Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Präimplantationsdiagnostik - Hilfe für Betroffene oder neue Eugenik? (Teil 2)  
  Die Präimplantationsdiagnostik (PID), bei welcher in vitro fertilisierte Embryonen auf mögliche Chromosomen- oder Gendefekte untersucht werden, bevor man sie in die Gebärmutter implantiert, ist in vielen europäischen Ländern bereits zugelassen, in Östereich aber nach wie vor verboten. Was sind die ethischen Argumente der Befürworter und der Kritiker? Der erste Teil befasste sich mit den ethischen Einwänden gegen die PID. Im zweiten Teil werden nun die Argumente der Befürworter dargestellt.

Ulrich Körtner, Präimplantationsdiagnostik - Hilfe für Betroffene oder neue Eugenik? (Teil 1)
 
PID und Abtreibungsrecht
Befürworter der Präimplantationsdiagnostik (PID) geben zu bedenken, dass durch dien Einsatz der PID eugenisch bzw. embryopathisch motivierte Abtreibungen vermindert werden können, die nach österreichischem Strafrecht sogar noch in einer späten Phase der Schwangerschaft straffrei sind. Gegenüber solchen Abtreibungen, gar Spätabtreibungen, sei die PID das kleinere Übel und außerdem für die betroffenen Frauen körperlich und psychisch weniger belastend.
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Die eugenische Indikation im österreichischen Strafrecht
Grundsätzlich gilt in Österreich die Fristenlösung. D.h. der Schwangerschaftsabbruch ist innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate straffrei, wenn er nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird.

Nach § 97 (2) ist ein Schwangerschaftsabbruch außerdem dann straffrei, "wenn er zur Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist oder eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde, oder die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig gewesen ist und in allen diesen Fällen der Abbruch von einem Arzt vorgenommen wird."
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Kritik an der herrschenden Praxis der Spätabtreibungen
Selbst unter Befürwortern eines liberalen Abtreibungsrechtes wächst das Unbehagen an der derzeitigen Praxis von Spätabtreibungen. So gibt es eine Intitiative von Medizinern, die Frist für eugenisch bzw. embryopathisch begründete Abtreibungen herabzusetzen.
Schwangerschaft auf Probe?
Einigkeit herrscht unter Kritikern und Befürwortern der Fristenlösung auch darin, dass Abtreibungen wenn irgend möglich zu vermeiden sind. Beide Seiten in der ethischen Debatte sehen außerdem die bereits aufgrund heutiger Möglichkeiten der pränatalen Dagnostik gegebene Gefahr einer Tendenz zur Schwangerschaft auf Probe. Sie zieht also nicht, wie Kritiker bisweilen unterstellen, erst mit der Einführung der PID herauf.
Kritik an der eugenischen Indikation
Seit längerem schon wird von verschiedener Seite die eugenische Indikation kritisiert, weil diese das Lebensrecht behinderter Kinder grundsätzlich in Frage stelle. Aus der derzeit gültigen Fassung von § 97 (2) StGB spreche letztlich der Ungeist eines Denkens, das zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben unterscheide. Daher wird die Forderung erhoben, die eugenische Indikation nach deutschem Vorbild ersatzlos zu streichen.
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Zum Vergleich: das deutsche Abtreibungsrecht
Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß auch nach gegenwärtigem deutschen Recht (§ 218 StGB) im Rahmen der so genannten medizinischen Indikation Abtreibungen von geschädigten Föten nach wie vor zulässig sind, und zwar ohne Fristbegrenzung und ohne verbindliche Schwangerschaftskonfliktberatung nach § 219.

Die Neufassung des § 218 wirkt zwar erfreulicherweise dem Missverständnis entgegen, behindertes Leben genieße weniger Lebensschutz als nichtbehindertes. Das Vorliegen einer Schädigung des Embryos kommt allerdings im Rahmen der so genannten medizinischen Indikation insofern weiterhin zum Tragen, als aus Sicht der Mutter die Frage nach der physischen und psychischen Zumutbarkeit einer Schwangerschaft gestellt wird, wobei die Bewertung im wesentlichen durch die Schwangere selbst erfolgen muss.
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Güterabwägung zwischen PID und medizinisch indizierten Abtreibungen
Wird nun aber einer Mutter bei Vorliegen eines embryopathischen Befundes de facto, wenn auch nur indirekt, die Möglichkeit eines straffreien Schwangerschaftsabbruchs eingeräumt, so lässt es sich im Rahmen der medizinischen Indikation auch rechtfertigen, die Tötung eines in vitro fertilisierten Embryos vor seinem Transfer und die mit einem späteren Schwangerschaftsabbruch verbundenen Risiken für die Mutter einer Güterabwägung zu unterziehen.
Es ist also abzuwägen, ob einer Frau bzw. einem Elternpaar, das an sich zeugungsfähig ist und sich Kinder wünscht, aus Gründen des Embryonenschutzes, der nicht aufgehoben werden soll, nur der Weg in eine mit gesundheitlichen Risiken und Ängsten belastete Schwangerschaft offenstehen soll, d.h. ob es moralischer ist, unter Umständen später einen Schwanger-schaftsabbruch straffrei zu stellen, als einen in vitro gezeugten Embryo nicht austragen zu lassen.
Die Frage in dieser Weise stellen heißt anerkennen, dass sich betroffene Paare in einem schwerwiegenden ethischen Konflikt befinden, der demjenigen bei einer ungewollten oder medizinisch bedenklichen Schwangerschaft vergleichbar ist.
Dagegen könnte die Zulassung der PID innerhalb eng gezogener Grenzen die Schwangerschaftsbereitschaft von Paaren, bei denen das Risiko einer Erbkrankheit vorliegt, deutlich erhöhen.
Eingeschränkte Zulassung der PID?
Befürworter der PID in Österreich oder in Deutschland wollen ihre Anwendung begrenzen und an gesetzliche Auflagen binden. Ob sich freilich enge Grenzen nicht nur ethisch, sondern vor allem gesetzlich klar ziehen lassen, steht derzeit nicht fest. Solange es für dieses Problem keine klare Lösung gibt, kann die Einführung der PID m.E. ethisch nicht befürwortet werden.
Wie seinerzeit bei Einführung der pränatalen Diagnostik wird derzeit argumentiert, man wolle die PID auf wenige Härtefälle beschränken. In Deutschland ist von wenigen hundert Fällen pro Jahr die Rede. Bei der vorgeburtlichen Diagnostik im Mutterleib sind in Deutschland aus "einigen wenigen" Fällen inzwischen 87.000 Anwendungen pro Jahr geworden.
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Der Richtlinienentwurf zur PID der deutschen Bundesärztekammer
Einen konkreten Vorschlag, wie die PID in engen Grenzen zugelassen werden könnte, hat die Bundesärztekammer im Frühjahr 2000 gemacht (Deutsches Ärzteblatt 97, Heft 9, 3. März 2000, A 525-528).

Demnach soll die Indikation zur PID nur bei solchen Paaren gestellt werden, "für deren Nachkommen ein hohes Risiko für eine bekannte und schwerwiegende, genetisch bedingte Erkrankung besteht". Die Geschlechtsbestimmung ohne Krankheitsbezug wird z.B. ausdrücklich abgelehnt.

Voraussetzung für die PID wäre also eine molekulargenetische Untersuchung hinsichtlich des bei der PID zu ermittelnden Krankheitsrisikos und des Schweregrades der zu erwartenden Erkrankung des Kindes.

"Ausschlaggebend ist, dass diese Erkrankung zu einer schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung der zukünftigen Schwangeren beziehungsweise der Mutter führen könnte."

Die beabsichtigte PID wäre in jedem Einzelfall der Ärztekammer anzuzeigen. Bei der jeweils zuständigen Landesärztekammer wäre eine Kommission zu bilden, bei welcher ein entsprechender Antrag zu stellen wäre. Der Antrag würde außerdem an eine zentrale "Kommission Präimplantationsdiagnostik" der Bundesärztekammer weitergeleitet.
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Klare Grenzziehungen?
Vereinfacht gesagt schlägt der Richtlinienentwurf der Bundesärztekammer vor, die Anwendung der PID ausschließlich in solchen Fällen zuzulassen, wo andernfalls bei entsprechender medizinischer Indikation später eine Abtreibung zulässig wäre. In die gleiche Richtung gehen Vorschläge der Österreichischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie.
Ob aber die von der Bundesärztekammer vorgeschlagenen standesrechtlichen Instrumente ausreichen, um eine völlige Liberalisierung der PID zu verhindern, wird von namhaften Kritikerinnen und Kritikern wie z.B. der deutschen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin bezweifelt. Ähnlich wie im Fall der pränatalen Diagnostik sei zu erwarten, dass die PID in der Praxis über kurz oder lang auf immer mehr Erkrankungen oder genetische Abweichungen ausgeweitet wird.
Ein Blick in jene Länder, in denen die PID bereits zugelassen ist - Großbritannien, Dänemark, Norwegen, Schweden, Italien, Spanien, Frankreicht, Belgien, Niederlande, Griechenland und die USA - scheint den Skeptikern recht zu geben.
PID als allgemeine Qualitätskontrolle
Die Entwicklung geht eindeutig dahin, die PID keineswegs nur im Vorfeld möglicher "Risikoschwangerschaften", sondern generell bei der In-Vitro-fertilisation routinemäßig zu Qualitätskontrolle einzusetzen.
Würde die PID erst einmal nach den strengen Richtlinien der Bundesärztekammer oder vergleichbaren Vorschlägen der Österreichischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin zugelassen, wäre auf die Dauer kaum zu begründen, warum Paaren, die aus anderen Gründen die IVF anwenden, eine derartige "Qualitätskontrolle" ihrer Embryonen vorenthalten werden dürfte, so daß in ihrem Fall das Risiko einer späteren Abtreibung bestehen bliebe.
Keine Eugenik?
Unverständlich bleibt letztlich auch die Beteuerung der Bundesärztekammer, ihr Richlinienentwurf distanziere sich klar von jeder Form der Eugenik. Es gehe "ausschließlich um das Risiko einer schweren genetischen Erkrankung, nicht um eine eugenisch orientierte Nachkommensplanung".
Was aber ist die Intention, Paaren zu einem "gesunden" Kind zu verhelfen, wenn nicht Eugenik? Semantische Verschleierungen sind einer ehrlichen Debatte nicht dienlich. Wenn schon über die Einführung der PID diskutiert wird, muss auch offen über heutige Formen der Eugenik gesprochen werden. Nur dann lassen sich die gesellschaftlichen Folgen einer möglichen Entscheidung zugunsten der PID wirklich abschätzen.
Nichtdirektive Beratung
Selbst wenn diese neue Form der Diagnostik in eng gesteckten Grenzen zugelassen werden sollte, müsste an dem Grundsatz festgehalten werden, dass die Initiative zu genetischer Beratung, pränataler Diagnose oder gar PID keinesfalls von Außenstehenden, etwa dem Arzt, sondern einzig von den Betroffenen ausgehen darf. Jede andere Praxis würde nicht nur der Autonomie der Ratsuchenden widersprechen, sondern ganz gewiss eine Form der Eugenik darstellen, die aus ethischer Sicht abzulehnen ist.
Autonomie und Verantwortung
Die Diskussion über die PID gibt Anlass, auch den Umgang mit den Methoden der pränatalen Diagnostik kritisch zu überdenken. Das Ziel des Nachdenkens kann nicht in der Bevormundung der betroffenen Menschen - und dies sind vor allem die Frauen! - bestehen. Auch geht es in erster Linie nicht um gesetzliche Verbote, wie überhaupt das Strafrecht nur bedingt das geeignete Instrument zum Schutz und zur Durchsetzung moralischer Grundwerte ist.
Vielmehr wirft der biomedizinische Fortschritt die Frage auf, wie die Einzelne und der Einzelne in die Lage versetzt werden, mit dem Zuwachs an Eigenverantwortung zurechtzukommen und in ihrer Eigenverantwortlichkeit gestärkt zu werden. Der Biomedizin sind dort Grenzen zu setzen, wo ihr im Namen der individuellen Freiheit zugelassener Einsatz eben jene Freiheit gefährdet.
Die Liebe in den Zeiten der Biomedizin
Zu bedenken sind aber auch die grundlegenden Veränderungen, denen unsere Sicht von Schwangerschaft und Geburt durch die moderne Bioemdizin unterworfen ist. Hierzu hat die Kultursoziologin Barbara Duden kürzlich in einem ZEIT-Interview (DIE ZEIT Nr.31, 26.7.2001, S.26) angemerkt:
"Die Ansicht, dass Schwangerschaft ein primär biologisches Ereignis sei und nicht eine von der Frau persönlich erlebte Geschichte, ist radikal neu in unserer Kultur. Der Frauenleib wird zum öffentlichen Ort, der Embryo zur öffentlichen Sache und die Schwangere zum uterinen Umfeld für ein Leben, das durch die Interpretation des Arztes im Ultraschall zum Emblem eines Kindes gemacht wird."
"Eine Wirkung vorgeburtlicher Testverfahren ist das Schüren von Angst. Schwangerschaft ist der traditionelle Inbegriff, die Grundmetapher des 'Noch nicht', also der 'guten Hoffnung'. Heute dagegen wird mit jedem Test der schwangeren Frau eingeredet, ja physisch eingetrichtert, dass sie sich ängstigen muss - für sich und das kommende Kind."
Lohn der Angst
Wie schon die pränatale Diagnostik wird auch die PID in erster Linie als Hilfe für Betroffene angepriesen. Möglicherweise aber ist der Preis, den die Einzelnen und die Gesellschaft als ganze zu zahlen haben - der Lohn der Angst - zu hoch.
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ORF-Symposium "Embryonenschutz"
Am 11. und 12. Oktober 2001 findet das ORF-Symposion "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin ?" im Radiokulturhaus in Wien statt. Veranstalter des Symposions sind die Wissenschaftsredaktion des ORF-Hörfunks und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien, Kooperationspartner die Österreichische Ärztekammer und das Zentrum für Medizinrecht.

Im Rahmen dieses Symposiums werden auch renommierte Befürworter und Kritiker der Präimplantationsdiagnostik zu Wort kommen.
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