Host-Info
Otto H. Urban
Institut für Ur- und Frühgeschichte,
Universität Wien
 
ORF ON Science :  Otto Urban :  Gesellschaft 
 
Studiengebühren: Mit Bildungsschecks - ja  
  Studiengebühren können durchaus bleiben, wenn ein allgemeiner Studienzugang für alle MaturantInnen österreichischer Mittelschulen durch Bildungsschecks gewährleistet wird.  
Das Modell
Alle MaturantInnen österreichischer Mittelschulen erhalten mit ihrem Reifezeugnis zehn Bildungsschecks, die sie zu jeweils einem Semester Studium an einer österreichischen Universität (und Fachhochschule?) berechtigen.

Die ad personam ausgestellten Schecks haben eine Gültigkeit von maximal sechs Jahren.
Einfache Verwaltung
Das Modell gewährleistet den allgemeinen Universitätszugang und ist relativ einfach zu administrieren, da die Bildungsschecks direkt mit dem Reifezeugnis ausgehändigt werden können.

Die Bildungsschecks werden bei der Inskription eingereicht und direkt zwischen Ministerium und Universität verrechnet.
Verhandlungsspielraum
Natürlich kann eine Evalierung nach drei Jahren mit dem Nachweis entsprechender Zwischenprüfungen (1. Diplomprüfung oder Bachelor-Abschluss) erfolgen. Doch sollte dabei gewährleistet werden, dass die Überprüfung nicht mehr kostet, als sie einbringt. Nach flächendeckender Einführung der Bologna-Studienarchitektur in Österreich ist dies sicher leichter zu administrieren - es dauert jedoch wohl noch einige Jahre (zumindest, was das Jus-Studium betrifft; an den anderen Fakultäten wird ja bereits intensiv daran gearbeitet).

Nach meiner Erfahrung sind zu einer großen Mehrheit die Studierenden ehrlich interessiert, ihr Studium zielstrebig zu absolvieren. Wenn es zu Unterbrechungen kommt, so liegen zumeist Gründe vor, die eine so genannte Beurlaubung gerechtfertigen. Viele Studierende kennen allerdings nicht die Möglichkeit der Beurlaubung und studieren einfach weiter und erhöhen so ihre Studiendauer. In einigen Studienrichtungen (bei acht oder neun von weit über ein Hundert) liegen wohl auch die Probleme bei den Universitäten.

Letztendlich ist die Frage, ob an alle MaturantInnen zehn (neun oder zwölf) Semesterschecks ausgegeben werden, eine Frage der Verhandlungen.
Bummelstudenten, Seniorstudenten etc.
Bummelstudenten, Seniorenstudenten etc. - ich fange mit diesen Begriffen herzlich wenig an, sie sind auch nirgendwo definiert.

Wenn eine Frau, nachdem sie ein oder zwei Kinder bis zum Gymnasium groß gezogen hat, als 40-jährige ein Studium beginnt, um sich vor einem Berufungseinstieg akademisch zu bilden, ist sie dann eine Seniorstudentin?

Wenn ein jüngerer Studierender sein Studium zurückstellt, um wegen eines Unglücksfalles beispielsweise einen väterlichen Betrieb zu übernehmen, trotzdem aber versucht sein Studium weiterzuführen, ist er dann ein Bummelstudent? Wohl kaum.

Andererseits, warum soll ein echter Senior, ein Pensionist, wirklich sein Studium in der Mindeststudienzeit ablegen?

Es ist sehr schwierig, alle Eventualitäten in Verordnungen zu erfassen - natürlich gibt es dazwischen auch vereinzelt wirkliche Bummelstudenten. Ich denke daher, eine praktikable Lösung sollte diese Klassifikationen weitgehend meiden. Als Lehrender sollten mir alle Studierenden gleich sein und sind es auch.
Vorteile
Die Staatsbürgerschaft spielt keine Rolle, alle MaturantenInnen österreichischer Mittelschulen (der Begriff ist juristisch nicht korrekt, soll aber alle unterschiedlichen Schultypen Österreichs umfassen, die mit einer Reifeprüfung abschließen) sind gleichgestellt und sollen die Möglichkeit zu einer universitären Ausbildung ihrer Wahl in Österreich haben.

Die Schecks sind jeweils ein Semester wert, egal auf welcher österreichischen Universität und für welche Studienrichtung bzw. der jeweiligen Höhe der Studiengebühr.
Freigabe der Studiengebühren
Auf Dauer ist es nicht einzusehen, warum die Studiengebühren aller Universitäten und aller Studienrichtungen gleich hoch sein müssen.

Warum sollte ein Wettbewerb zwischen den Universitäten mit unterschiedlich hohen Studiengebühren nicht genau so förderlich sein wie in anderen marktwirtschaftlich orientierten Bereichen?

Eine Universität, die beispielsweise einen Ostasien-Schwerpunkt hat, möchte vielleicht bewusst verstärkt Studierende aus diesen Regionen für ein Studium in Wien gewinnen - also kann sie die Studiengebühren entsprechend senken.

Andererseits, warum kann für ein Studium, wo ein Überangebot an Interessenten besteht, nicht eine höhere Studiengebühr verlangt werden?
Novellierung des UG2002
Die Freigabe der Studiengebühr würde natürlich eine Novellierung des bestehenden Universitätsgesetzes UG2002 betreffen. Diese ist sicherlich punktuell notwendig.

Einige Themen, beispielsweise der Ablauf der Habilitation, sind überreglementiert, in anderen Bereiche fehlen dagegen österreichweite gleiche Vorgaben (zum Beispiel bei der Qualitätssicherung der Studienabschlüsse).

Einige im UG2002 enthaltene Werkzeuge wie die Zielvereinbarungen sind sehr nützlich und können weiterentwickelt werden, andere dagegen - wie die so genannte Wissensbilanz - sind administrativ zu aufwändig und letztendlich kontraproduktiv.

Nach drei Jahren UG2002 sollte an den Universitäten eine Mängelüberprüfung erfolgen - des Gesetzes ebenso wie der jeweiligen Universitätssatzungen, insbesondere in Bezug auf die geplanten Zielsetzungen des Gesetzes. Danach sollten gemeinsam mit dem zuständigen Ministerium Verbesserungsvorschläge erarbeitet werden.
Durchführungsverordnungen
Natürlich ist die Einführung nicht so einfach, wie dies oben dargestellt wird.

Für die bereits Studierenden sind Übergangsbestimmungen zu erlassen; Erasmus-Studierende, die ein Semester im Ausland absolvieren, sind zu berücksichtigen (bzw. durch einen Freischeck dazu zu motivieren) etc.

Aber auch die jetztige Verwaltung der Studiengebühren war und ist nicht so leicht. Gebühren werden beispielsweise wieder zurückerstattet, wenn bestimmte Gründe vorliegen und die Anträge rechtzeitig gestellt werden und vieles andere mehr.
Zusammenfassung
Letztendlich möchte dieses Modell einen Weg darstellen zwischen den Positionen der beiden Großparteien, aber auch zwischen den Bedürfnissen der Universitäten und ihrer Studierenden.

Es geht ja - zumindest aus meiner Sicht - der SPÖ nicht prinzipiell um die Studiengebühren, sondern um den freien Zugang zu einem universitären Studium für alle MaturantInnen und der ÖVP um die Vermeidung zu langer Studiendauer. Außerdem könnte ein Teil der administrativ sehr aufwändigen und vielfältigen Stipendien bei Einführung der Bildungsschecks wegfallen.

Die Frage der Höhe der Studiengebühren betrifft jede österreichische Universität, denn alle stehen letztendlich in einem internationalen Wettbewerb.

Die Frage des Zugangs zum Universitätsstudium für unsere MaturantInnen betrifft dagegen in erster Linie die österreichische Gesellschaft bzw. den so genannten Generationenvertrag.

Als Universitätslehrer ist es mir eigentlich egal, ob ein Studierender beispielsweise aus Deutschland, Finnland oder Sri Lanka kommt (wenn die Grundvoraussetzungen wie Sprachkompetenz etc. gegeben sind), als Österreicher dagegen möchte ich natürlich, dass besonders unsere MaturantInnen gute Studienmöglichkeiten vorfinden.

Wäre ich Politiker, würde ich daher sagen: Ja zu entsprechenden Studiengebühren und ja zur Einführung von Bildungsschecks für unsere MaturantInnen.

[5.1.07]
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