Host-Info
Hazel Rosenstrauch
Kulturwissenschaftlerin und Wissenschaftspublizistin, ehem. Redakteurin der Zeitschrift "Gegenworte - Zeitschrift für den Disput über Wissen"
 
ORF ON Science :  Hazel Rosenstrauch :  Wissen und Bildung 
 
"Theaterkritik" für Wissenschaftskommunikation  
  Seit ungefähr zehn Jahren sind deutsche und österreichische Wissenschaftler mit einer zuvor nicht gekannten Intensität dabei, ihr Denken und Tun der Öffentlichkeit vorzustellen. Es gehört zur deutschen und - wenn auch mit manchen wichtigen Unterschieden - zur österreichischen Wissenschaft, dass sie lange Zeit im Abseits gedieh.  
Der Kick für diese Öffnung ging von Naturwissenschaften aus, die Nachwuchs und sehr viel Geld brauchen; die Initiativen von Ministerien, Universitäten und Wirtschaft haben sich auf alle Fächer ausgewirkt, auch Sozialwissenschaftler oder Philologen drängen heute hinaus ins Freie - der Not, den Geldströmen oder auch einer Überzeugung gehorchend.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Sprechen Sie Wissenschaft?
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Der "Nutzen" von Öffentlichkeit
Es ist jedenfalls nicht mehr, wie noch vor zehn Jahren, unter "seriösen Wissenschaftlern" verpönt, in die Öffentlichkeit zu gehen, auf Podien, in Tageszeitungen oder gegebenenfalls auch im Theater über ihr Gewerbe zu reden; selbst Germanisten nehmen das Wort "Nutzen" inzwischen ohne Scheu in den Mund (man muß ihn, den Nutzen, nur entsprechend interpretieren).

Das Geld, das Ministerien und Forschungsinstitute in die Hand genommen haben, hat auch neue Profile, Tätigkeitsfelder und Begierden kreiert, es entstehen neue Berufe und Studiengänge und Agenturen.
Inhalt oder Legitimation?
Ein Großteil der Veranstaltungen, die ich im vergangenen - den Geisteswissenschaften gewidmeten - Jahr besuchen durfte, ist von Leuten aus der Politik und dem Wissenschaftsmanagement, von Funktionären und Werbemenschen bespielt worden. Vieles erinnert an die repräsentativen Veranstaltungen zur Verleihung von Preisen, bei denen zuallererst die Institutionen angepreist und gepriesen werden. Wie zuvor Künstler und Schriftsteller, werden nun auch Wissenschaftler und -innen aufs Podium gesetzt, sie dürfen diskutieren, hinterher gibt es Brezeln und Wein.

Ich überlege mir oft, was da passiert. Ist es eine öffentliche Debatte über Wissenschaft, wie sie in den Programmen steht? Oder wird der sogenannten Öffentlichkeit mit PowerPoint und haptischen Elementen etwas vorgespielt, um die öffentlichen Ausgaben in teure Gerätschaften zu legitimieren? Wird über Wissenschaft kommuniziert, wird gar Wissenschaftliches ins unwissende Volk getragen? Die Events werden zwar evaluiert, aber meist geht es dabei um die Zahl der Besucher, die den Erfolg belegen, alles andere ist schwer zu messen.
Wissenschaft erfolgreich entmystifiziert
Zu den weniger messbaren Erfolgen gehört, dass Wissenschaft entmystifiziert wird, sie ist nicht mehr das Ferne, Hehre und Höhere, das im Zweifelsfall Angst macht; auch wird nebenher an dem Nimbus von Professoren gekratzt, sie können nicht mehr tun und lassen, was sie wollen, und das hat positive wie auch negative Wirkungen; in manchen Instituten, in denen das nicht üblich war, hat die Außendarstellung dazu geführt, dass innen miteinander geredet wird.

Zu den vielversprechenden Nebeneffekten gehört auch eine sich verändernde Sozialisation von Wissenschaftlern - der Nachwuchs, der hier mit Politikern, da mit Journalisten und dort mit geldvergebenden Managern verhandelt oder sich präsentieren muss, kann sich Fachidiotie nicht mehr leisten; durch die vielen Aktivitäten, meist mehr werbender als intellektueller Natur, wurde Wissenschaft zunehmend in den Alltag und in die Gesellschaft integriert.
Fehlende "Theaterkritik" für Wissenschaftskommunikation
Derlei Umschulung geht langsam vor sich und noch oft auf Kosten der wissenschaftlichen Arbeit, aber es kommen Gespräche in Gang und es werden Grenzen überschritten, wo vor ein paar Jahren noch hohe Mauern aus Dünkel und ständischen Ritualen den Zugang zu den (technischen, naturwissenschaftlichen und philosophisch-kulturellen) Wissenschaften verstellt haben.

Das Feld ist beackert, es blühen allerlei Science Centers und Kinder-Unis, man experimentiert mit Physik im Kindergarten, die Tage der offenen Türen sind gut besucht (und eine hohe nervliche Belastung fürs Personal). Es wird heute sehr viel mehr Geld als früher ausgegeben, um wissenschaftliche Ergebnisse nicht nur zu publizieren, sondern öffentlich zu machen. Schade, dass es nicht so etwas wie eine Theaterkritik für Wissenschaftskommunikation gibt.
Andere Art der Evaluierung
Wenn es sie gäbe, würden sich vielleicht nach und nach Maßstäbe für eine andere Art von Evaluierung entwickeln. Kritische Beobachter könnten zum Beispiel fragen: Wird dem Publikum nur was vorgespielt oder hat die Präsentation auch Inhalt? Werden die Zuhörerinnen und Zuschauer ernst genommen oder komplexes Wissen 'heruntergebrochen' (eine der Lieblingsvokabeln von Wissenschaftsvermittlern und klingt nicht nur nach Erbrochenem), bleiben Fragen offen oder tut man noch immer so, als hätten die Gelehrten alle Antworten? Wie steht es mit der Arroganz und welcher Sprache befleißigen sich die Belehrenden?

Die Kritiker würden beurteilen, ob etwas vermittelt wird, ob es um echte Diskussionen geht oder etwas verkauft wird, Top down oder Augenhöhe, Gespräch oder Präsentation. Es gehört ja zu den Merkwürdigkeiten dieser verspäteten Demokratisierung, dass in dieser Branche nicht selten Extremisten am Werk sind: Entweder sie reden furchtbar kompliziertes, unverständliches Zeug oder sie werden total populär, so richtig einfach, wie sie sich das Volk schon immer vorgestellt haben.
Mehr Vielfalt und Differenzierung erwünscht
Wenn unsere "wissensbasierte Gesellschaft" die Früchte all der Bemühungen ernten, Akzeptanz und Studierende gewinnen will, wäre den Protagonisten zu wünschen, dass die Gerätschaften, Redeweisen und Orte der Begegnung vielfältiger und differenzierter würden.

Auch ohne konservativ zu sein, möchte ich der Debatte um Werte den altmodisch-geisteswissenschaftlichen Anspruch beigesellen, dass weniger Werbung und mehr gescheite Vorführungen mit glaubwürdigen Personen auf dieses Feld geschickt werden - weil sonst die Wissenschaft diskreditiert statt gefördert wird.

[25.2.08]
Mehr zur Serie "Sprechen Sie Wissenschaft?":
->   Die Karriere des Begriffs "Kommunikation" (15.2.08)
->   Sprechen Sie Wissenschaft? (11.2.08)
->   Alle Beiträge von Hazel Rosenstrauch auf science.orf.at
 
 
 
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