Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung 
 
30.000 Jahre alte Säuglingsbestattungen im eiszeitlichen Löss von Krems-Wachtberg
Ein Meilenstein der österreichischen Paläolithforschung
 
  Prähistoriker der ÖAW entdecken erstmals in Österreich ein rund 30.000 Jahre altes Grab der jüngeren Altsteinzeit in Krems/Donau: Eine Doppelbestattung zweier Neugeborenen unter dem Schulterblatt eines Mammuts.  
Die Fundstelle Krems-Wachtberg

Alle Fotorechte: ÖAW
Unter mehr als fünf Meter Löss erforscht in Krems/Donau (NÖ) seit April 2005 ein Team der Prähistorischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften minutiös eine altsteinzeitliche Siedlungsstelle. Die unkalibrierten Radiokarbondaten weisen auf ein Alter von rund 27.000 Jahren hin, d. h. kalibriert auf etwa 30.000 v. Chr.

In der nur 8 bis 15 cm starken Kulturschicht (Bild) wurden bisher Tausende von Kleinstfunden dokumentiert: Steinabsplisse, Holzkohlereste, Knochensplitter. Sie belegen einen alten Unterstand mit Feuerstelle, in dem sowohl Beingeräte zugeschnitzt, als auch Steingeräte zugeschlagen worden waren. Jedes einzelne Schnitzel bzw. jeder Abschlag und Abspliss wurde exakt dreidimensional eingemessen und in seiner Lage wie Neigung dokumentiert.

In der letzten Woche wurden nun diese Bemühungen belohnt. Unter einem Schulterblatt eines erwachsenen Mammuts wurde die Bestattung zweier Neugeborener entdeckt. Sie waren dicht mit Rötel bedeckt. Auf Grund des Schichtzusammenhanges ist eine Zuordnung zum Homo sapiens fossilis gesichert.
->   Prähistorische Kommission der ÖAW
Die Doppelbestattung
 
Alle Fotorechte: ÖAW


Die beiden Skelette der Neugeborenen wurden in einer vielleicht 40 cm tiefen, muldenförmigen Grube, geschützt von einem Mammut-Schulterblatt, beigesetzt.

Beide Skelette liegen auf der linken Seite in angehockter Stellung mit Blickrichtung nach Osten (am Foto ist Norden oben). Sie waren dicht in Ocker eingepackt und vielleicht in einem organischen Material, Leder zum Beispiel, eingeschlagen. Die scharfe Abgrenzung des Rötels könnte dafür sprechen.

 
Alle Fotorechte: ÖAW
Beschriftung: O.U.


Grabbeigabe

Im Bereich des Beckens des westlichen (linken) Skeletts fanden sich zahlreiche aufgefädelte (Elfen)beinperlen. Zur Zeit kann nicht gesagt werden, ob diese Kette auf die Bestattung gelegt worden war oder ob das Neugeborene die Kette umgehängt gehabt hat.

 
Alle Fotorechte: ÖAW


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Ein Forschungsprojekt der Prähistorischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
Das Forschungsprojekt
Gravettienzeitliche Besiedlungsmuster an der forschungsgeschichtlich bedeutenden Position Krems-Wachtberg, Niederösterreich
wird von Univ.-Lekt. Dr. Christine Neugebauer-Maresch (Bild) geleitet. Die Grabungsleitung hat Mag. Thomas Einwögerer, beide Mitarbeiter der Prähistorischen Kommission (Leitung: Generalsekretär Univ.Prof. Dr. Herwig Friesinger) inne.
->   Projekte der Prähistorischen Kommission (ÖAW)
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FWF
Das Akademieprojekt zur Erforschung der Paläolithfundstelle Krems-Wachtberg wird dankenswerterweise vom Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF) unterstützt.
->   FWF
Anthropologie

Die anthropologischen Analysen wird ao.Univ.-Prof. HR. Dr. Maria Teschler-Nicola, Abteilungsdirektorin am Naturhistorischen Museum in Wien, durchführen.

Viele Fragen stellen sich nun: Wann starben die beiden, vor, während oder kurz nach der Geburt? Waren es Zwillinge? Neben den Langknochen kann die Morphologie des Gebisses Auskunft darüber geben. Der kleine Punkt auf dem Foto zeigt einen etwa 7 mm großen Eckzahn E2. Es fällt auf, erklärt die erfahrene Anthropologin, dass bei der jungpaläolithischen Bevölkerung gerade dieser Eckzahn - im Vergleich zur heutigen Population - größer ist. Noch ist es allerdings zu früh für Spekulationen. Der Fund muß zuerst en bloc gehoben, computertomographisch untersucht, freigelegt und restauriert werden - erst dann setzen die eigentlichen morphologischen Analysen ein.
->   NHM Wien (www.nhm-wien.ac.at)
Abdeckung des Grabes
 
Alle Fotorechte: ÖAW


Die beiden Gräber wurden durch das Schulterblatt eines erwachsenen Mammuts geschützt. Das Bild zeigt die Unterseite des Knochens mit Resten der Rötelstreuung.

Die Crista des Schulterblattes wurde durch acht Schläge künstlich abgeschlagen (Pfeile). Damit der Knochen horiziontal liegt, wurde er auf der anderen Seite auf ein bearbeitetes Elfenbeinfragment, gelegt, wie ein Mitarbeiter des wissenschaftlichen Teams im Laufe der Führung demonstriert.
Das direkte Umfeld

Alle Fotorechte: ÖAW
Die Doppelbestattung lag in einer rund 40 cm tiefen Grube nur wenige Meter neben einer reichen Kulturschicht und einem Platz, an dem mehrfach Brandschutt (am Bild links) aufgehäuft worden ist.

Neben diesem Bereich zeigen sich im Löss zahlreiche, kleine Löcher. Der Ausgräber, Mag. Einwögerer, vermutet, dass es sich dabei um Tropflöcher handelt (am Bild rechts), die indirekt einen Hinweis auf einen Unterstand - in welcher Form auch immer - geben.

Die Verbreitung der zahllosen Absplisse und Abschläge geben etwa die Größe dieses Schutzbaues wieder. Das Grab liegt etwas außerhalb davon.

 
Alle Fotorechte: ÖAW


Lage des Doppelgrabes, der Kulturschicht und des Brandschuttes.
Krems-Wachtberg

Die Fundstelle liegt vielleicht nur etwa 50 Meter Luftlinie von der seit langem bekannten Fundstelle Krems-Wachtberg entfernt. Beide Fundstellen gehören wohl der selben Kulturschicht an. Neben den kennzeichnenden Steingeräteinventaren des älteren Gravettiens fand sich auch bei der diesjährigen Grabungskampagne ein Fragment eines gebrannten Tonstückchens mit einem Daumennagelabdruck. Die alte Fundstelle ist ja u.a. auch wegen des Nachweises zweier gebrannter Tonfiguren, der ältesten Keramik Österreichs, bekannt (siehe Titelbild der Monographie von T. Einwögerer).

Außerdem wurde eine sehr feine Beinnadel entdeckt, deren oberes Ende allerdings alt gebrochen war. Es könnte sich, so der Grabungsleiter Thomas Einwögerer, vielleicht um eine Nähnadel oder einen Nasen- oder Lippenpfriem handeln. Nicht ausgeschlossen werden kann auch, dass diese feine Nadel zur Tätowierung (mit Rötel oder Holzkohle vielleicht) verwendet worden ist.
->   Mitteilungen der Prähistorischen Kommission (ÖAW)
Gravettien

Krems-Wachtberg ist eine der bedeutendsten jungpaläolithischen Fundstellen Mitteleuropas. Durch die modernen Analysen konnten auch die Altfunde noch wichtige Hinweise zu Technologie des frühen Gravettiens geben. Die Neufunde belegen praktisch den gesamten Arbeitsprozess, der zur Anfertigung von Steinwerkzeugen bzw. Beingeräten erforderlich war.

Neben den Artefakten wurden von Florian F. Fladerer auch die reichen Faunaresten untersucht. Neben Mammut war die Jagd auf Rentiere, Rothirsche, Steinböcke und Moschusochsen beliebt. Interessanterweise wiesen die Wolfsreste bereits einen hohen Anteil an ¿hundeartigen ¿Zahnstellungen auf (höher, als er bei heutigen Wildpopulationen); Schlachtmarken an den Knochen von Wölfen belegen allerdings, dass Wölfe ebenso wie Füchse und Vielfraß, den eiszeitlichen Jägergemeinschaften als Nahrung dienten.

Die besten Entsprechungen finden sich in den südmährischen Fundplätzen Dolní Vestonitce und Pavlov in den Pollauer Bergen. Nach letzterer Fundstelle wird diese Kultur auch oft als Pavlovien bezeichnet.
->   Mitteilungen der Prähistorischen Kommission (ÖAW)
Ein Meilenstein der Österreichischen Paläolithforschung

Nun konnte auch bei uns erstmals ein paläolithisches Grab entdeckt und dokumentiert werden. Die Doppelbestattung ist auch von kulturhistorischem Interesse. Zeigt sie doch, dass bereits 30.000 v. Chr. Neugeborene als volle Mitglieder der Gemeinschaft gegolten haben. Die beiden Babys, es ist nicht unwahrscheinlich, dass es sich dabei um Zwillinge handeln könnte, wurden liebevoll in Rötel (der Farbe des Lebens?) eingepackt und mit einer feinen Perlenkette als Beigabe unter einem großen Knochen geschützt nur wenige Meter neben dem Unterstand beigesetzt. Für uns eine Freude, für die Menschen damals dagegen wohl eine schmerzhafte Erfahrung.

War die Mutter ebenfalls verstorben? Liegt sie, vielleicht nur wenige Meter davon entfernt, unter dem meterhohen Löss? Wir wissen es heute nicht, können auch über die Größe der damals hier lebenden Menschengruppe nichts Exaktes aussagen. Das Alter der Jagdtiere, welche in der Kulturschicht entdeckt worden sind, deuten auf einen Winterlagerplatz. Neue Untersuchungen in den nächsten Jahren werden vielleicht aber auf manche der oben gestellten Fragen eine Antwort liefern können. Das Bild der eiszeitlichen Jäger- und Sammlergruppen in der Lößlandschaft des Donautales wird zusehens facettenreicher und vielschichtiger.
->   Kalibration von Radiokarbondaten (calpal-online.de)
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Danksagung und Gratulation
Die Einladung zur Führung und Erlaubnis meine Bilder für diesen Beitrag zu verwenden verdanke ich Frau Dr. Neugebauer-Maresch. Alle Bildrechte, Urheber- wie Nutzungsrechte, liegen allein bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Für die umfassenden Hinweise zu den Neufunden danke ich außerdem dem Grabungsteam unter der Leitung von Kollegen Einwögerer.
->   Österreichische Akademie der Wissenschaften
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An Paläolithikum interessiert?

Den Interssierten möchte ich einen Besuch des Weinstadtmuseums Krems, des Urzeitmuseums Nußdorf (Bild) oder der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums empfehlen.

An schönen Herbsttagen bietet auch der Steinzeitweg von Stratzing viel Information.

[23.9.05]
->   Urzeitmuseum Nußdorf
Nachtrag
Bei der Computer-Tomographie konnte auch bei dem anderen Säugling eine zweite Kette festgestellt werden.
 
 
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung 
 

 
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