Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung 
 
Die Universitätsreform heute - eine persönliche Zwischenbilanz  
  Einige Gedanken zu "einem Jahr UG 2002" an der Universität Wien aus der Sicht eines Angehörigen der mittleren Verwaltungsebene.  
Drei Eckpunkte prägen die Universität heute
Wie so oft, sind die Folgen einer politischen Reform nicht so katastrophal, wie es den Oppositionsparteien erscheint. Es handelt sich aber auch sicher nicht um jene Jahrhundertreform, wie gerne die Regierungsparteien meinen, welche den Weg in die Zukunft sichern könnte.

In Wirklichkeit folgt die Universitätsreform einem europäischen Trend, wenn man will, einfach dem Zeitgeist. Dies ist, per se, nicht schlecht - aber auch nicht gut.

Die Probleme, vor denen die Universitäten in Österreich zur Zeit stehen, sind nicht allein auf das UG 2002 zurückzuführen. Sie sind in erster Linie, meines Erachtens, hervorgerufen durch das Timing.

Otto Urban schrieb zu seiner persönlichen Zwischenbilanz zwei weitere Texte:
Entwicklungsplan der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät
Ur- und Frühgeschichte, heute und morgen
1. "Privatisierung"
Die Umwandlung der Universität in eine Institution öffentlichen Rechtes wurde bereits unter Minister Busek bzw. Sektionschef Höllinger vorbereitet. Das UOG93 setzte erste Schritte und folgte damit einem Trend, der seit den 80er Jahren von Großbritannien ausgehend zuerst die Bahnen, Telekommunikation, Energielieferanten etc. und nun - zuletzt - die Theater, Museen, Bibliotheken und Universitäten erfasst.
Schlechte Vorbereitung
Bereits 1993 wurde in Österreich dieser - in den Medien zumeist falsch als Privatisierung bezeichnete Prozess - eingeleitet. Dass er nun, rund zehn Jahre später, 2004, umgesetzt wird, überrascht daher wenig. Die Umstrukturierung wurde allerdings schlecht vorbereitet; ich denke, dies ist eine ausreichend höfliche Umschreibung.

Betroffen sind praktisch alle - das Bundesministerium ebenso wie die Rektorenkonferenzen und andere wichtige Gremien sowie natürlich auch die Universitäten und ihre Angehörigen selber.

Trotzdem, der Schritt ist richtig, wäre jedoch besser bereits Mitte der 90er Jahre durchgeführt worden (im nachhinein ist man ja immer klüger).
2. Bologna-Prozess
Die Grundidee des Bologna-Prozesses, die Vereinheitlichung des Universitätsstudiums in Europa, ist generell zu begrüßen, erleichtert sie doch die Mobilität der Studierenden. Dass diese Vereinheitlichung allerdings mit einem Sinken des Standards der Ausbildung verbunden ist, wäre nicht unbedingt notwendig gewesen.

Warum zwingt der Gesetzgeber die so genannten "autonomen" Universitäten per Gesetz Undergraduate Studien einzurichten? Dies hat nichts mit Qualitätssicherung und Mobilität zu tun; vielmehr werden diese Bakkaulareatstudien, für die es zudem - mit wenigen Ausnahmen - praktisch kaum ein Berufsfeld gibt, die akademische Ausbildung abwerten.
Abwertung durch Bakkalaureate
So nivelliert der Bologna-Prozess die akademischen Studien auf einen undergraduate-Level: Bakkalaureat. Nur wenigen - den viel diskutierten Eliten (?), soll ein Master- und Doktoratsstudium ermöglicht werden. Um zumindest den Standard eines Diplomstudiums halten zu können, müssen allerdings praktisch alle Bakkalaurii ein Masterstudium anschließen können.

Oder glaubt wirklich irgend jemand, dass die Regierungen (es betrifft ja nicht nur die österreichische) den Arbeitsmarkt für die in etwa fünf Jahren fertig werdenden Bakkalaurii vorbereiten können?Was bringt dann diese Reform? Viele neue akademische Titel und Abschlüsse; diese sind aber so inflationär, dass sie die Berufschancen kaum erhöhen.

Festzustellen bleibt allerdings, dass darüber keine Diskussion mehr sinnvoll ist, denn der Gesetzgeber hat entschieden. Punktum, und die "autonomen" Universitäten sind verpflichtet, diese - mit Ausnahme der Medizin - in allen Fakultäten einzuführen, zumindest, wenn sie neue Studienpläne einführen möchten und nicht alles beim Alten bleiben soll.
3. Sparpaket
Der dritte Punkt ist allgemein bekannt. Durch die Einführung des Euros bzw. der damit verbundenen Rahmenbedingungen, den berühmt-berüchtigten Maastricht-Kriterien, müssen die öffentlichen Haushalte in Ordnung gebracht werden. So waren die letzten Jahre, besonders ab 2000, durch massive Sparpakete geprägt.

Diese betreffen nicht nur das BMBWK, sondern auch die Wissenschaftsfonds und anderen kulturellen Einrichtungen des Bundes, der Länder und Gemeinden. Ein ökonomischer Prozess, dem im Prinzip sicher zuzustimmen ist, der aber die Umstrukturierung der Universität im Zuge der Ausgliederung bei gleichzeitige Einführung einer neuen Studienstruktur nicht gerade erleichtert.

Eine Ausgliederung mit Umwandlung in eine Institution öffentlichen Rechtes bereits in den späten 90er Jahren, eine finanzielle Konsolidierung von 2000 bis 2005 und eine Umstrukturierung des Studienwesens in der zweiten Hälfte des ersten Jahrzehntes wäre wohl effektiver und in Summe kostengünstiger gewesen. Der notwendige Weitblick hat dafür allerdings gefehlt - er war auch nicht, muss man ehrlich gestehen - an den Universitäten vorhanden.
Resümee und Gleichnis
So ähnelt die Universität heute einem Haus, an dem angebaut und umgebaut wird und der Hausherr gleichzeitig beschließt zu sparen - eine große Baustelle. Doch das Haus ist gut fundamentiert (vielleicht fester, als so manche meinten) und die im Haus Lebenden haben gelernt zu improvisieren und fallweise näher zusammen zurücken. Man ist bemüht, den Standard trotz aller Schwierigkeiten zu halten. Dabei hilft natürlich, dass auch die "Nachbarn", zumindest in Deutschland und Frankreich, sparen und umstrukturieren müssen.

Wichtig und entscheidend ist, dass den Studierenden weiterhin die Möglichkeiten einer umfassenden und vielfältigen Ausbildung geboten werden - sie dürfen nur nicht nach dem Bakkalaureat abbrechen, sondern müssen das Master- und, wenn sie in der Wissenschaft und Forschung tätig sein möchten, das Doktoratstudium anschließen.

Die Entscheidung, Bakk's im öffentlichen Dienst nicht als a-wertig, sondern (was natürlich ungerecht ist) wie Maturanten einzustufen, kann sich daher - wenn man neben der Forschung die Ausbildung von Studierenden als primäre Aufgabe der Universität und ihrer MitarbeiterInnen sieht - als durchaus positiv herausstellen.
Die Entwicklungspläne sind auf alle Fälle ein positives Zeichen. Die durch die Forschung geleitete Lehre weist weiterhin die für die Universitäten kennzeichnende Vielfältigkeit auf. Gesichert kann sie allerdings nur werden, wenn das BMBWK über eine ausreichende Finanzierung verfügt.

Einzelne Prestige-Projekte nützen dagegen wenig und wären strukturell kontraproduktiv - werten sie doch die anderen Universitäten summa summarum ab und wirken außerdem, sowohl für die Studierenden wie Lehrenden, demotivierend.

Letztendlich möchte ich doch an das bekannte Zitat des von uns allen so geschätzten Sir Karl Popper erinnern: "Alles Leben ist Probleme lösen!" Und die Jüngeren an die Westside story, "keep cool".
Zwei Buchempfehlungen
Die beiden angeschlossenen Bücher sind sehr aufschlussreich und ich habe sie persönlich mit Aufmerksamkeit gelesen.

Das erste wurde von den beiden "Motoren" der Reform mit einer Gruppe ebenso engagierter Mitautoren verfasst - allein dem seinerzeitigen politischen Verantwortlichen Dr. Busek, blieb es vorbehalten, einige vorsichtig kritische Bemerkungen in seinen Ausführungen einzuflechten. Vielfältigen Aspekte und Auswirkungen der Reform bzw. des Gesetzes werden dabei von den anderen Autoren (ebenso wie der erlittene Ärger in Zeiten des UOG 75) zum Teil recht offen geäußert - in den nächsten Jahren wird sich zeigen, welche der geäußerten Hoffnungen sich erfüllt haben.

Ein wenig belächeln muss man die Ausführungen über die Vorteile der Abschaffung jeglicher Definitivstellung - sind doch mit nur ganz wenigen Ausnahmen praktisch alle Autoren und auch die eine Autorin pragmatisiert. Im sicheren Hafen zu sitzen und auf die stürmische See zu blicken, ist eine recht bequeme Position.
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Sigurd Höllinger und Stefan Titscher (Hg.),
Die österreichische Universitätsreform. Zur Implementierung des Universitätsgesetzes 2002, WUV Universitätsverlag, Wien 2004.

Mit Beiträgen von Markus Achatz, Hubert Biedermann, Erhard Busek, Caspar Einem (verglich die Universitäten irgendwie mit der ÖBB und äußerte sich zur Reform wenig überraschend zurückhaltend), Dudo von Eckardstein, Friedrich Faulhammer, Elisabeth Gehrer, Christian Havranek, Hans Peter Hoffmann, Sigurd Höllinger, Herbert Kofler, Franz Marhold, Heinz Mayer, Gerhard Muzak, Erwin Neumeister, Christian Nowotny, J. Michael Rainer, Bernhard Raschauer, Franz Strehl, Stefan Tischer und Silvia Ulrich.
->   WUV-Verlag
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Herbert Matis und Dieter Stiefel (Hg.)
Österreich 2010 - Die wirtschaftliche und soziale Zukunft unseres Landes, Verlag Linde, Wien 2004.

Mit Beiträgen von Franz Vranitzky, Klaus Liebscher, Walter Rothensteiner, Karl Aiginger, Werner Clement, Michael A. Landesmann, Werner Muhm, Arnold Schmidt, Stefan Titscher, Michael Holoubek, Ernst Theimer und Eugen Hauke.
->   Linde Verlag
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Im Unterschied zum ersten Buch werden in dieser Veröffentlichung weniger die Wünsche und Ziele der Autoren geäußert, als vielmehr jene Perspektiven in Wirtschaft und Gesellschaft festgehalten, welche bereits aus guten Gründen prognostizierbar sind. So werden gewisse Eckdaten, welche die mittelfristige Zukunft betreffen, fassbar.

Unter den zahlreichen konkreten Aussagen stimmt allerdings die Forschungsquote nachdenklich. Zwischen den in Lissabon-/Barcelona vereinbarten Zielen und den vom WIFI prognostizierten Quoten ist ein Auseinanderklaffen der politischen Vorgaben und der wirtschaftlichen Prognosen augenfällig. Anstelle einer langsam, aber stetig ansteigenden Forschungsquote, stagniert diese seit 2000 eher unter-, als oberhalb der Zwei-Prozentmarke des BIP.
->   Alle Beiträge von Otto Urban in science.ORF.at
 
 
 
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