Host-Info
Hazel Rosenstrauch
Kulturwissenschaftlerin und Wissenschaftspublizistin, ehem. Redakteurin der Zeitschrift "Gegenworte - Zeitschrift für den Disput über Wissen"
 
ORF ON Science :  Hazel Rosenstrauch :  Wissen und Bildung 
 
Gehört die Wissenschaft zur Kultur?  
  Die ''harte'' Wissenschaft ist unter ethischen, ökonomischen oder futuristischen Gesichtspunkten mehr denn je zu einem öffentlichen Thema geworden. Gehört sie, die lange Zeit autonom im Verborgenen wirkte, damit schon zur Kultur?  
Die Frage ist lächerlich - oder?
Wie alle Fragen, die mit Wissenschaft zu tun haben, ist natürlich auch diese viel zu komplex, um von einem Laien beantwortet zu werden. Außerdem ist eine solche Frage lächerlich. Natürlich gehört sie, ist sie eine der größten Kulturleistungen, ohne sie kein Fortschritt, der moderne, auch der postmoderne Mensch hat von morgens bis abends, vom Haarwasser bis zur Fußpilzcreme, von der Wurstsemmel bis zum Omnibus täglich mit Wissenschaft zu tun. Wahrscheinlich wäre es sogar korrekter zu sagen, es gibt heutzutage überhaupt keine Kultur ohne Wissenschaft.
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Wissenschaft gehört zur Alltagskultur
Schauen wir uns die Medien an. Da finden wir Wissenschaft nicht nur auf den laufend sich erweiternden Wissenschaftsseiten, auch im Feuilleton, auf den Seiten für Politik, bei den Aktienkursen und im Sportteil (Doping!).

Auch scheint es - eine bemerkenswerte Veränderung im Verhältnis von Wissenschaft und Kultur - heutzutage Wissenschaftlern kaum mehr bei ihrer Karriere zu schaden, wenn sie sich auf Zeitungsseiten äußern (womöglich sogar verständlich, gern auch mit Konterfei oder geföhnt im TV, wo der Verschleiß von Experten besonders hoch ist.).
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Kulturbetrieb und Hochkultur
Wissenschaft gehört also auch zum Kulturbetrieb, Tendenz steigend. Wir werden in diesem ''Jahr der Lebenswissenschaften'' noch unsere wissenschaftlichen Wunder erleben bei multimedial aufgemotzten Events.

Sofern es derlei noch gibt, gehört Wissenschaft selbst-verständlich zur Hochkultur, auch wenn selbst hier die Grenzen zwischen U- und E-Kultur schwinden. Man merkt es an der Kleidung (dunkle Dreiteiler), am Schmuck der Ehefrauen und an gediegenen Räumen; ich möchte als fleißige Besucherin wissenschaftlicher Veranstaltungen sogar behaupten, daß Wissenschafts-Events das vernachlässigte Bedürfnis nach einer Hochkultur, die sich vom gewöhnlichen Volk abhebt, befriedigen könnte.
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Allgegenwärtige Wissenschaft
Damit bin ich trotz aller Schwierigkeiten, die der Umgang mit dem Wort Kultur (Sie wissen schon, alles ist Kultur, Eßkultur, Autokultur, Stadtteilkultur, Kulturkultur) mit sich bringt, beim Fragezeichen.

Wenn Wissenschaft im Kulturbetrieb, in der Politik (die letztlich für alle wichtigen Entscheidungen über Genfood und neue Uni-Abschlüsse verantwortlich ist) in Ausstellungen und in der Bildzeitung präsent ist, was fehlt dann?
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Spezialisierung ist auch Abschottung
Mit der Literatur hatte sich auch eine Literaturkritik entwickelt, in der Kunst leben heute mehr Leute vom kritischen Kommentieren, als von Kunstwerken, es gab und gibt (wenn auch in eher homöopathischen Dosen) Medien, Diskussionen und Preise, d.h. auch einen Markt, auf dem das Gewerbe der Kritik vorangetrieben wird.

Wissenschaft aber ist so komplex, in Spezialgebiete aufgeteilt, von kaum nachvollziehbaren Kenntnissen und Begriffen geprägt, daß niemand außer den voneinander abhängigen Fachleuten sie zu kritisieren vermag - bzw. wagt, solange er nicht seine C4 Professur oder den Nobelpreis hat.
Sprachkultur für Wissenschafter
Und solange es keine Medien gibt, die aus der Distanz und wenigstens ansatzweise unabhängig berichten können, gehört sie nicht zur Kultur. Sofern Wissenschaftler nicht eine Sprache finden, die (ohne ihre Adressaten für blöd zu verkaufen) über die Kürzel ihres Faches hinaus reicht, gehört sie nicht zu einer Kultur, die wenigstens potentiell von Interessierten geteilt werden kann.
Rationalität und Neugier
Sofern nicht diskutierbar ist, daß Wissenschaft samt ihren Mythen von Autonomie, Wertfreiheit und Wahrheitstreue fest verschnürt ist mit allem anderen, was die Welt bewegt, gibt sie ihren Anspruch auf Rationalität und Neugier auf. Keine Ratio ohne den Prozeß der Einigung über die Maßstäbe, keine Forschung, ohne die Neugier, den Gegenstand in seinem Umfeld zu betrachten. Und keine Kunst, wo nicht ein prüfendes und fragendes Subjekt dahinter steckt.
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Aus der Geschichte des Kulturbetriebs samt Literatur-, Musik- oder Shoabusiness ließe sich lernen, daß die beliebige Ausweitung des Kulturbegriffs alle Maßstäbe in Frage stellt. Das könnte für alle Betroffenen gut sein, zumal wenn zusätzlich ein alter, enger Kulturbegriff endlich auch auf die Wissenschaft angewandt würde.
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Publikum als Experten?
Das per definitionem inkompetente Publikum, oft selbsts Experten auf dem einen oder anderen kleinen Gebiet könnte, wenn die Mythen erst einmal zerstört sind, Methoden der Kunst, auch des Kunstbetriebs hervorholen und damit experimentieren: Blickrichtungen verwirren, Fragen anders stellen, z.B. nicht nur andächtig horchen, ob Gentechnik gut ist oder schlecht, sondern um den Gegenstand herumgehen, vielleicht fragen, für wen, mit welchen Gewinnspannen sie gut ist (ob man von der Politik lernend auch von Forschern eine Offenlegung der Einkünfte, Firmenbeteiligungen, Aktienbesitz verlangen könnte?).
Fachwissen anders nutzen
Wenn erst einmal der Damm der alleinseligmachenden Zuständigkeit gebrochen ist, könnten womöglich Kulturkritiker frei nach Brecht fragen: wie könnte man das Fachwissen anders nutzen, wer bestimmt über die Forschungsgelder, unter welchen Bedingungen arbeitet ein Laborknecht, wer wählt die Handvoll älterer Herren, die über Anwendung und Ausstattung von Wissenschaft bestimmen?

Sobald es eine solche Diskussion über Wissenschaft gibt, kann man anfangen, von Wissenschaft als Teil unserer Kultur oder gar von Wissenschaft im Dialog zu reden.
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