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Lotuseffekt: Mit Nanotech Schuhe imprägnieren  
  Es ist kein Werbetrick: Es gibt tatsächlich Sprays zum Imprägnieren von Schuhen auf Basis von Nanotechnologie. Die Industrie macht sich dabei den so genannten Lotuseffekt zunutze: Durch die Strukturierung eines Materials mit Nanopartikeln wird seine Oberfläche - wie bei der Lotusblüte- Wasser abweisend und selbstreinigend.  
Ob derartige Nanopartikel auch unerwünschte Nebenwirkungen für Gesundheit und Umwelt haben, lässt sich nach derzeitigem Wissensstand noch nicht mit Sicherheit sagen.

Nanotechnologie hat also in Alltagsprodukten bereits Einzug gefunden. Wie "nano" in Schuhputzsprays reinkommt, ab wann man überhaupt von Nanotechnologie spricht und wie hoch die Gesundheits- und Umweltrisiken nun tatsächlich sind, klären Experten im Rahmen der aktuellen Frage von "Ask Your Scientist".
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Die Frage im Wortlaut
Andrea K.: Auf der Verpackung meines Schuhsprays stehen Aussagen wie "Nano-Nässe-Blocker", "Selbstreinigungseffekt durch Nanotechnologie" sowie "Nanotechnologie schützt Leder sicher vor Nässe und Schmutz". Ist das alles ein Verkaufstrick oder stimmt das? Und wenn ja: Kann ich meinem Kind wirklich zumuten, dass seine Stiefel mit einem "Nanospray" behandelt werden - bestehen hier nicht Risiken?
->   Die aktuelle Frage (samt User-Forum)
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Ausnutzung des Lotus-Effekts auf Schuhen
"Tatsächlich gibt es bereits diese Schuhschutzsprays mit Nano-Nässe-Blocker", erläutert die Physikerin Ille Gebeshuber von der TU Wien. "Man macht sich dafür ein Phänomen aus der Natur zunutze - den so genannten Lotuseffekt."

Dessen Ursache liegt in einer besonderen Oberflächenstruktur - wie man sie eben auch von der Lotusblüte her kennt: "Durch eine im Nanometerbereich speziell aufgebaute Oberflächenstruktur der Pflanze können Wassertropfen darauf nicht mehr so gut haften und reißen gleichzeitig ebenfalls schlecht haftende Schmutzpartikeln mit", führt die Expertin aus.

"Denselben Effekt imitiert man nun bei Alltagsmaterialien wie eben bei Schuhen, aber auch bei Fassadenfarben, Reinigungsmittel oder Sonnencremen: Um diese spezielle Struktur auf anderen Materialien zu erreichen, wird die Oberfläche mit speziellen Nanopartikeln strukturiert. Man erreicht damit Beschichtungen, die superhydrophob - also sehr stark Wasser abweisend - sind. Dadurch perlt Wasser an Schuhen einfach ab und Schmutz lässt sich weitaus leichter entfernen."
Natürliche Phänomene
"Die besonderen Effekte im Nanometerbereich sind grundsätzlich keine Erfindung aus dem Labor, sondern natürliche Phänomene aus der Natur", erklärt der Molekularbiologe Helge Torgersen vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der österreichischen Akademie der Wissenschaften.

"Ebenso wie bei der Lotusblüte kennt man nanostrukturierte Oberflächen auch bei Kohl, Kapuzinerkresse sowie Libellen- und Schmetterlingsflügeln. Nanopartikel entstehen auch bei Verbrennungsprozessen wie beim Heizen, beim Autofahren oder bei Vulkanausbrüchen."

Dies stellte auch Webuser "solidstate" fest: "Nanotechnologie - Zwergentechnologie - gab's schon lange bevor das Wort erfunden wurde. Sogar in der Natur ist vieles 'nano'."

Und Webuser "xx13" ergänzte: "Nanotechnologie umfasst so entfernte Gebiete wie Materialphysik, KI-Robotik, Chemie und Molekularbiologie (...) und die Gemeinsamkeit ist der Größenbereich, in dem sich die Mechanismen und Techniken abspielen. Was trivial ist, da 'nano' eben der Bereich der Atome und Moleküle ist, sich daher viele Dinge nur hier abspielen können."
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Was ist "nano"?
"nano" ist die griechische Bezeichnung für "Zwerg". Die Vorsilbe "nano" bedeutet 10 hoch minus neun Meter, ein Nanometer (nm) ist also ein Milliardstel Meter. Als Vergleich: Der Punkt über dem "i" hat ungefähr einen Durchmesser von einer Million Nanometern.
->   Nanotechnologie: Revolution oder Risiko? (26.9.07)
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Andere Eigenschaften als die Makrowelt
"Materialien im Nanometerbereich weisen Eigenschaften auf, die sich komplett von jenen unterscheiden, die beim selben Material in makroskopischer Größe auftreten", so Gebeshuber.

Als Beispiel: Ein Klumpen Silber ist nicht toxisch - im Gegensatz zu Silber-Nanopartikeln, die in der Lage sind, bei Kontakt Viren abzutöten, weil diese Substanzen besonders kleinkörnig - also im Nanometerbereich - sind.

Aus nano-winzigen Kohlenstoff-Röhrchen entsteht beispielsweise ein Werkstoff, der 100 Mal fester als Stahl, aber viel leichter ist. Tatsächlich können sich Materialeigenschaften wie elektrische Leitfähigkeit, Farbe, Stärke und Gewicht auf Nanometerebene verändern.

"Das Faszinierende am Nanometerbereich ist, dass es sich dabei um einen Grenzbereich handelt, in dem die Oberflächeneigenschaften gegenüber den Volumeneigenschaften der Materialien eine immer größere Rolle spielen und zunehmend quantenphysikalische Effekte berücksichtigt werden müssen", ergänzt die Physikerin.
Kann nicht-giftige Substanzen giftig machen
Ob die Anwendung von Nanotechnologie gesundheitliche und Umwelt-Risiken in sich birgt, lässt sich nach derzeitigem Wissensstand nicht eindeutig sagen. Die Nanoforschung gibt es zwar bereits seit den 1970-er Jahren, direkte technologische Anwendungen im Alltagsbereich aber erst seit wenigen Jahren. Dementsprechend ist die Forschungslage auch noch sehr dünn.

"Es gibt wenige Belege aus Zellkultur- Untersuchungen, die zeigen, dass Nanopartikel Risiken für die Atemwege haben oder Tumorbildung auslösen können", führt Torgersen aus. Signifikant in allen Untersuchungen ist die Tatsache, dass Zellen und Organe plötzliche eine toxische Reaktion bei normalerweise nicht-giftigen Substanzen zeigen können, wenn diese in einer wirksamen Dosis im Nanometer-Bereich verwendet werden.

"Allerdings lassen sich diese wenigen Fakten noch nicht auf den Menschen übertragen", so der Risikoforscher. "Dazu braucht es nicht nur mehr Analysen, sondern auch mehr auf die Anwendungsbereiche angepasste Versuchsmodelle."
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Veranstaltung zum Thema
Wie das Risiko durch die Verwendung von "Nano" im Alltag thematisiert werden kann, wird am 5. Dezember bei einer Podiumsdiskussion in Wien diskutiert.
->   Mehr zu der Veranstaltung
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Fragen für Gesundheit noch ungeklärt
Wie geht der Konsument nun mit Nanotechnologie-Produkten um? "Erstmal ist festzuhalten: Es ist nicht immer 'nano' drin, wenn 'nano' drauf steht - das ist auch viel Verkaufsstrategie dahinter. Schließlich ist 'nano' auch ein Trend", so Torgersen.

Ille Gebeshuber ergänzt: "Natürlich werden auch diese Produkte nach EU-Richtlinien auf bestimmte Gesundheitsrisiken und auf ihre Verträglichkeit getestet, bevor sie auf den Markt kommen."

Das Problem ist allerdings: "Diese Untersuchungen erfolgen nach dem Maßstäben gängiger Technologien und Materialien, die sich auf den Nanometerbereich aber nicht übertragen lassen", erklärt Torgersen.
Wissenschaft kooperiert mit Technikfolgen-Abschätzung
"Die Risikoforschung ist erst im Anlaufen. Es gibt ja auch noch für die Nanotechnologien keiner Normierung. Jedes Unternehmen geht anders mit dem Einsatz von 'nano' um. Für Nanotechnologien gibt es noch keine Standards und Regulierungen, wie bei anderen Substanzen und Technologien."

Das Besondere ist allerdings: "Im Gegensatz zu Themen wie der Gentechnik arbeiten die Naturwissenschaft und die Technikfolgen-Abschätzung bei dieser Technologie erstmals von Anfang an zusammen", resümiert Gebeshuber.

"Damit erforschen wir gleich von Beginn nicht nur den Nutzen der Nanotechnologie, sondern auch die Risiken und die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine Anwendung. Damit können wir von vorne hinein besser sowohl falsche Hoffnung, als auch übertriebene Panik verhindern."

Eva-Maria Gruber, 4.12.07
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->   Internationale Plattform zu Nanotechnologie
->   Nanotechnologie und EU
 
 
 
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