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Wie Meeresfische in den Gardasee kommen  
  Gibt es im Gardasee Sardinen - und wenn ja: Wie kommen sie dahin? So lauteten die aktuellen Fragen der Serie "Ask Your Scientist". Die Antwort auf Frage eins ist einfach: Eine Sardine im engeren Sinne gibt es im Gardasee zwar nicht, aber dafür eine Fischart, die wie die Sardinen zur Familie der Heringe gehört. Sie heißt Alosa fallax bzw. auf Deutsch: Finte.  
Frage zwei hat mit der speziellen Lebensweise der Vorfahren der Finte zu tun. Sie waren ursprünglich Meeresfische, die nur zum Laichen ins Süßwasser schwammen. Irgendwann blieben sie dort und tauschten das Wanderleben gegen ein sesshaftes Dasein.
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Die Frage im Wortlaut:
Andrea F.: "Hallo, wie kommt die Sardine, ein Salzwasserfisch, in den Gardasee und konnte sich dort adaptieren?"
->   Zur Frage samt Userforum
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Die Vorfahren: Sesshafte Wanderer
Unsere Leserin Andrea F. hat mit ihrer Vermutung, dass es eine Sardinenart im Gardasee gebe, nicht ganz recht, aber fast. Tatsächlich lebt ein relativ naher Verwandter aus der Familie der Heringe in dem in der Poebene gelegenen Süßwassersee. "Es handelt sich dabei um Alosa fallax, zu Deutsch: Finte", sagt Rudolf Hofer vom Institut für Zoologie der Uni Innsbruck, der selbst einige Jahre an Italiens größtem See geforscht hat.

"Die Finte ist ein heringsartiger Fisch, der ursprünglich als Wanderfisch lebte - ähnlich wie etwa der Lachs, der ebenfalls im Salzwasser lebt und nur zum Laichen ins Süßwasser wandert. Nur sind eben die Vorfahren der Finte im Lauf der Naturgeschichte stationär geworden und leben nur mehr im Süßwasser."

Zur Präzisierung muss man noch erwähnen, dass die Art Alosa fallax mehrere Unterarten hat, von denen sich zwei an das Leben im Süßwasser angepasst haben. Alosa fallax killarnensis ist in irischen Seen heimisch, Alosa fallax lacustris - jener Fisch, um den es hier geht - hingegen in Italien.

"Man findet die Finte nicht nur im Gardasee, sondern auch in anderen italienischen Seen", sagt Hofer: "Beispielsweise im Lagio maggiore, im Luganersee und im Lago di Como, dem Comer See."
Zwischen Salz- und Süßwasser
Fische, die im Salzwasser leben, aber zum Laichen ins Süßwasser schwimmen, nennen Zoologen anadrome Fische. Das Wort leitet sich vom von griechischen Wort "anadrome" ab und bedeutet "das Hinaufsteigen".

Das Phänomen ist zwar relativ verbreitet - Lachse, Saiblinge, Störe, Stichlinge und viele andere sind etwa anadrom - aber dennoch erstaunlich: Denn die Lebensweise im Salz- und Süßwasser könnten unterschiedlicher nicht sein.

Im Salzwasser haben Fische mit Wasserverlust und dem Eindringen von Salzen zu kämpfen, im Süßwasser ist es genau umgekehrt: Hier müssen sie Wassereinstrom und Salzverlust verhindern.
Ionentransport kostet Energie
"Salzwasserfische trinken Meerwasser und scheiden Ionen aktiv über die sogenannten Chloridzellen der Kiemen sowie über die Nieren ab", erklärt Friedrich Schiemer vom Department für Limnologie und Hydrobotanik der Uni Wien. Im Süßwasser wird hingegen stark verdünnter Harn abgegeben sowie Salz aktiv aufgenommen - wiederum über Nieren und Keimen.

Die beteiligten Organe für den Salz- und Wasserhaushalt sind also unter Süß- und Salwasserbedingungen die gleichen, wobei wichtig ist: Aufnahme bzw. Abgabe von Stoffen entgegen einem natürlichen Gradienten gibt es nicht gratis, sondern kosten Energie. Ob das Überleben im Süß- oder Salzwasser möglich ist, hängt nicht zuletzt von den Energiereserven ab.

Allerdings gilt hier eine Einschränkung: "Es gehört schon die entsprechende physiologische Ausstattung dazu", betont Schiemer. "In der Gruppe der Heringsartigen, zu der die Finte gehört, ist das Wechseln zwischen Süß- und Salzwasser durchaus verbreitet, andere Gruppen sind dazu hingegen gar nicht imstande."

Auf physiologischer Ebene bedeutet das: Ohne die entsprechenden Ionenpumpen in den Organen hilft auch der größte Energieüberschuss nichts. Und die sind eben bei manchen Fischgruppen vorhanden, bei anderen nicht.
Wo die Krokodilstränen herkommen
Der Einsatz von Nieren und Kiemen ist im Übrigen nicht die einzige Strategie, das Übermaß an Salz im Meer zu kontrollieren. Marine Reptilien und Vögel trinken Salzwasser und scheiden die überflüssigen Ionen durch spezielle Salzdrüsen aus, und zwar in Form stark konzentrierter Flüssigkeiten.

Das ist vermutlich das biologische Gegenstück zu den sprichwörtlichen Krokodilstränen. Allerdings liegen die Salzdrüsen nur bei den Meeresschildkröten direkt beim Auge, bei den Vögeln liegen sie darüber und bei Krokodilen ganz woanders, nämlich auf der Zunge.
Langstrecke in den Gardasee
Bleibt noch zu klären, auf welchem Weg Alosa fallax lacustris in den Gardasee kam: Heute ist der Lago di Garda über seinen Abfluss Mincio sowie den Po mit der Adria verbunden - und viel direkter wird die Verbindung mit dem Meer auch in früheren Zeiten kaum gewesen sein.

Denn: "Der Gardasee entstand vor etwa 10 bis 12.000 Jahren durch das Abschmelzen von Gletschern, ähnlich wie das auch beim Wolfgang- und Attersee der Fall ist", so Schiemer: "Salzwasser durch eine direkte Verbindung zum Meer gab es jedenfalls im Gardasee niemals."

[science.ORF.at, 5.9.07]
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