicht wirklich umsetzbar. Denn der kausale Nachweis, wer tatsächlich die großen Verursacher des Klimawandels sind, lässt sich nur schwer führen.
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Webuser "wotan2007"
"Um das Verursacherprinzip anwenden zu können, müsste man erst mal exakt beweisen können, wer nun wirklich der Verursacher ist! Man kann nicht abstreiten, dass sich das Klima auch ohne menschlichen Einfluss erwärmen könnte bzw. erwärmt. Dann müsste noch aufgeschlüsselt werden, wer wie viel Anteil am Klimawandel hat."
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Klagen am ehesten in USA
Prettenthaler ergänzt: "Der Nachweis einer lückenlosen Ursache-Wirkungskette von den CO2-Emissionen eines bestimmten SUV-Auspuffs über deren Klimawirkungen hin zu einem bestimmten Hochwasserschaden an der Thaya dürfte sich wohl sehr schwierig gestalten.

In den USA könnte es auf Grund der Gesetzeslage zur Produktionshaftung und der Tradition der Sammelklagen am ehesten dazu kommen, dass spezifische Firmen finanziell zur Verantwortung gezogen werden", so der Wissenschaftler.
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Risiko:dialog in Ö1
Dem Klimawandel widmet sich auch der erste Schwerpunkt des "Risiko:dialogs", einer neuen Initiative von Radio Österreich 1 und dem Umweltbundesamt.
->   Der jüngste Beitrag in oe1.ORF.at
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Kyoto-Protokoll: Verschmutzer müssen zahlen
Zumindest in den Industriestaaten wird jeder einzelne für den Klimawandel und seine Kosten aufkommen. In den Entwicklungsländern fehlt bei weitem das Kapital für ausreichende Gegenmaßnahmen ebenso wie für Folgeschäden.

Indirekt werden ohnehin die großen Verschmutzer mehr zur Kasse gebeten. Laut des Kyoto-Protokolls hat jedes der so genannten "Annex-1-Staaten" - also jener Industriestaaten, die verpflichtende Emissionsreduktionsziele haben - die Aufgabe, bis 2012 den ländereigenen CO2-Ausstoss zu senken - und zwar gemäß eines Prozentschlüssels, der sich am Emissionswert des Jahres 1990 orientiert.
Nichts zu tun, kostet noch mehr
Während aktive Klimaschutzmaßnahmen laut des 3.Teils des UNO-Klimaberichts nur 0,2 Prozent des Weltwirtschaftswachstums kosten und sogar mittelfristig das Wachstum steigern sollen, würde es 20 Mal teuerer kommen, nichts - oder nicht ausreichend - gegen den Klimawandel zu tun. Die Folgeschäden wären unermesslich.

Schon die Katastrophen-Ereignisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Kosten der Folgeschäden des Klimawandels immer mehr ansteigen", resümiert Versicherungsexpertin Johanna Weber von der Münchner RÜCK, der weltweit zweitgrößten Rückversicherungsgesellschaft. "Allein in den 90iger Jahren haben die großen Überschwemmungen volkswirtschaftliche Schäden von über 200 Milliarden US-Dollar verursacht. In Europa hat allein das Katastrophen-Hochwasser im Sommer 2002 über 20 Milliarden Euro gekostet. Lediglich 3,4 Milliarden Euro davon waren versichert." Den Rest tragen die Länder, Gemeinden und in letzter Konsequenz die einzelnen Betroffenen.
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Webuser "agentbluescreen"
"Im Endeffekt bezahlt sich's jeder selbst. Nehmen wir als Beispiel ein Hochwasser. Für Leistungen aus Versicherungen zahlen wir Prämien. Für Hilfsleistungen des Staates zahlen wir Steuern. De facto stehen wir allein da (pessimistisch betrachtet). Dass Versicherungen natürlich große Solidargemeinschaften darstellen und der Staat ebenso, ist natürlich nicht in Frage gestellt, aber es gibt eben 3 Hauptleidtragende an der Situation...Versicherer, Staat, Geschädigte."
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Mängel in der öffentlichen Vorsorge
Auch in Österreich haben sich speziell in den Hochwassersommern 2002 und 2005 akute Mängel in der öffentlichen Vorsorge ebenso, wie in der Schadensregulierung nach einer Katastrophe gezeigt. "In finanzieller Hinsicht ist Österreich ungenügend auf steigende Hochwasserrisiken vorbreitet", resümiert Prettenthaler die Ergebnisse einer Joanneum Research-Studie zur "Finanziellen Bewältigung von Naturgefahren".

"Trotz der enormen baulichen Anstrengungen zum Hochwasserschutz müssen wir uns als Gesellschaft auf steigende Schäden aus Hochwasser einstellen und finanzielle Vorsorge treffen."
->   Studie "Finanzielle Bewältigung von Naturgefahren"
Katastrophenfonds: Jedes Land andere Regelung
Konkret spielt der Umweltökonom auf den Katastrophenfonds an, der seiner Ansicht nach ungenügend auf die Situation abgestimmt ist. "Zum einen, weil es keine Kooperation mit privaten Versicherern gibt und zum anderen, weil die öffentlichen Rücklagen zur Schadensbewältigung einfach zu gering sind", so Prettenthaler.

Außerdem gäbe es zwar einen Katastrophenfonds, aber neun verschiedene Regelungen der Kompensation. "Denn die Länder entscheiden, wie viel sie dem Einzelnen zahlen", so der Experte. Deshalb "kann die Unterstützung für einen fiktiven Schaden von 19.000 Euro an einem Einfamilienhaus der Hochwasserkatastrophe 2002 zwischen 4.500 Euro in Kärnten oder 10.030 Euro in Salzburg schwanken - wobei 4.000 Euro von der Versicherung gedeckt wurden."
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Katastrophenfonds
Der Katastrophenfonds ist eine Art Pflichtversicherung, denn er wird durch Steuermittel gefüllt, zu denen jeder und jede seinen bzw. ihren Beitrag leistet. Konkret fließen 1,1 Prozent der Einkommens-, Lohn, Kapitalertrags- und Körperschaftssteuer in den Fonds. Laut Prettenthalers Berechnungen beläuft sich diese "Pflichtversicherung" für jeden Haushalt auf durchschnittlich 12 Euro, für jedes Unternehmen auf 50 Euro pro Jahr.
->   Mehr zum Katastrophenfonds (.pdf)
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Letztlich eine Frage der Solidarität
Bleibt nur noch die Frage zu klären, warum wir Steuerzahler in einen Katastrophenfonds einzahlen, der bislang meist nur einer ausgewählten Risikogruppe in hochwassergefährdeten Gebieten zugute gekommen ist? Dies ist wohl eine Frage der Solidarität. Außerdem weiß man heute nicht, wer morgen ebenfalls noch von der gemeinsamen "Pflichtversicherung" profitieren kann. Schließlich mag der Klimawandel noch so manche unangenehme Überraschung bereithalten!

Eva-Maria Gruber, 21.5.07
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->   Franz Prettenthaler
->   Müchner RÜCK
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