Host-Info
Birgit Sauer
Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Birgit Sauer :  Gesellschaft 
 
Taxi Orange: Politische Bildung zur Primetime?  
  "Taxi Orange" war eine Unterhaltungssendung, zwar ohne "Sex and Crime" und ohne Spannung, aber mit dem Flair des Authentischen. Und TXO hat Stars geboren, die ebenso "echt" wie die Teenage-Fans sind. TXO ist aber nicht nur ein Fall für Teeny-Magazine, sondern auch für die Wissenschaft.  
Wissenschaftliche Aufarbeitung des Fernsehformats "TXO"
Nachdem die orangefarbenen Taxen nicht mehr durch Wien fahren und der ORF keine weiteren TV-Ausfahrten mehr plant, wird es Zeit, dass sich die Wissenschaft mit dem Phänomen des österreichischen Reality-TVs auseinandersetzt. Was macht den Reiz des Sendeformats aus? Welche gesellschaftspolitischen Rückschlüsse lassen sich aus dem Reality-Soap-Fieber ziehen? War TXO ein politisches Fernsehformat?
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Buch und Enquete
Am 26. 9. wird das von Eva Flicker herausgegebene Buch: "Wissenschaft fährt Taxi Orange. Befunde zur österreichischen Reality-TV-Show" im Kutscherhof präsentiert.
Am 27. und 28. 9. findet in Wien eine internationale kulturwissenschaftliche Enquete statt:
Realities. Fernsehkultur der Spätmoderne.
->   Informationen über die Enquete
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TXO als politisches Bildungsprogramm?
Die austrifizierte Reality-Show TXO war eine Soap mit kommerziellem und - wie es dem Sendeauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens entspricht - mit einem Bildungsauftrag: Mit TXO sollte nämlich, so die Programmacher, ein "differenzierter Zugang zu interessanten Themen, die Österreichs Jugend beschäftigen, geschaffen werden", es sollten "spannende und lehrreiche Diskussionen" um "Gemeinschaft und Solidarität", "Umwelt, Ernährung, Wirtschaft" oder "Männer und Frauen" initiiert werden.
Gegengift für politisches Desinteresse?
Sollte also mit "Taxi Orange" ein Gegengift gegen das heimtückische Virus des politischen Desinteresses, das die österreichischen Jugendlichen infiziert hat, geschaffen werden? Oder sollten die von Kanzler Schüssel als "Internet-Generation" bezeichneten Anti-Regierungs-DemonstrantInnen frühzeitig - bevor sie sich an den Demonstrationen beteiligen - durch die öffentlich-rechtliche Reality-Show politisch "eingeholt" werden? Oder ist TXO doch nur purer Ausdruck von Entpolitisierung?
Ist das Private politisch?
Hier scheiden sich die wissenschaftlichen Geister. Für die einen ist das "Realitätsfernsehen" die höchste Stufe des "Politainment" (Andreas Dörner). Es sei gleichsam die feindliche Übernahme des Politikbereichs durch das Unterhaltungsformat. Die anderen wiederum interpretieren das, was TXO zeigt, als politisches Handeln an sich - gemäß dem Motto: "Das Private ist politisch".

Die beiden Positionen sind richtig und falsch zugleich, wenn man sie als Anti-Thesen begreift. Eine andere Lesart von TXO ist die folgende.
TXO als Pop-Politik
Öffentlichkeit und Politik werden durch das Reality-Format nicht aufgelöst, sondern in Form einer neoliberalen Re-Politisierung neu geschaffen. "Taxi Orange" öffnete einen pop-politischen Raum, der durchaus eine gewisse Nähe zum populistischen Politikraum besitzt.
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Pop-Politik des Echte-Leute-Fernsehens kreiert einen neuen gesellschaftlichen Handlungsraum jenseits gewohnter staatlicher Sicherheiten und sie konstruiert neue BürgerInnen, die sich selbst entwerfen und selbst "regieren" müssen (Michel Foucault).
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Ent-Politisierung?
Diese Neuformatierung des Politischen im Echtmenschenformat kann unter neoliberalen Konditionen sehr wohl Ent-Politisierung zur Folge haben. In der Polity-Soap TXO entsteht nämlich eine "serielle" Zivilgesellschaft - also keine parallele, die gemeinsam politisch handelt -, eine Zivilgesellschaft, die entpolitisierte und entpolitisierende Handlungsweisen in die Welt setzt.
Dazugehören und Ausschließen
"Bowling alone" ist der Titel eines vieldiskutierten Buches von Robert Putnam über die Vereinzelung der Menschen und den Verlust des Vertrauens in soziale und politische Institutionen. Beim Soap-Konsum stellt sich nun offenbar die Gewissheit ein, dass in Zeiten des permanent geforderten Wandels und ständigen Selbstentwurfs der eigenen Person etwas konstant und vertraut ist: die tägliche Soap, zu er man als "echter Mensch" ja irgendwie dazu gehört - "Du bist dabei" ist der Grundpfeiler "oranger" Identität.
Ahnung vom Ausschluss
Diese Sicherheit des Dazugehörens wird lediglich durch die Ahnung vom Ausschluss getrübt. Die Modellcharaktere im Kutscherhof wurden belohnt oder bestraft - durch die Macht des Publikums. Der Zuschauer konnte sich zum Herrn der Situation aufspielen. Dies ist ein neuartiger Zugriff auf die Welt: "Interaktivität" wird in das Prozedere des Ausschlusses kanalisiert. So kann man die Funktionsweise der Gesellschaft unter globalen Konkurrenzbedingungen spielend vor dem Fernsehen erfahren und erlernen.
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Zum Nach- und Weiterlesen
Literaturhinweise:
DÖRNER, Andreas: Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. (Suhrkamp) Frankfurt/M. 2001
FOUCAULT, Michel: Der Mensch ist ein Erfahrungstier. Gespräch mit Ducio Trombadori (Suhrkamp Verlag) Frankfurt/M., 1996
PUTNAM, Robert: Bowling alone (Princeton University Press) Princeton 1999

Wer weitere Interpretationen und Lesarten von Taxi Orange" kennenlernen möchte, dem sei folgendes druckfrisches Buch empfohlen: Eva Flicker (Hg.): Wissenschaft fährt "Taxi Orange". Befunde zur österreichischen Reality-TV-Show, Wien (Promedia) 2001, 240 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 285,00 öS

Dr. Eva Flicker ist Soziologin am Institut für Soziologie der Universität Wien.
->   Institut für Soziologie
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