Anita Traninger
Institut für die Wissenschaften vom Menschen
 
ORF ON Science :  Anita Traninger :  Gesellschaft 
 
Das Jahrhundert der Avantgarden  
  Seit ihren Anfängen in der frühen deutschen Romantik versteht sich die Avantgarde als "Stoßtrupp" des Neuen, Nie-Dagewesenen, Unerhörten, der Freiheit und des Fortschritts. Cornelia Klinger (Permanent Fellow, Institut für die Wissenschaften vom Menschen - IWM) und Wolfgang Müller-Funk (University of Birmingham) schreiben für science.orf.at zum Konzept einer internationalen Konferenz an diesem Wochenende in Wien.  
Kunst als Vorhut des Fortschritts
In den Begriff der Avantgarde ist bereits das geschichtsphilosophische Credo der Moderne eingeschrieben. Mit der Metapher des Avantgardistischen wird offensiv ein Terminus aus der Kriegsführung in die Geschichte übertragen: Im Heerzug der Moderne gegen ihre Feinde soll die Kunst die Vorhut des Fortschritts gegen die Tradition bilden.
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Das Jahrhundert der Avantgarden
Internationale Konferenz des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) mit Unterstützung durch die Stadt Wien (MA 7) und die ÖBV
30. November - 2. Dezember
1010 Wien, Atrium der Österreichischen Beamtenversicherung, Grillparzerstraße 11
->   Programm
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Der Stoßtrupp des Neuen
Seit ihren ersten Anfängen in der frühen deutschen Romantik ist die Avantgarde den grossen Narrativen der Moderne verpflichtet gewesen. Sie versteht sich als Stoßtrupp des Neuen, Nie-Dagewesenen, Unerhörten, der Freiheit und des Fortschritts. Gleichwohl stehen die ästhetischen Avantgarden ebenfalls von Anfang an in einem Spannungsverhältnis zur real existierenden Moderne.
Autonomie gegenüber der Gesellschaft
Die Romantik knüpft an der Französischen Revolution nicht nur an, sondern versucht sie zu überbieten und erträumt eine andere Moderne als die, welche sich in der kapitalistischen Ökonomie, in der bürgerlichen Gesellschaft und im bürokratischen Staat entfaltet. Die Autonomie gegenüber der Gesellschaft, die ihr gerade erst der Ausdifferenzierungsprozess der Moderne gewährt, bildet die Grundlage dafür, dass sich die Kunst gegen die Ausdifferenzierung und Fragmentierung der Gesellschaft wenden kann, um die Vision einer ganz anderen künftigen Gesellschaft zu entwerfen.
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Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Friedrich Achleitner, Hans Belting, Christina von Braun, Peter Bürger, Peter Demetz, Terry Eagleton, Laszlo Földenyi, Cornelia Klinger, Lutz Koepnick, Vivian Liska, Michael Müller, Wolfgang Müller-Funk, Griselda Pollock, Franz Schuh, Beat Wyss
->   Kurzbiographien und Publikationen
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Utopie und Totalitarismus
Aus der widersprüchlichen Ausgangssituation ergeben sich problematische Entwicklungen. - Aus der fundamentalen Kritik an der Moderne entstehen Utopien, die einige der avantgardistischen Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts in eine fatale Nähe zu den Totalitarismen von Faschismus und Stalinismus geraten lassen. Diese totalitären Affinitäten der ästhetischen Totalitätsentwürfe sind nicht bloß zufällig und keinem individuellen moralischen Versagen geschuldet, sondern haben strukturelle Ursachen. Umgekehrt haben sich die russische Avantgarde, der italienische Futurismus, der deutsche Expressionismus, der Surrealismus und der Strukturalismus in Frankreich als unvereinbar mit der Realität des Totalitarismus erwiesen. Dieser Zwiespalt bedarf der theoretischen Auslotung.
Das Avantgardistische und das Profane
Zum Selbstverständnis der Avantgarde, wie es sich aus der militärischen Metapher herleitet, gehört auch, dass sie sich als eine Vorhut, als eine unerschrockene Eliteeinheit begreifft, die dem großen Trupp weit voraus ist und in dieser Ungleichzeitigkeit stellvertretend und richtungsweisend für die Masse handelt. Aus dieser Selbstdefinition resultiert das auffällige Spannungsverhältnis, das die europäischen Avantgarden zur profanen Gegenwart, und zwar sowohl zum common sense der Massendemokratie als auch zu den industriellen Produktions- und Konsumtionsbedingungen der Massenkultur unterhalten.
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Abendveranstaltung 1. Dezember, 18.00 Uhr
Franz Schuh: Trauriges Pudern - Texte der österreichischen Avantgarde der 50er, 60er und 70er Jahre
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Neue Gesellschaftsordnung - gescheitert
Im späteren Verlauf des 20. Jahrhunderts sind den Ideen der Avantgarde die Grundlagen entzogen worden. Die Utopien einer großen revolutionären Umgestaltung in Richtung auf eine ganz andere, Kunst und Leben wieder versöhnende Gesellschaftsordnung haben sich als Illusion oder Alptraum erwiesen und sind jedenfalls in weite Ferne gerückt. Die Hoffnungen auf eine elitäre ästhetische Innovation, welche die Grenzen von Massenkultur und -gesellschaft transzendiert, sind der weitgehenden Nivellierung der Distinktion zwischen Hoch- und Massenkultur zum Opfer gefallen.
Kunst in der postmodernen Gesellschaft
Zu den veränderten Dispositionen von Kunst in der postmodernen Gesellschaft gehört der Verlust sowohl ihrer gesellschaftlichen als auch ihrer ästhetischen Choc-Wirkung. Heute scheint die heroisch-pathetische Energie verbraucht zu sein, welche die Avantgarde einerseits aus den geschichtsphilosophischen und politischen Narrativen der Moderne geschöpft hat, andererseits aus dem Weiterleben religiöser Momente, welche Kunst als Religionsersatz und den Künstler als Priester und Propheten auffassen. Dennoch haben nicht nur die sechziger Jahre eine Neo-Avantgarde erlebt, sondern bis in die unmittelbare Gegenwart hinein ist sowohl ein theoretisches Interesse als auch ein praktisches Engagement für sie lebendig geblieben.
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Abendveranstaltung 2. Dezember, 18.00 Uhr
Friedrich Achleitner: Veränderungen - Montagen
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Zur Grammatik der Avantgarde
Ein Begriff und eine Praxis von Kunst, die ganz ohne die Ideen und Ideale der Avantgarde auskäme, ist auch in der Gegenwart schwer vorstellbar. Was wir vorschlagen, ist eine kritische Aufarbeitung der Geschichte der verschiedenen Avantgarde-Bewegungen, die Analyse ihrer gemeinsamen ¿Grammatik¿ und strukturellen Logik. Darüberhinausgehend stellt sich die Frage nach der Zukunft der Kunst jenseits der politischen und geschichtsphilosophischen Ideen von Emanzipation und Fortschritt, wie sie ihr modernes, avantgardistisches Selbstverständnis geprägt haben.
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Ö1-Programmhinweis
Mehr über die Avantgarde-Konferenz am 6. Dezember, 19 Uhr in den Ö1-Dimensionen.
->   Radio Österreich 1
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