Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Wissen und Bildung 
 
Zum 100. Geburtstag von Prof. Richard Pittioni
Ein bedeutender Prähistoriker, sein Leben und Wirken
 
  Am 9. April jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Prof. Richard Pittioni, langjähriger Vorstand des Urgeschichtlichen Instituts der Universität Wien. Einer der Geisteswissenschaftler, die 1938 aus politischen Gründen geschädigt worden sind.  
100. Geburtstag von Prof. Richard Pittioni, Prähistoriker

Prof. Richard Pittioni
In diesen Tagen fällt der 100. Geburtstag von Prof. Richard Pittioni, langjähriger Vorstand des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien, verdienter Forscher und Opfer des Nationalsozialismus.

Er war einer der wenigen Geisteswissenschaftler bzw. Historiker der Universität Wien, der 1938 aus politischen Gründen geschädigt worden ist und 1945 nicht belastet war.

In den folgenden Jahren fasste er nicht nur wiederum wissenschaftlich Fuß; er kämpfte auch um die Wiederherstellung des guten Rufes des Urgeschichtlichen Instituts und um die Rehabilitierung des durch die Ereignisse enorm belasteten Faches Urgeschichte.
Studium und Habilitation in Wien
Pittioni wurde am 9. April 1906 in Wien geboren und kam bereits in Jugendjahren mit urgeschichtlichen Fundstätten in Berührung, da er sich zumeist in den Ferien bei seiner Großmutter in Oberwisternitz (Südmähren), einer bedeutenden altsteinzeitlichen Fundstätte, aufhielt.

Nach seinem Studium bei Prof. Oswald Menghin wurde er 1929 dessen Assistent an der Universität Wien. 1932 habilitierte er sich mit einer Studie über die Kelten in Niederösterreich.
Pittioni wird gezwungen, die Venia zurückzulegen
Im März 1938, nach dem "Anschluss", musste Pittioni unter der Ministerschaft seines Lehrers Menghin seine Venia docendi zurücklegen.

In der Folge wurde ihm "nahegelegt", Wien zu verlassen, er trat in den niederösterreichischen Landesdienst ein und arbeitete seit Dezember 1938 in Eisenstadt im so genannten Burgenländischen Landschaftsmuseum.

1944 heiratete Pittioni Erika Gräfin zu Hardegg; er war seit 1942 in der Deutschen Wehrmacht eingezogen und als Korporal unter anderem in Südfrankreich und in der Ukraine stationiert.
->   Oswald Menghin im science.ORF.at
->   Kabinett Seyß-Inquart (science.ORF.at)
Nach dem Krieg
Nach dem Kriegsende erhielt Pittioni sofort wieder von der Universität Wien seine Venia legendi zurück. Als einer der wenigen Prähistoriker Österreichs, der politisch nicht belastet war, übernahm er die Leitung des Instituts für Urgeschichte. Was wurde aus den anderen ehemaligen Universitätslehrern?
Oswald Menghin, Ex-Minister und Institutsvorstand, floh nach Argentinien.
->   Das Urgeschichtliche Institut während der NS-Zeit
Eduard Beninger, illegales Parteimitglied und Dozent für "germanische Ur- und Frühgeschichte" sowie Adjutant des Stadtkommandanten von Wien Generalleutnant Stümpfl, wurde wegen Verletzung der Menschenwürde zu drei Jahren Haft verurteilt.
Kurt Willvonseder, Mitte der 30-er Jahre ebenfalls Assistent bei Menghin und Kollege von Pittioni, SS-Obersturmführer und seit 1942 a.Univ-Prof. für Urgeschichte, ließ sich nach dem Krieg in Salzburg nieder, wo er 1954 zum Direktor des Museum Carolino Augusteum bestellt wurde.
Wiederaufbau und Wiederherstellung des guten Rufes
In Wien dagegen konnte Pittioni mit dem Wiederaufbau des durch Bombenschäden schwer beschädigten Instituts beginnen. Unter seiner Leitung, geprägt durch eine tiefe katholische Weltanschauung, erhielt das Institut wieder seinen untadeligen Ruf zurück, frei von nationalistischem, rassistischem und großdeutschem Gedankengut, den es bereits bei seiner Gründung unter Moriz Hoernes, dem ersten Ordinarius für Urgeschichte in Europa, inne gehabt hatte.
Wissenschaftliche Karriere
Nach seiner Ernennung 1951 zum ordentlichen Universitätsprofessor erschien 1954 sein Opus magnum zur Urgeschichte des Österreichischen Raumes. 1957 wurde Prof. Pittioni Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1960 Dekan der Philosophischen Fakultät und 1964 Senator der Universität Wien.

Durch seine umfassende Lehrtätigkeit und starke Persönlichkeit prägte er die gesamte Nachkriegsgeneration der Urgeschichte Österreichs. Er bemühte sich daneben auch intensiv um die Lehrerausbildung und wirkte als Autor bei Schulbüchern mit.
Forschungsschwerpunkte
Pittioni setzte in der Forschung mehrere Schwerpunkte, darunter die interdisziplinäre Erforschung des urzeitlichen Kupfererzbergbaues in den Ostalpen; später begründete er die Mittelalterarchäologie und frühneuzeitliche Industriearchäologie.

Daneben schrieb er Arbeiten zur Methodik und Terminologie sowie kompilatorische Bücher zur Urgeschichte Europas und zur Lehrerausbildung.
->   Urgeschichte im Schulunterricht (science.ORF.at)
Emeritierung und Ableben
 


So stand Prof. Pittioni dem Institut von 1946 bis zu seiner Emeritierung 1976 vor und hielt noch bis 1984 Vorlesungen; das Bild zeigt Prof. Pittioni (links) mit dem Autor (rechts) und einem verdienstvollen technischen Mitarbeiter, Herrn Hubert Kühler (Mitte) bei dem kleinen Empfang im Anschluss an Pittionis letzter Vorlesung im Jänner 1984.

Nur ein Jahr später starb Pittioni kurz nach seinem Geburtstag im 80. Lebensjahr am 16. April 1985 in Wien.

[9.4.06]
 
 
 
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