Christiane Spiel
Dekanin der Fakultät für Psychologie, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Christiane Spiel :  Wissen und Bildung 
 
Zur Implementierung des neuen Universitätsgesetzes
Kommentare einer partiell Involvierten
 
  Die Implementierung des UG 02 ist in die kritische Phase gekommen. Die Rektorate legen den Senaten und Universitätsräten ihre Vorschläge für Organisationsstruktur und Entwicklungsplan vor. Dies führt zu Unruhe in den Universitäten und auch zu verstärktem Medieninteresse. Während für die Universität als Organisation die zentrale Frage lautet: Welche Organisationsstruktur und welcher Entwicklungsplan führen zum besten Erfolg (wobei Erfolg erst noch zu definieren ist), lautet die Frage für viele Universitätsangehörige: Was geschieht mit mir, was wird mit meinem Institut, mit meiner Abteilung?  
Aus der Perspektive einer partiell Involvierten an der Universität Wien (Mitglied im Gründungskonvent, Leiterin einer Projektgruppe zur Konzipierung einer Organisationsstruktur), die sich hauptberuflich u.a. mit Evaluation und Organisationsentwicklung an Universitäten beschäftigt, möchte ich hier einige Anmerkungen machen.

Es sind Anmerkungen zur Reaktion auf Reformmaßnahmen allgemein, zu Potentialen und Gefahren von Evaluationen sowie zu den Chancen, dass aus Universitäten "intelligente" Organisationen werden.
Bereitschaft zu Reformen
Erfolgreiche Reformen geschehen durch handelnde Personen und nicht durch Gesetze oder Verordnungen. Diese liefern jedoch den Anlass zum Handeln. Denn in öffentlichen Organisationen, deren Output (Was ist Erfolg?) nicht klar definiert ist und die keinem offensichtlichen Konkurrenzdruck ausgesetzt sind, ist die Bereitschaft zu Reformen von innen im Allgemeinen sehr niedrig bzw. überhaupt nicht vorhanden; insbesondere dann, wenn die Mitglieder hohe Autonomie besitzen.
Reaktionen auf neue Gesetze und Reformen
Ein neues Gesetz kann als Herausforderung oder Bedrohung gesehen werden. Dem entsprechend reichen die Reaktionen von motivierter Mitarbeit bis hin zu aktivem Widerstand, wobei besonders die Methoden des "erstmal Abwartens" oder des "nicht einmal Ignorierens" sehr verbreitet sind.

Auch ich selbst hätte - sofern ich von Rektor Winckler nicht gebeten worden wäre eine Projektgruppe zu leiten - einmal abgewartet, was das Rektorat als Organisationsstruktur vorschlagen würde und dann aus meiner persönlichen Perspektive bzw. der des Instituts für Psychologie darauf reagiert.

Der Auftrag von Winckler hat jedoch zumindest fünf Gruppen dazu gebracht, sich aktiv mit einer möglichen Organisationsstruktur auseinander zu setzen und damit auch die individuelle Perspektive bzw. die des eigenen Instituts zu verlassen und die Perspektive der Universität einzunehmen.
Reagieren statt Agieren
Ich vermute daher, dass dem Rektorat über diese fünf Konzepte hinaus - trotzdem die Universität Wien mehrere tausend Mitarbeiter/innen hat - wenige bis gar keine Vorschläge für eine Organisationsstruktur vorgelegt wurden. Wir sind an Universitäten (wie auch an anderen öffentlichen Einrichtungen) was Organisationsentwicklung betrifft eben zu sehr an das Reagieren denn an das Agieren gewöhnt.

Dabei wird jedoch leicht übersehen, dass Reformen und neue Gesetze, auch wenn man nicht in allen Punkten mit ihnen einverstanden ist (was ja zumeist der Fall ist), auch den Anlass und damit die Chance bieten, Missstände im Institutsbetrieb, in Verwaltungsabläufen etc. zu beseitigen.
Zur Relevanz von Evaluationen
Evaluationen sind ein relevanter Bestandteil des Qualitätsmanagements in Organisationen. Sie prüfen die Effektivität und Effizienz von Maßnahmen, d.h. ob "das Richtige richtig gemacht wird". Die Notwendigkeit und Wichtigkeit hiervon ist evident.

Gute und erfolgreiche Evaluationen benötigen eine klare Zieldefinition (Was soll geprüft werden?), eine begründete Entscheidung für die Art der Evaluation (z.B. ist auch eine prospektive Evaluation zur a priori-Beurteilung von Maßnahmen möglich) und begründete Vorgaben für die Konsequenzen aus der Evaluation (dies fehlt häufig!), die bereits im vorhinein festzulegen und transparent zu machen sind.
Evaluation als Selbstzweck
Wenn dies nicht geschieht, besteht die Gefahr, dass Evaluationen zum Selbstzweck verkümmern und damit auch jede Chance auf die Etablierung einer Evaluationskultur verdorben wird. So steht z.B. der Effekt der derzeit flächendeckend durchgeführten Bewertung von Lehrveranstaltungen durch Studierende in keinem Verhältnis zum Aufwand.

Kostengünstige prospektive Evaluationen von Studienplänen werden dagegen so gut wie nie durchgeführt. Generell wäre im Bereich der Lehre eine Trendwende von "Meinungsumfragen" zur fundierten Analyse von Wirkungen notwendig.
Controlling statt Evaluation?
Eine weitere Gefahr ist die Reduktion der Qualitätssicherung auf ein Controlling durch möglichst einfache Indikatoren, im Fall der Forschung z.B. auf Drittmitteleinwerbung. Grundsätzlich gilt: "Ein Indikator ist KEIN Indikator".

Es ist offensichtlich, dass wenige Indikatoren nicht ausreichen können, eine derart komplexe Organisation wie eine Universität adäquat zu beschreiben; noch dazu wo Indikatoren immer die Gefahr der Einseitigkeit in sich bergen (siehe Drittmittel).

Eine ausgewogene Verschränkung zwischen Controlling, verschiedenen Evaluationsmaßnahmen ergänzt von Daten aus der Revision ist daher anzustreben.
Wie aus Universitäten "intelligente" Organisationen werden
Es gibt wohl keine Organisation, in der so viel intellektuelles Potential versammelt ist, wie eine Universität. Dennoch sind Universitäten als Organisationen keineswegs "intelligent" im Sinne von selbstregulierender Weiterentwicklung. Die Kompetenzen und das Wissen der Mitglieder werden nicht oder meist zu wenig für die Organisation genutzt.

Auch im Zuge der derzeitigen Professionalisierung der Universitäten wird dieses Potential vernachlässigt zugunsten externer Berater. Die Folge sind hohe Kosten, niedriges Commitment der Universitätsangehörigen und z.T. auch mäßiger Erfolg, da nicht alle Modelle aus der Wirtschaft sich 1:1 auf Universitäten übertragen lassen.

Damit Universitäten zu intelligenten Organisationen werden, sollte die Expertise ihrer Mitarbeiter/innen vermehrt (jedoch auf freiwilliger Basis und durchaus gegen adäquate Bezahlung) für die Organisation genutzt werden: die Expertise der Kommunikationswissenschaft für Öffentlichkeitsarbeit, die der Ökonomie für Finanzangelegenheiten, die der Psychologie für Personalselektion und -entwicklung, etc. etc. Solche "Queranregungen" könnten dem Prozess der permanenten Fortentwicklung höchst dienlich sein.
Literaturempfehlungen:
Buschor, E. (2002). Evaluation und New Public Management. Zeitschrift für Evaluation, Heft 1, 61-73.

Spiel, C. & Gössler, M. (2001). Zwischen Selbstzweck und Qualitätsmanagement. Quo vadis, Evaluatione? In C. Spiel (Hrsg.), Evaluation universitärer Lehre - zwischen Qualitätsmanagement und Selbstzweck (S. 9-20). Münster: Waxmann.

Wottawa, H. (2002). Qualitätsmanagement durch Zielvereinbarungen. In C. Spiel (Hrsg.), Evaluation universitärer Lehre - zwischen Qualitätsmanagement und Selbstzweck (S. 9-20). Münster: Waxmann.
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